Zurück ins Dorf: Wieder einmal sind Raimunda und Sole aus Madrid gekommen, um das Grab ihrer Eltern in Ordnung zu bringen und um nach dem Haus und der Schwester der Mutter zu sehen. Richtig beieinander scheint die alte Tante Paula nicht mehr zu sein. Mühsam schlurft sie durch den schattigen Innenhof des Hauses an die Türe, wirft die Namen ihrer Nichten durcheinander, verwechselt Großnichte und Schwester und scheint in ihrer Verwirrung fest davon überzeugt, dass Irene, ihre vor Jahren bei einem Brand ums Leben gekommene Schwester, noch bei ihr sei. Besonders Raimunda ist entsetzt über ihren Zustand, hat sie an der Tante doch immer mehr gehangen als an ihrer Mutter. Aber wie schafft es die alte Frau, immer noch Obst und Gemüse einzukochen? Und wieso steht ein Fitness-Fahrrad im ersten Stock? Mit diesen Fragen fahren die Frauen zurück in die Vorstädte Madrids.
„La Mancha“ ist als Heimat von Don Quijote, dem Ritter von der traurigen Gestalt, weltbekannt geworden. Abgesehen vom literarischen Ruhm steht die Gegend für eintönige Provinz in einer noch eintönigeren Landschaft. Pedro Almodóvar ist dort geboren und für seinen neuesten Film dorthin zurückgekehrt. Nach zwei Melodramen, in denen Männer im Vordergrund standen („Sprich mit ihr“, fd 35 514; „Die schlechte Erziehung“, fd 36 696), erzählt Almodóvar nun wieder eine reine Frauengeschichte, in der die Männer abwesend, tot oder allenfalls Statisten sind, und hinter deren scheinbarem Familienidyll sich dunkle Geheimnisse voller Eifersucht, Inzest, Gewalt, Mord und Todschlag verbergen. „Volver“ handelt von Frauen aus drei Generationen, von den Schwestern Raimunda und Sole und deren Verhältnis zu ihrer Mutter. Penélope Cruz verkörpert die junge spanische Hausfrau in altmodischer Strickjacke und mit auffälligen Kleidermustern, wobei sie viel von den Frauenfiguren des italienischen Kinos hat: Sophia Loren, Claudia Cardinale und Anna Magnani. Sie ist eine junge Mutter, die sich aufreibt, um den Lebensstandard ihrer Familie zu bewahren. Dabei merkt sie nicht, wie ihr arbeitsloser Mann, wenn er trinkt oder Fernsehen schaut, ihrer heranwachsenden Tochter nachstellt, bis es zur Katastrophe kommt. Als die alte Tante stirbt, kann Raimunda nicht zur Beerdigung ins Dorf fahren, denn sie muss selbst eine Leiche beiseite schaffen. Während sie sich ihrer Tochter zuliebe zur Komplizin eines Totschlags macht, ahnt sie nicht, dass sie bald mit einem weiteren, Jahre zurückliegenden Verbrechen aus ihrer Familiengeschichte konfrontiert werden wird. Denn als Sole nach der Beerdigung nach Madrid zurückfährt, hat sie neben dem Schmuck und dem Tafelsilber der Tante noch etwas ganz anderes im Kofferraum – ihre seit Jahren tot geglaubte Mutter (Carmen Maura).
Carmen Maura hat viele der frühen Filme Almodóvars geprägt, nun ist sie als Mutter und Großmutter wichtiger Teil eines Ensembles von Schauspielerinnen, denen es gelingt, in einem feinen Netz psychologischer Rivalitäten und Abhängigkeiten immer einen heiteren Ton zu halten, ohne in komödiantische Eskapaden zu verfallen. „Volver“ ist auch die Geschichte einer sozialen Klasse, die aus den Dörfern weg in die Vorstädte der großen Städte gezogen ist, ohne jemals urban zu werden: lauter Überlebenskünstler wie Sole, die sich mit einem nicht angemeldeten Friseursalon in ihrer Wohnung über Wasser hält. Almodóvar zeigt, wie das dörfliche Matriarchat, die Solidarität, die Komplizenschaft unter Frauen, in den Vorstädten weiterlebt. Währenddessen geht es im Dorf weiter wie eh und je. Da sind die Nachbarinnen, die vieles ahnen, aber nichts wissen; da pfeift der Wind unaufhörlich durch die Gassen, und der Friedhof dient als Schaufenster der Familientradition. Saubere Gräber und geputzte Grabsteine, die für die künftigen Toten reserviert werden. Der Tod ist ein zentrales Thema in diesem Film, der trotz vieler skurriler Momente ein friedvolles, fast positives Bild vom Sterben und Abschiednehmen vermittelt. So hat Agustina, eine unverheiratete Nachbarin, Hüterin aller Dorfgeheimnisse, das plötzliche Verschwinden ihrer Mutter nie überwunden. Erst als sie von ihrer tödlichen Krankheit erfährt, will sie die Wahrheit wissen und versucht durch den Auftritt in einer Fernsehshow das Geld für eine Krebstherapie zu verdienen – aber sie kann nicht gegen ihre eigene Natur handeln und flüchtet vor laufender Kamera.
„Volver“ heißt zurückkehren; der Filmtitel ist auch einer der bekanntesten Tangos von Carlos Gardel, der als musikalisches Leitmotiv des Films dient, wenn die Flamenco-Version des Tangos von Estrella Morente erklingt. Die Stärke von Almodóvars neuer Arbeit liegt in der Kombination so vieler widersprüchlicher Elemente; er ist einer der psychologisch überzeugendsten und ehrlichsten Filme des Regisseurs. Das Motiv der Sehnsucht nach der Heimat zieht sich durch viele seiner Filme: In „Womit hab’ ich das verdient“
(fd 28 839) versucht die Großmutter ihren Enkel zu überzeugen, sie in ihr Heimatdorf zu begleiten, in „Fessle mich!“
(fd 28 460) steht der Protagonist am Ende vor den Ruinen seines Dorfes, und in „Mein blühendes Geheimnis“
(fd 31 791) rezitiert die Mutter der Protagonistin eine Ode an ihr Heimatdorf. In „Volver“ kehrt Almodóvar zu seinen eigenen Wurzeln zurück, sensibel, einfühlsam und ohne die schrillen Effekte seiner früheren Werke. Sein Film ist ergreifend, ohne sentimental zu sein, heiter, aber nicht grotesk, psychologisch rund und auf innovative Weise konservativ; ein faszinierender Beitrag zum Thema „Heimat“.