Ein amerikanisches Paar mit erheblichen Beziehungsproblemen legt auf der Rückreise nach New York in Paris, der Heimatstadt der Frau, einen Zwischenstopp ein, wobei es mit seiner Vergangenheit, rechtsradikalen Taxifahrern und Relikten aus der 68er-Bewegung konfrontiert wird. Für den Amerikaner gerät der Aufenthalt zum Spießrutenlauf. Temporeiche Liebeskomödie mit pointierten Dialogen, zugleich eine bissige Gesellschaftssatire über die Unterschiede zwischen Amerika und dem „alten“ Europa. Ein intelligentes Filmvergnügen als Regiedebüt der überzeugenden Hauptdarstellerin.
- Sehenswert ab 14.
2 Tage Paris
- | Frankreich/Deutschland 2006 | 97 Minuten
Regie: Julie Delpy
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Filmdaten
- Originaltitel
- DEUX JOURS À PARIS
- Produktionsland
- Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Polaris Film/3L Filmprod./Tempête Sous un Crâne/Backup Media
- Regie
- Julie Delpy
- Buch
- Julie Delpy
- Kamera
- Lubomir Bakschew
- Musik
- Julie Delpy
- Schnitt
- Julie Delpy
- Darsteller
- Julie Delpy (Marion) · Adam Goldberg (Jack) · Daniel Brühl (Lukas) · Marie Pillet (Anna) · Albert Delpy (Jeannot)
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Diskussion
Dass Schauspieler ins Regiefach wechseln, gehörte früher zu den seltenen Fällen von Doppelbegabung. Orson Welles war einer von ihnen, auch die Schauspielerin, Produzentin, Autorin und Regisseurin Ida Lupino, die im Hollywood der 1950er-Jahre als zweite Frau in die Director’s Guild aufgenommen wurde. Schauspielerfilme gibt es inzwischen en masse, von Robert De Niro über George Clooney bis zu Agnès Jaoui. Die 37-jährige Französin Julie Delpy inszeniert sich schon länger als Multitalent: Bereits für Richard Linklaters „Before Sunset“ (fd 36533), in dem sie eine Hauptrolle spielte, arbeitete sie am Drehbuch mit. In ihrem ersten langen Spielfilm hält die seit Jahren in Los Angeles lebende Schauspielerin mit Regiediplom von der Filmschule in New York, die neuerdings auch als Pop-Sängerin zu hören ist, alle Fäden in der Hand: Regie, Drehbuch, Casting, Schnitt, Hauptrolle, Soundtrack.
Nicht weniger ambitioniert ist auch der Ansatz ihrer transatlantischen Liebeskomödie, die sich im gleichen Tempo wie die rasanten und pointenreichen Dialoge als bissige Gesellschaftssatire präsentiert. Ein amerikanisches Paar – die Fotografin stets mit riesigen Sonnenbrillen und hyperbunten Kleidern overdressed, der Innenausstatter in der typischen New Yorker Intellektuellenkluft – macht auf der Rückreise von Venedig nach New York einen kurzen Zwischenstopp in Paris. Bereits der Aufenthalt in der Lagunenstadt erwies sich für die zwei Mittdreißiger als weniger romantisch als erwartet. Streitereien und Missverständnisse lassen das Beziehungsbarometer in frostige Tiefen absacken. Auch die Stadt der Liebe entpuppt sich als kaum der richtige Ort für versöhnliche Momente. In Marions Heimatstadt macht Jack in gerade mal 48 Stunden Bekanntschaft mit gleich mehreren Ex-Lovern, promisken Jugendfreunden, diversen ultrarechten Taxifahrern und mit den immer noch militanten 68er-Eltern seiner Liebsten – gespielt von Delpys eigenen Eltern –, die den Neurotiker mit U-Bahn-Phobie gleich mit einer ganzen Kaskade antiamerikanischer Vorurteile begrüßen. Je länger das Spießrutenlaufen für den immerhin Bush-kritischen Amerikaner andauert, desto mehr richtet er sich in seinen Blessuren ein.
Adam Goldberg ist in der Rolle des vom Kulturschock paralysierten Sündenbocks eine perfekte Besetzung, und auch die anderen Beteiligten gehen in ihren so lebensnahen wie charakterstarken Rollen sichtlich auf. Das gibt genug Stoff für den Austausch interkultureller Ressentiments samt verzwickten Situationen: peinliche Begegnungen mit Louvre-wütigen Landsleuten oder globalisierungskritischen Nachwuchsrevoluzzern in Gestalt von Daniel Brühl inklusive. Das Ergebnis ist eine amüsante Zustandsbeschreibung der Unterschiede zwischen Amerikanern und Europäern, ganz in der Tradition von Woody Allens heiter-dramatischen Großstädter-Porträts. Thematisch ähnlich angelegt waren auch Linklaters Romanzen „Before Sunrise“ (fd 31270) und „Before Sunset“ (fd 36533) – nur dass Delpys „Familienfilm“ nicht idealisiert, sondern mit erfrischend unbekümmerter Heftigkeit Mythen, Klischees und Projektionen auf beiden Seiten so lange entlarvt, bis kein Auge trocken bleibt.
„2 Tage Paris“ ist mit aller inszenatorischen Leichtigkeit und all dem prickelnden Humor das genaue Gegenteil von „Before Sunset“ und dennoch nicht weniger liebenswürdig. Gedreht mit einer Handkamera, die dem notorisch diskutierenden Paar unauffällig in die Pariser Hinterhöfe folgt, verzichtet Delpy gänzlich auf pittoreske Abbildungen der zu Tode fotografierten Stadt. Umklammert von Marions Stimme, die rückblickend aus dem Off das Geschehen mit einer gehörigen Portion Abgeklärtheit kommentiert, bewegt sich die Regie traumwandlerisch sicher zwischen „culture clash“ und Beziehungswirrwarr. Nach und nach fügen sich die Szenen einer arg geprüften Beziehung zum schillernden Mosaik unterschiedlichster Befindlichkeiten und einem stimmigen Zeitbild. Es spielt keine Rolle, wie unsensationell das Thema sein mag; Vergnügen bereiten die intelligenten, schnellen Dialoge und die gut aufgelegten Schauspieler. Julie Delpy hat aus all dem eine lebensfrisch kluge, schwungvolle, überaus witzige Komödie gemacht. Nicht zu vergessen der mit beeindruckender Kenntnis der französischen Indie-Szene zusammengestellte Soundtrack, darunter Delpys wunderbar verspieltes Solo „Lalala“ mit der auch in Deutschland erfolgreichen Pariser Formation „Nouvelle Vague“. Wer dem scharf analysierenden Esprit des Woody Allen von einst nachtrauert, findet hier eine ebenbürtige französische Antwort.
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