- | Deutschland 2006 | 70 Minuten

Regie: Kirsi Marie Liimatainen

Eine 16-Jährige in einer ostdeutschen Plattenbausiedlung reagiert irritiert auf die Veränderung ihres Körpers und die Erkenntnis, dass sie sich eher für Mädchen als Jungen interessiert. Ihre beste Freundin registriert die zaghaften Annäherungsversuche, sieht diese aber eher als Vorstufe für heterosexuelle Erfahrungen. Der sensibel entwickelte Film beschreibt die Identitätskrise der Hauptfigur mit lebensnahen Dialogen und in einer konzentrierten Bildsprache. Die subtile Entwicklungsgeschichte verschenkt dabei einiges von ihrem Potenzial, weil sie trotz der realistischen Machart zu sehr in den jugendlichen Innenwelten verharrt. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
HFF "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg/MDR
Regie
Kirsi Marie Liimatainen
Buch
Kirsi Marie Liimatainen
Kamera
Yoliswa Gärtig
Musik
Friedemann Matzeit
Schnitt
Ronny Bischoff
Darsteller
Sabrina Kruschwitz (Sonja) · Julia Kaufmann (Julia) · Nadja Engel (Sonjas Mutter) · Christian Kirste (Anton) · Joachim Lätsch (Sonjas Vater)
Länge
70 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.

Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (1.85:1, DD2.0dt.)
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Diskussion
Coming-out-Geschichten gehören nicht zur Mangelware im deutschen (Nachwuchs-)Film. Sexuelle Irritation, der abrupte Wechsel zwischen Spiel und Ernst, das Abtasten der eigenen sexuellen Orientierung – all das ist bereits oft abgehandelt worden. Wenn der autobiografisch gefärbte Abschlussfilm der Finnin Kirsi Liimatainen (Jhrg. 1969), Absolventin an der HFF „Konrad Wolf“, dennoch überzeugt, liegt das nicht an der Thematik, sondern an der ruhigen, an die „Berliner Schule“ erinnernden Erzählweise. Immer wieder läuft Sonja, das titelgebende Mädchen, durch ausgedehnte Felder irgendwo in Ostdeutschland. Hinter ihr ragen grau betonierte Plattenbauten auf, deren Kühle keinen Halt vor der Natur macht, die mitten im Sommer ihre vitale Kraft eingebüßt hat. Dennoch sind die blass grünen Wiesen und Wälder rund um die Siedlung für Sonja so etwas wie ein Zufluchtsort vor den täglichen Dramen, die es in der Pubertät auszuhalten gilt: das Unverständnis der allein erziehenden Mutter, die plumpen Nachstellungen der Jungs, den nörgelnden Vater. Wenn sie nicht mit ihrer besten Freundin Julia auf dem Mofa in der Gegend herum fährt, marschiert Sonja stundenlang durchs unbebaute Gelände um die Wohnsilos, und wenn ihr alles über den Kopf wächst, steigt sie zur Abkühlung angezogen in einen See. Allmählich dämmert es der 16-Jährigen, dass sie weniger Interesse für Jungs als für Mädchen empfindet. Ihren Freund, der mit ihr schlafen möchte, hält sie mit Ausreden oder Wutausbrüchen auf Distanz. Nur in Julias Gegenwart entspannen sich ihre Gesichtszüge, bekommt der jugendliche Zorn für kurze Momente Auszeit. Während für die attraktive und selbstbewusste Julia die körperliche Nähe mit der Freundin eine Art Vorstufe zum ersehnten „Ersten Mal“ mit einem Jungen ist, scheint Sonja bereits am Ziel – bis auf das Liebesgeständnis, das ihr aus Angst vor Ablehnung nicht gelingen mag. Im Gegensatz zu ihrer einfach gestrickten Mutter, die über die Neigungen der Tochter entsetzt ist, nachdem sie heimlich deren Tagebuch gelesen hat, nimmt Julia die Annäherungsversuche und zaghaften Zärtlichkeiten willkommen an, obwohl sie ahnt, dass sich Sonja mehr von ihr wünscht als eine Mädchenfreundschaft. Das hält sie nicht davon ab, Ausschau nach einem passenden Kandidaten zu finden, der sie von ihrer Jungfernschaft befreit. Je stärker sich Julia zu emanzipieren beginnt, desto trotziger sucht Sonja einen Befreiungsschlag. Mit einem einfühlsamen Nachbarn des Vaters wagt sie den Sprung ins kalte Wasser; den Geschlechtsakt bringt sie wie ein Opfer hinter sich, das sie der Freundin aber am Ende nicht anvertraut, da ihre Komplizenschaft durch die neuen Erfahrungen zerstört ist. Immer wieder gewährt die Regisseurin ihrer von Eifersucht und Identitätskrise geplagten Hauptfigur Momente des Innenhaltens und zeigt die plötzlichen Einbrüche der Außenwelt in ihr fragiles Gefühlsgefüge mit diskreter Effizienz, lebensnahen Dialogen und hoch konzentrierter Bildersprache. Nur die Musik gerät mitunter arg plakativ. Freilich versäumt es Kirsi Liimatainen, den Figuren ein Leben abseits der amourösen Verstrickungen zu schenken. Welche Zukunftsträume die Mädchen haben, ob sie eine Ausbildung machen oder ob Sonjas Mutter berufstätig ist, erfährt man nie. Bis auf die Verortung des Plots in der sozialen Randlage einer Plattensiedlung fehlen Hinweise auf die deutsche Gegenwart, sodass die subtile Entwicklungsgeschichte trotz der realistischen Machart vakuumverpackt in den jugendlichen Innenwelten verharrt. Ein Plus ist die Selbstverständlichkeit, mit der der Film seine traurige Love Story zwischen zwei Mädchen erzählt, keinerlei Berührungsängste gegenüber der Thematik gleichgeschlechtlicher Liebe zeigt und sie nicht mit äußeren Hindernissen überfrachtet. Am Ende des Sommers scheinen die Fronten für Sonja geklärt, die Zeit der juvenilen Unschuld vorbei. Bleibt zu hoffen, dass auch die begabte Regisseurin mit ihrem nächsten Film den Sprung ins kalte Wasser des Erwachsenenseins wagt.
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