Der Dokumentarfilm porträtiert vier im Gefängnis sitzende Hochstapler und umkreist anekdotisch das Geheimnis ihrer Arbeitsweise sowie ihr jeweiliges Menschenbild. Dabei beleuchtet er ebenso unterhaltsam wie raffiniert die zumeist komplexen Täter-Opfer-Beziehungen und wirft ein Schlaglicht auf Menschen, die irgendwann einmal jemand Besonderes sein möchten, und sei dies auf der Basis von Fiktion, Lüge und Kredit.
- Ab 14.
Die Hochstapler
Dokumentarfilm | Deutschland 2006 | 87 Minuten
Regie: Alexander Adolph
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2006
- Produktionsfirma
- Leykauf Film/BR
- Regie
- Alexander Adolph · Nina Ergang
- Buch
- Alexander Adolph
- Kamera
- Susanne Schüle · Estella Sanz Posteguillo
- Musik
- Dieter Schleip
- Schnitt
- Nina Ergang
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
„Nicht der Widerwille vor der Welt, in der alle verraten, verkaufen und betrügen, macht viele Menschen zu Eigenbrötlern, sondern die Furcht davor, nicht genug Kraft zu haben, unablässig zu misstrauen, zu spiegelfechten und zu plündern.“ So schön ambivalent hat Walter Serner es zwischen 1918 und 1927 in seinem legendären „Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen“ unter dem Titel „Letzte Lockerung“ beschrieben. Seit den Zeiten von Till Eulenspiegel, Karl May, dem Hauptmann von Köpenick oder Felix Krull, nicht zu vergessen Ernst Lubitschs grandiosem „Ärger im Paradies“ (fd 16 022), besitzen Hochstapler den Glamour, der Gesellschaft insofern lässig einen Spiegel vorzuhalten, als ihr krimineller Instinkt auf den Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, verweist. Deshalb genießen sie immer auch eine Art augenzwinkernde Sympathie, jedenfalls so lange, bis man ihnen selbst zum Opfer fällt. Der bislang eher als Drehbuchautor („Tatort“) aufgefallene Alexander Adolph hat für sein Kinodebüt „Die Hochstapler“ vier solcher „Händler von Fiktionen“ vor der Kamera interviewt, die anekdotisch ihr Geheimnis umkreisen: wie sie gearbeitet haben, wie ihr Menschenbild aussieht – und wie richtig sie damit zumeist lagen.
Tatsächlich funktionieren die Fiktionen, die die Hochstapler entwickeln und auf deren Basis sie dann arbeiten, ausschließlich deshalb, weil die Geldgier ihrer Opfer deren Verstand paralysierte. Oder würde man sonst einem nahezu Unbekannten ein paar Millionen anweisen, nur weil der erzählte, dass er zum Millennium mit einer ausgemusterten NASA-Rakete einen bemannten Flug zum Mond plane, dessen Live-Übertragung eine erstklassige Werbeplattform abgebe? Die Trickbetrüger nutzen die Gunst des passenden Augenblicks! Beispielsweise durch die Anmietung einer schönen Villa in Mallorca, die bereits ein paar Stunden später an irgendeinen gutgläubigen „Kunden“ gegen eine satte Vorauszahlung verkauft wird. Oder sie spekulieren auf die Fantasien ihrer Opfer.
Hier wird erzählt, wie man die High Society, Banken oder Immobilienkäufer nonchalant übers Ohr haut, was ausgesprochen komisch ist, weil Schadenfreude noch immer die schönste Freude ist. Doch der besonnene Film geht noch weiter. Er dreht den Spiegel um, bis die Täter selbst in den Blick kommen: mit ihrer Großmannssucht, ihrer Machtgeilheit, ihren Ängsten und Wünschen, Profilneurosen und Spleens. Alle Protagonisten sitzen derzeit im Knast, teilweise in Sicherungsverwahrung. Offen bleibt, inwieweit die biografischen Erzählungen selbst nur Fiktionen oder Mystifikationen sind. Letztlich wird auch eine große Einsamkeit um die Täter herum spürbar, die sich als Einzelgänger beschreiben. Solcherart wird das Defizitäre der Hochstapler-Existenz offen gelegt: „Wenn ich jemandem Vertrauen schenke, bin ich verletzlich“, erklärt einer der Täter. Und: „Ein Betrüger glaubt im Prinzip nichts!“ Alexander Adolph lässt die Täter ausführlich sprechen, lässt sie ihre persönlichen Zurechtlegungen als moralisch überlegene strafende Instanz des Gierkapitalismus entwerfen, bringt aber auch Opfer, Eltern oder Freunde, die zu Opfern wurden, ins Gespräch. Aus deren Perspektive bekommt der Handel mit Fiktionen auf freundschaftlicher Basis etwas sehr Brutales. Die Täter-Opfer-Beziehung erscheint durchaus komplex, wenn einer der Täter zu Protokoll gibt, dass sich seine Kunden an seinem Geldvernichtungswahn erfreut hätten, weil er in deren Augen modellhaft den Erfolg vorgelebt habe. So setzt sich das Puzzle Stück für Stück auf eine ebenso spannende wie beklemmende Weise zu einem Gesamtbild zusammen: unterhaltsam und raffiniert erzählt „Die Hochstapler“ vom Leben in Deutschland, von der Geldgier („Geiz ist geil!“) und vom Wunsch, irgendwann mal „somebody“ zu sein. Und sei es auf der Basis von Fiktion, Lüge und Kredit.
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