Drama | USA 2011 | 91 Minuten

Regie: Gus Van Sant

Ein junger Mann, der seit dem Unfalltod seiner Eltern ein zurückgezogenes Außenseiterdasein führt, lernt eine junge Frau kennen und lieben, die an Krebs im Endstadium leidet. Ein zwischen populärem Adoleszenzdrama und experimentellen Ansätzen oszillierender Film um eine junge Liebe, die sich gegen den nahenden Tod stemmt. Zwar zielt das Zelebrieren lebensbejahender Lebensfreude im süßlichen Retro-Look an der thematisierten Erfahrung von Trauer und Tod vorbei; gleichwohl gelingen dem Film dank ausdrucksstarker Erzählelemente und überzeugender Hauptdarsteller einige berührende Momente. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
RESTLESS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Columbia Pic./Imagine Ent./360 Pic.
Regie
Gus Van Sant
Buch
Jason Lew
Kamera
Harris Savides
Musik
Danny Elfman
Schnitt
Elliot Graham
Darsteller
Henry Hopper (Enoch) · Mia Wasikowska (Annabel) · Ryô Kase (Hiroshi) · Schuyler Fisk (Elizabeth) · Jane Adams (Mabel)
Länge
91 Minuten
Kinostart
20.10.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Es gibt wohl kaum einen anderen Regisseur, der sich so souverän und leichthändig zwischen unabhängig produziertem Autorenkino und Hollywood hin- und her bewegt wie Gus Van Sant. Nachdem der Filmemacher Anfang der 1990er-Jahre zu seinen experimentellen Anfängen und unkonventionellen Erzählweisen zurückgekehrt war, unter Einsatz von Ellipsen, Wiederholungen und chronologischen Verschiebun-gen, schuf er mit dem viel beachteten „Milk“ (fd 39 134) im Anschluss daran ein eher klassisches Biopic. Doch egal, welche Größenordnung Van Sant bisher auch immer wählte: Seine Filme waren immer recht eindeutig an ein entweder ausgewähltes oder ein breites Publikum gerichtet. In diesem Sinn gab es in seinem Filmschaffen keine „Unfälle“, selbst wenn der eine oder andere Film nur wenige Zuschauer fand. „Restless“ fehlt diese konzeptionelle Klarheit hingegen von Anfang an. Unentschieden schlingert der Film zwischen den Konventionen eines populären Independent-Adoleszenz-Dramas und „autorenhaften“ Ansätzen, die klassischen Erwartungen eher zuwider laufen. Mit der Konzentration auf zwei jugendliche Außenseiterfiguren schließt „Restless“ zunächst an Filme wie „Elephant“ (fd 36 420) oder „Paranoid Park“ (fd 38 716) an. Enoch und Annabel begegnen sich auf einer Beer-digung. Beide sind auf jeweils spezifische Weise mit dem Tod verbunden; sie erkennt diese Komplizenschaft sofort, während er zunächst ausweicht, sich ertappt fühlt. Denn Enoch ist schwer traumatisiert, seitdem er seine Eltern bei einem Autounfall verloren hat. Er geht nicht zur Schule und meidet gesellschaftlichen Kontakt, mischt sich als „funeral crasher“ aber regelmäßig unter die Gemeinschaft fremder Trauergäste, wobei er mehr einem Schlafwandler gleicht als einem, der aktiv am Leben teilnimmt. Sein einziger ständiger Begleiter ist Hiroshi, der Geist eines japanischen Kamikaze-Piloten, der ebenso unvermittelt auftaucht wie er wieder verschwindet. Annabel ist dagegen lebensbeja-hend und charmant, obwohl oder vielleicht gerade deshalb, weil ihr nicht mehr lange zu leben bleibt: Sie hat Krebs im Endstadium. Das Besondere an „Restless“ ist, dass Gus Van Sant aus dieser Konstellation entgegen allen gängigen Erwartungen keine Krankheits- und Leidenserzählung macht, sondern eine Liebes- und Freundschaftsgeschichte unter besonderen Vorzeichen. Statt tränenreichen Abschiedsgesprächen, Verzweiflungsanfällen oder Krankenhaus-Realismus gibt es Ausflüge in die Natur, die Euphorie einer Halloween-Party, eine erste gemeinsame Nacht in einer Waldhütte, Reden über Insekten und Vögel und den Kreislauf des Lebens. Diese dem Tod trotzende Haltung könnte an sich durchaus funktionieren, wäre sie nur nicht so abgekoppelt von allem Zeitgenössischen, von allem Schnelllebigen und Rauen. Enoch spielt Schiffe versenken, Annabel sortiert Süßigkeiten und zeichnet in der freien Natur, beide lieben Vintage-Kleider und Milch-Shakes. Mitunter erinnert „Restless“ an einen Ausflug in einen hübschen Retro-Laden: Alles ist so süß und behütet und mit netter Musik zugeklebt, als wolle man dem Todesthema mit aller Gewalt die Schwere austreiben. Doch das Zelebrieren von Tapferkeit und lebensbejahendem Zeitvertreib entwickelt ein ganz eigenes Pathos, das zudem an den Erfahrungen von Verlust und Tod vorbeizielt. Dass die Erzählung dramaturgisch keine großen Bögen macht und Van Sant stattdessen eher atmosphärische Situationen aneinander reiht, ist dabei nicht das Problem; doch die hypnotischen Stimmungen, die der Regisseur in früheren Filmen gerade durch Stillstand, Brüche und enigmatische Leerstellen erzeugt hat, sucht man hier vergebens. An ihren Platz sind nun eher ungebrochene Formen der Emotionalisierung getreten. „Restless“ verfügt dennoch über einige schöne Ideen, wie die des imaginären Freundes Hiroshi, dessen Beschaffenheit (Geist, Wahnvorstellung, Wiedergänger) bis zuletzt offen bleibt. Auch eine herzzerreißende Sterbeszene, die das Filmende andeutet und sich plötzlich als Spiel zwischen Enoch und Annabel herausstellt, dann aber zum Streit über den Tod und die ihm angemessene Reaktion gerät, gehört zu den besseren Ideen dieses Films, der sich nicht zuletzt durch das intensive Zusammenspiel von Henry Hopper und der großartigen Mia Wasikowska halbwegs zu retten vermag.
Kommentar verfassen

Kommentieren