Dass ein Bösewicht höchst verstörend sein kann, auch wenn er idiotisch aussieht, hatte schon Javier Bardem in „No Country for Old Men“
(fd 38 601) bewiesen. Heath Ledgers Darstellung als Joker, die durch seinen Tod an morbider Faszination gewonnen hat, erinnert an diesen Auftritt, auch wenn Ledgers genüssliches Overacting wenig mit Bardems eher kühlem Spiel gemein hat. Wieder ist es das komplett Irrationale der Figur, das den Schrecken ausmacht. Mit hängenden Schultern, verschmierter Clownsschminke und einer zum Tick überhöhten, schmatzenden Mundbewegung, die aussieht, als würde ein Chamäleon eine Fliege verspeisen, strahlt Ledger nicht die diabolisch-genießerische Zirkusgrandezza aus, die Jack Nicholson („Batman“, fd 27 905) einst der Rolle verlieh. Schmächtiger und heruntergekommener ist sein Joker. Allerdings steigert die Kluft zwischen beschädigtem Äußeren und makelloser, weil sinnfreier Bösartigkeit das Beunruhigende der Figur. Sie wirkt bisweilen, als hätte sich ein Dämon eines menschlichen Leibes bemächtigt, dessen Sprechapparat und Muskeln er nur fast, aber nicht ganz wie ein Mensch beherrscht. Wo der Joker herkommt, wie er wurde, was er ist und was er eigentlich will, bleibt unklar. Wie die gleichnamige Spielkarte ist er eine Art Leerstelle. Stark macht ihn neben der Tatsache, dass er sich bestens mit Sprengstoffen auskennt, sein Talent, die Schwächen anderer auszunutzen: ihre Gier, ihre Skrupellosigkeit, ihre Angst, Wut oder Liebe.
Dazu bekommt er in „The Dark Knight“ reichlich Gelegenheit. Denn an Emotionen, die manipuliert werden können, mangelt es in dem Film nicht, der sich zwischen sorgsam dosierten und choreografierten Action-Sequenzen zur großen tragischen Oper entwickelt. In deren Zentrum: Bruce Wayne alias Batman. Hatte er in „Batman Begins“
(fd 37 111) aus seinem Kindheitstrauma heraus zu einer (wenn auch gespaltenen) Identität gefunden, bleibt er hier zunächst eher uninteressant – ein simpler Rächer, der in heiligem Zorn unter die kleineren und größeren Verbrecher von Gotham City fährt. Dabei steht Batman nicht allein da. Denn auch der unermüdliche Polizist James Gordon und der charismatische neue Staatsanwalt Harvey Dent haben der organisierten Kriminalität den Kampf erklärt. Als die gehorteten Geldvorräte der Mafia-Clans bedroht werden und Batman einen asiatischen „Geschäftspartner“ in einer gewagten Aktion aus Hongkong zurück nach Gotham befördert, damit er vor Gericht gegen die Syndikate aussagt, sehen sich die Unterweltbosse genötigt, das Angebot des Jokers anzunehmen, ihre Gegner auszuschalten. Der aber spielt sein eigenes Spiel, um Batman zu enttarnen und Gotham effizient ins Chaos zu stürzen. Bruce Wayne will indes Harvey Dent unterstützen, Gothams „weißen Ritter“, der mit den Mitteln des Rechtsstaats gegen das Verbrechen vorgeht. Dessen Erfolge sollen es eines Tages überflüssig machen, den von keiner demokratischen Instanz legitimierten Batman ins Feld zu führen. Allerdings steckt ein Stachel in dieser Partnerschaft, ist Dent doch der neue Freund von Bruce’ Geliebter Rachel.
Im Zuge dieser Verwicklungen und gespiegelt durch die vorzüglich besetzten und konturierten Nebenfiguren, gewinnt die Titelfigur schließlich an jener aus Ambivalenzen geborenen Tiefe, die sie bereits in Nolans erstem „Batman“-Film auszeichnete. Ihr Konflikt erinnert an John Waynes Rolle in „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“
(fd 11 449): Bruce weiß, dass Recht und Ordnung auf fragwürdigen Füßen stehen, wenn sie mit illegalen Methoden durchgesetzt werden. Doch fühlt er sich angesichts der Macht der Kriminellen genötigt, am Gesetz vorbei als dunkler Erlöser Batman die Sünden auf sich zu nehmen, die begangen werden müssen, um Gotham zu „säubern“: Ein „freier Held“, der sich über die Regeln des Gesellschaftsvertrags hinweg setzt und das tut, was die offiziellen Stadtväter tun wollen, aber nicht dürfen. Wagners „Ring“ klingt da leise an: Batman wird zu einer Art postmoderner Siegfried-Gestalt; der Joker ist mit seiner Vorliebe fürs Zündeln und für doppelte Spiele ein Trickster, ein Loge/Loki, der es schafft, im anarchistischen „Weltenbrand“ die Hoffnung auf ein von Rechtsstaatlichkeit geleitetes Gotham fast zunichte zu machen. Etwas eindeutig Gutes scheint in dieser verkommenen (und gar nicht Comic-haft inszenierten) Welt keine Chance zu haben. So pessimistisch in seinem Menschenbild war lange kein Mainstream-Film mehr. Das ist denn auch das Sinistre an der Joker-Figur, an Batman und am ganzen „The Dark Knight“: Sie brennen über die Leinwand als Alb- und Wunschtraum einer erschöpften Demokratie, die vom organisierten Kollektiv nichts mehr und vom starken Einzelnen alles fürchtet und erhofft. „Big Brother Batman“ ist ein wahrlich sehr schwarzer Ritter.