Der Preis für den unsinnigsten Filmtitel des Jahres dürfte diesem britischen Arbeiterdrama sicher sein. Im Ursprungsland heißt der Film schlicht „Made in Dagenham“, was dem nicht-britischen Publikum zugegebenermaßen nicht viel sagt. Seit 1931 lässt Ford in der Londoner Vorstadt Dagenham Autos produzieren; zeitweise arbeiteten über 40.000 Menschen in dem gigantischen Industriekomplex. Auf dem Höhepunkt der Swinging Sixties kam es hier zu einem geschichtsträchtigen Arbeitskampf. 187 Näherinnen traten für bessere Arbeitsbedingungen und geschlechtliche Gleichbehandlung in den Streik und stießen eine politische Debatte an, die 1970 ins erste britische Gleichstellungsgesetz mündete. In einer Szene spannen die Frauen aus Dagenham in der Londoner Innenstadt ein Transparent auf: „We Want Sexual Equality.“ Doch der Stoff verhakt sich so, dass eine Weile nur „We Want Sex“ zu lesen ist. Das ist ein netter Scherz, der schnell vorbei geht und ebenso schnell vergessen ist. Ihn zum Titel zu erheben, darauf muss man erst einmal kommen. Den deutschen Verleih trifft ausnahmsweise keine Schuld. „We Want Sex“ ist der Titel für den internationalen Markt, der, so lässt sich vermuten, mehr damit anfangen kann, dass Nigel Cole zuletzt die „Kalender Girls“
(fd 36 307) auszog. Passend dazu sitzen nach dem Vorspann 187 Näherinnen in einem als Werkhalle getarnten Glutofen und knöpfen sich die Kittel auf. Die Laune ist gut, dann treibt die Werkssirene zur Arbeit an. Nach einer Weile kommt ein Betriebsrat um die Ecke, hält sich die Augen zu und ruft die Frauen zusammen. Er berichtet, dass Ford es weiterhin ablehne, sie als Fachkräfte zu bezahlen, und lässt über den Streik abstimmen. Alle sind dafür. Deshalb kommt es erstmals in Großbritannien zum Ausstand einer rein weiblichen Belegschaft.
Am Anfang geht es den Streikenden um mehr Anerkennung und eine Lohnerhöhung. Dann um das große Ganze: Gerechtigkeit für alle arbeitenden Frauen. An der Spitze der Bewegung steht Rita O’Grady, Mutter zweier Kinder und Ehefrau eines Ford-Arbeiters. Sie ist nicht zur Heldin geboren, rutscht in diese Rolle hinein und wächst an ihrer Aufgabe. So wie Sally Hawkins sie spielt, ist sie für eine Frau, die nichts umhauen kann, vielleicht etwas nah am Wasser gebaut. Dafür hat sie einen langen Atem. Den braucht sie auch, denn als der Frauenstreik die gesamte Produktion lahm legt, stellt das die Solidarität der männlichen Kollegen auf eine harte Probe. Auch im Kino müssen engagierte Arbeiterfrauen alles doppelt so gut machen wie ihre männlichen Vorläufer. Während sich diese stets auf den Rückhalt der Familie verlassen können, sind die Frauen irgendwann – wenn auch nur vorübergehend – auf sich allein gestellt. In der Regel springt dann ein außenstehender Mann mit Rat und Zuspruch ein. In „Norma Rae“
(fd 22 069), dem stilbildenden Klassiker dieses „Genres“, ist dies ein in die Provinz gereister Gewerkschaftsfunktionär aus New York, in „We Want Sex“ füllt Bob Hoskins als gewiefter Betriebsrat diese Rolle aus. Beide Filme gleichen sich auch darin, dass die außenstehenden Männer als erste das Potenzial der Heldinnen erkennen und sie ermutigen, ihre eigene Stärke zu entdecken.
Der Streik von Dagenham war einer der letzten Triumphe der damals noch weitgehend unregulierten britischen Gewerkschaften; das erklärt vielleicht, warum „We Want Sex“ so viel peppigen Optimismus verströmt. Cole erzählt den Kampf vom erfolgreichen Ende her: Alles ist schön bunt, Probleme und Hindernisse lassen sich leicht als bloße Drehbuchkniffe durchschauen. Dass einige Gewerkschaftsbosse mit der Industrie „im Bett liegen“ und das Anliegen der Frauen hintertreiben, ist vor allem Anlass zur Komödie; die Chauvinisten werden ordentlich eingeseift, und von der Globalisierung hat natürlich noch niemand etwas gehört. Selbst wenn der Ford-Unterhändler in Westminster mit dem Abzug der Fabriken droht, sieht das weniger nach hoher Politik als nach einer Folge der britischen Sitcom „Yes, Minister“ aus. Am Ende ist die rätselhafte Titelwahl sogar für den gesamten Film bezeichnend. Es genügt Cole und den Produzenten nicht, die Geschichte eines historischen Arbeitskampfes zu erzählen. Stattdessen machen sie daraus ein Rührstück weiblicher Solidarität und wickeln es in die Aufbruchsstimmung der späten 1960er-Jahre ein. Langweilig ist das nicht, aber man wird mehr als einmal für ziemlich dumm verkauft. Niemand will hier Sex, und auch sonst hätte etwas mehr Realismus nicht geschadet.