Generation Kunduz - Der Krieg der Anderen

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 81 Minuten

Regie: Martin Gerner

Der Journalist Martin Gerner, der in Afghanistan seit 2004 Journalisten ausbildet, porträtiert drei junge Afghanen, aus deren Perspektive Lebensumstände und gesellschaftliche Bruchstellen eines Landes geschildert werden, in dem reformfreudige Menschen die Repressionen patriarchalischer Kräfte fürchten müssen. Der aufschlussreiche Dokumentarfilm beschreibt die Schwierigkeiten des Landes aus einer Innenperspektive und zeichnet ein differenziertes, über die gängige Berichterstattung hinaus weisendes Bild. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Martin Gerner Film
Regie
Martin Gerner
Buch
Martin Gerner
Kamera
Resa Asarshabab · Ali Hussein Husseini · Karim Amin · Morteza Shahed · Aziz Deldar
Musik
Stefan Döring
Schnitt
Ole Heller
Länge
81 Minuten
Kinostart
15.03.2012
Fsk
ab 12 (Video)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Diskussion
Afghanistan ist in den Medien zwar ständig präsent, doch Innenansichten aus der dortigen Gesellschaft sind selten. Der Journalist Martin Gerner, der seit 2004 als Ausbilder für Journalisten in Afghanistan aktiv ist, gibt in seiner Dokumentation der jungen Generation in dem vom Krieg gezeichneten Land eine Stimme. Dabei stößt er auf Angst und Misstrauen, aber auch auf Menschen, die alles daran setzen, ihr Land aus eigener Kraft zu verändern. Gerner drehte in Kunduz, wo im September 2009 bei dem NATO-Luftangriff auf einen Tanklastwagen zwischen 90 und 140 Menschen, die meisten davon Zivilisten, ums Leben kamen. Der immerwährende Krieg, die Dauerpräsenz ausländischer Streitkräfte und patriarchale Familienzwänge prägen die Seelenlage der 125.000-Einwohner-Stadt. Doch anders als der gängige westeuropäische Medienkanon, in dem ständig nur das Stigma einer stagnierenden Gesellschaft wiederholt wird, verweist Gerner auf die Vitalität seiner Protagonisten. Zwar holt auch der das Publikum mit Klischeebildern von Absatzschuhen unter der Burka, Schlachtszenen zum Opferfest und betenden Männergruppen in den Straßen ab, doch dahinter gewährt der Film Einblicke in das Bewusstsein einer Generation, die sich mit dem scheinbaren Stillstand nicht zufrieden gibt. Mit dem Wahlbeobachter Hasib, der Radiojournalistin Nazanin und dem Filmemacher Ghulam findet er drei Protagonisten, die über die Widersprüche ihrer Heimat offen diskutieren. Zentrales Thema bleibt die Ungleichbehandlung von Mann und Frau – auch die emanzipierte Radiomacherin Nazanin reist unter der Burka im Studio an, später verbietet ihr Verlobter, dass sie die Interviews mit dem Filmteam fortsetzt. Neu für das westliche Publikum dürfte sein, dass die negativen Auswirkungen der patriarchalen Familienstrukturen auch in Workshops mit dem Titel „Die Rolle der Frau im Islam“ kritisch analysiert werden. Doch der soziale Druck steigert sich bis ins Unerträgliche. Als „Schande“, so Regisseur Ghulam, werde das Filmemachen bezeichnet, dabei sei das Kino doch bloß „ein Spiegel unserer gesellschaftlichen Probleme“. Für seinen Spielfilm „Sami und Sadaf“ gelang es ihm in Kunduz nicht, eine weibliche Schauspielerin zu verpflichten. Seine Heimatstadt sei eben „nicht so fortschrittlich wie Kabul“, merkt der in knallbunte Hemden und Glitzer-Sakko gekleidete Künstler an. Die Angst ist der ständige Begleiter der Protagonisten, was Hasib pointiert auf den Punkt bringt: „Wer in Afghanistan etwas bewegen will, wird noch am gleichen Tag erschossen.“ Warum er, Nazanin, Ghulam und die anderen, dennoch für eine offene Gesellschaft eintreten? Vielleicht, um das Misstrauen zu besiegen, das inzwischen die ganze Gesellschaft befallen hat. Aber auch, um die Handlungshoheit wieder in afghanische Hände zu bekommen. „Das Sagen haben die Ausländer“, wird beklagt, was sich nicht nur in den eingeschränkten Machtbefugnissen der regionalen Regierung widerspiegelt, sondern auch im Fahrstil der NATO-Patrouillen, die durch die Innenstadt rasen und zivile Autos rammen. Oder im unterschiedlichen Wert menschlichen Lebens, wie Nazanin bitter feststellt: „Wenn ein deutscher Soldat hier umkommt, wird darüber im Fernsehen berichtet. Aber wenn ein Afghane stirbt, oder Dutzende, ist das egal.“ Der materialreiche Dokumentarfilm zählt Schlüsselprobleme des Landes aus der Innenperspektive auf. Bei der Recherche profitierte Gerner von seinen Kultur- und Sprachkenntnissen. Es tut gut, grundlegende Probleme Afghanistans mal nicht vom Panzer-Spähwagen herab, sondern aus der Mitte der Gesellschaft auf Dari erklärt zu bekommen. Dafür geht der Filmemacher ein hohes Risiko für seine Protagonisten ein. Im Innenhof ihres Hauses erklärt eine Polizistin, dass ihre Kolleginnen nicht an dem Film teilnehmen wollen, schließlich würde man in der Schule ihres Sohns bereits darüber sprechen, dass sie den Ausländern Interviews gebe. „Zuviel Offenheit könnte andere beleidigen“, sagt Nazanin und deutet an, dass nicht nur gesellschaftliches Engagement, aber auch schon das Reden mit Ausländern zu Repressalien führen könnte. „Generation Kunduz“ meint eben auch die ausländischen Berichterstatter, die mit den ethischen Dilemmata journalistischen Arbeitens in repressiven Gesellschaften konfrontiert sind: Wie viel Ortsnähe ist möglich, ohne die Protagonisten in Gefahr zu bringen? Wie lange kann man auf Augenhöhe über ein Land berichten, ohne mit dessen Menschen sprechen zu können?
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