Sie sind eine rare Spezies, die „guten Deutschen“ im Berlin des Jahres 1945. Nicht nur wegen denen, die unmittelbar am Nazi-Regime partizipiert haben. Denn was hat der Rest, der sowohl die NS-Verbrechen als auch den Krieg überstanden hat, getan oder unterlassen, um zu überleben? Die Frage nach der Schuld, nach der Verantwortung für den Holocaust und für den Krieg, stellen jedoch nur wenige, auch unter den Vertretern der alliierten Siegermächte, die mehr damit beschäftigt sind, aus den Ruinen des Dritten Reichs Profit zu machen und die eigene Macht zu stärken. Nicht nur gute Deutsche sind eine Seltenheit in Steven Soderberghs Adaption eines Romans von Joseph Kanon; der Film ist eine hochstilisierte Noir-Ballade, und entsprechend zwielichtig ist das Pflaster, auf das er seinen Helden, einen der wenigen Aufrechten des Films, schickt.
„Casablanca“
(fd 19 478), der Film-Klassiker von Michael Curtiz, ist die Folie, die Soderberghs Werk zugrunde liegt: in seiner bestechenden Schwarz-Weiß-Ästhetik, in der höchst melodramatischen Musik. Wie im Original gibt es den abgebrühten, aber integren Helden (George Clooney), eine schöne, traurige und unheilvoll in die politischen Wirren verstrickte ehemalige Geliebte (Cate Blanchett), deren Ehemann, den sie schützen will, obwohl sie ihn nicht liebt, und viele undurchsichtige Nebenfiguren. Während in Japan noch gekämpft wird, ist der Zweite Weltkrieg in Deutschland bereits entschieden; die Alliierten kommen in Potsdam zusammen, um das in Besatzungszonen zerschlagene Reich neu aufzuteilen. Jake Geismar, ein amerikanischer Kriegskorrespondent, dem Berlin noch aus Vorkriegstagen bekannt ist, soll über die Konferenz berichten. Zufällig trifft er Lena wieder, mit der er einst eine Affäre hatte, und wird durch die Begegnung erneut unwiderstehlich in den Bann der Frau gezogen. Lena ist mit Jakes Chauffeur, einem windigen kleinen Gauner, liiert – mehr geschäftlich als dessen Hure denn aus romantischen Gefühlen – und schleppt ein düsteres Geheimnis um ihren verschollenen Ehemann mit sich herum, der von Amerikanern und Sowjets gleichermaßen gejagt wird. Jake stellt Nachforschungen an, vor allem um Lena schützen zu können. Doch spätestens, als der erste Mord geschieht, ahnt er, dass er sich auf ein Spiel eingelassen hat, das er ebensowenig durchschauen wie kontrollieren kann.
Von seinem Vorbild unterscheidet sich „The Good German“ vor allem durch seine offensiv ausgestellte Künstlichkeit. Der Retro-Look und -Klang des Films, der Schauspielstil der Darsteller, der mehr „ikonisch“ als naturalistisch ist, die Arbeit mit der Atmo (die gelegentlich einfach weggelassen wird) sowie der Wechsel von Erzählperspektiven funktionieren wie V-Effekte, die ein auf Identifikation bauendes Versinken in der dargestellten Welt verhindern und den Zuschauer das Gesehene mehr reflektieren als mitleiden lassen. Trotz oder auch gerade wegen der dramatischen Noir-Ausleuchtung der Gesichter und der fast übergroß aufspielenden Orchestermusik im Stil von Michael Curtiz’ Original bleibt der Film seltsam ruhig und distanziert: ein Schattenspiel im wahren Wortsinn, in dem nicht wie in „Casablanca“ der Zweite Weltkrieg zur Folie für eine zeitlose Liebesgeschichte wird, sondern die klassische Liebesgeschichte zur Folie für einen nachdenklichen, bitteren Blick auf das Ende des Zweiten Weltkriegs – ein historisches Sujet, das zur Zeit virulent zu sein scheint. Auch Clint Eastwood und Robert De Niro haben sich kürzlich an eine ähnliche Demontage der Mythen um das amerikanische Engagement gegen Ende des „heißen“ und am Vorabend des Kalten Krieges gemacht, wie Soderbergh sie vornimmt. Ein Kuss ist in seinem zerbombten Berlin eben nicht mehr „just a kiss“, sondern kann auch ein Geschäft sein oder Verrat. Verliebte Seufzer gibt es nicht, und von den schönen „fundamentalen Dingen“, die einst in „As Time Goes By“ besungen wurden, ist nicht viel übrig. Dem tragischen Paar Jake und Lena bleibt kein Paris, sondern nur Berlin: eine Stadt, die „die Beine breit macht“, wie es zu Anfang heißt, einst für Hitler und nun für die, die versuchen, aus den Trümmern das Beste für sich rauszuschlagen. Gerechtigkeit? Spielt kaum eine Rolle. Unschuldig ist keiner mehr. Womit das sperrig-artifizielle Melodram in seiner Weltsicht mehr Roberto Rossellinis neorealistischem Blick auf das Kriegsende in „Deutschland im Jahre Null“ oder Carol Reeds „Der dritte Mann“ ähnelt als „Casablanca“.