Die Zeit ihres Lebens

Dokumentarfilm | Großbritannien 2008 | 70 Minuten

Regie: Jocelyn Cammack

Dokumentarfilm über Bewohnerinnen eines Altersheims in London, die um die 100 Jahre alt sind und von ihrem Leben in der privilegierten Residenz, ihrem Erleben des Alters, vor allem aber auch aus ihrer reichen Lebenserfahrung und von ihrem Einsatz als intellektuelle, gesellschaftspolitisch engagierte Bürgerinnen erzählen. Ganz auf ihr Charisma setzend, entfaltet sich ein ruhiges, dem Lebensrhythmus der alten Frauen angepasstes Porträt, das vor allem ihrer Energie sowie ihrer Souveränität Respekt zollt, ohne dabei die schmerzhaften und negativen Seiten von Alter und Sterben auszublenden. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE TIME OF THEIR LIVES
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Certain Pic./Redbird Prod.
Regie
Jocelyn Cammack
Kamera
Michael O'Halloran
Musik
John Avey
Schnitt
Fred Hart
Länge
70 Minuten
Kinostart
04.11.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Veröffentlicht am
10.11.2010 - 15:30:27
Diskussion
Altersheime werden für die Medien normalerweise erst dann interessant, wenn dort etwas schief läuft, es auf Pflegenotstand oder Vernachlässigung aufmerksam zu machen gilt. Die Dokumentation von Jocelyn Cammack werde wohl keinen Erfolg haben, mutmaßt deshalb eine der Protagonistinnen am Ende des Films. Denn es geht den britischen Damen, die um die 100 Jahre alt sind und diesen Film tragen, durchaus nicht schlecht, und wenn, dann ausschließlich wegen der Grenzen, die ihnen ihre körperliche Gebrechlichkeit auferlegt, nicht wegen mangelhafter Pflege. Cammack geht es nicht um alte Menschen als Objekte des Fürsorgesystems, sondern um die Menschen selbst: um Hetty, Rose und einige andere Frauen, die zu Wort kommen und über ihr Leben erzählen; über ihr Dasein im Heim, aber auch über ihre Vergangenheit, ihre Berufe und Familien. Die Ladys sprechen über Gesellschaft und Politik, ihr Erleben des Alters und ihr Verhältnis zum Tod und zur Religion. Sie reden von dem, was ihnen wichtig ist. Das ist eine ganze Menge, denn die Frauen sind geistig hellwach und recht meinungsfreudig. Und engagiert: Hetty, die Journalistin, verfasst nach wie vor Kolumnen, auch wenn sie wegen ihrer Augen nicht mehr selbst tippen kann; Rose, geradezu eine Ikone der Friedensbewegung, besucht immer noch die ein oder andere Demo: Der britische Kriegseinsatz im Irak und in Afghanistan ist ihr ein Dorn im Auge. Die Seniorenresidenz Mary Fielding Guild im Norden Londons ist zweifellos ein privilegierter Ort. Hier werden keine extrem pflegebedürftigen Patienten aufgenommen; wenn die Bewohner im Lauf der Jahre mehr Hilfe benötigen, erhalten sie diese selbstverständlich; doch Neuzugänge müssen geistig fit und in der Lage sein, aus der Residenz ein Heim für sich zu machen, Kontakte zu knüpfen und sich einzuleben. Es sind großteils Intellektuelle, Vertreter eines gebildeten Bürgertums, die hier wohnen. Neben den Pflegerinnen und der Heimleiterin betreuen sich die SeniorInnen sozusagen gegenseitig – durch die Freundschaften, die sie schließen, durch das gegenseitige Sich-Gesellschaft-Leisten. Hier geht es tatsächlich um eine Lebensgemeinschaft, nicht um eine Notlösung. Commack verzichtet darauf, die Erzählungen ihrer Protagonistinnen mit Archivbildern, Fotos oder sonstigen Materialien zu unterfüttern, sondern überlässt ihren Film klugerweise ganz dem Charisma der alten Frauen, deren Lebensabend man ein Stück weit teilt. Die Porträts, die dabei entstehen, sind in ihren Tonlagen so vielfältig wie die Lebensgeschichten, denen sie sich annähern: Es gibt Momente großer Trauer, Frustration über die Beschwerden des Alters, die die Frauen gleichwohl ohne Wehleidigkeit benennen, vor allem den Ärger über die Schwäche, nicht mehr so zu können, wie man will. Es klingen aber auch komisch-humorvolle Momente an, und vor allem vermittelt sich der große Reichtum an Erfahrungen und Erinnerungen. Interviewszenen wechseln mit kleineren Exkursionen, Spaziergängen und den Beobachtungen des beschaulichen Alltags in und um das Heim: Gärtner, die das parkartige Umfeld des Heims in Schuss halten, Physiotherapiesitzungen, gemeinsames Teetrinken, Hetty, die eine Kolumne schreibt. Cammack verspinnt das alles zu einem sehr gemächlichen, dem Rhythmus ihrer Figuren angepassten „Alterswerk“ ohne bemühte Idealisierungen, aber mit viel Respekt vor den Frauen, die vor allem eins auszeichnet: die große Souveränität, mit der sie bis ins höchste Alter darum ringen, ihr eigenes Leben, aber auch die Gesellschaft zu gestalten. „Die Zeit ihres Lebens“ tourt im Rahmen des Festivals „überMut“ durch die Kinos. Infos: www.diegesellschafter.de
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