Manchmal birgt ein Film einen ganz anderen Film, dessen Saat erst Jahre später aufgeht. „Wo die Liebe hinfällt“ gibt sich als späte Fortsetzung von „Die Reifeprüfung“
(fd 15 718) und klärt über die „wahren“ Begebenheiten hinter den Fiktionen des Klassikers von Mike Nichols auf. Die Figur von Dustin Hoffman ist im echten Leben nämlich Kevin Costner, und Shirley MacLaine die legendäre Mrs. Robinson. Als Beau Burroughs und Katharine Richelieu mimen sie mit sichtlicher Freude die Vorbilder für Charles Webbs Roman „The Graduate“ aus dem Jahr 1963. Damit aber ist die Verwirrung noch lange nicht zu Ende, denn für die Regie dieser wunderbar selbstironischen romantischen Komödie zeichnet Rob Reiner verantwortlich, und der beherrscht das Genre spätestens seit „Harry und Sally“
(fd 27 891) mehr als perfekt. Hinzu kommen George Clooney und Steven Soderbergh als Produzenten und Ted Griffin, der Drehbuchautor von „Ocean‘s Eleven“
(fd 35 218).
Die feinen Unterschiede regeln das betuliche Leben in Pasadena, dem noblen Vorort von Los Angeles, in dem der amerikanische Mittelstand zwischen Tennisplätzen und Swimmingpools zu Hause ist. Dorthin verschlägt es den früheren Serienstar Jennifer Aniston. Sie spielt die New Yorker Journalistin Sarah Huttinger, die als Nachrufe-Schreiberin der „New York Times“ beruflich in einer Sackgasse steckt und davor zurückschreckt, ihren Verlobten, einen attraktiven, aber langweiligen Anwalt, zu ehelichen. Obwohl das Leben der 30-Jährigen äußerlich in geregelten Bahnen verläuft und scheinbar keine Wünsche offen lässt, leidet sie unter der Vorhersehbarkeit ihrer Zukunft und dem Mangel an Abenteuer und Spontaneität. Hier kommt wieder der Plot von „Die Reifeprüfung“ ins Spiel – auch wenn es für ein Puzzle tiefer gehender filmischer Verweise nicht reicht. Sarah Huttinger ist nämlich die Tochter der Frau, die Dustin Hoffman vor dem Sprung in die Ehe bewahrte und mit ihr in eine ungewisse Zukunft durchgebrannt war. Nur dass in Wirklichkeit Beau Burroughs den Laufpass erhielt und die Eheschließung doch stattfand. Sarah erfährt dies erst während der Hochzeitvorbereitungen ihrer jüngeren Schwester und staunt über die Eskapaden ihrer braven, vor Jahren verstorbenen Mutter. Unter dem Eindruck der unerwarteten Enthüllungen befürchtet sie, dass all ihre unkonventionellen Charaktereigenschaften, die sie in ihrer Familie stets zur Außenseiterin machten, auf das Konto ihres eigentlichen Vaters Beau Burroughs gehen. Um die Vermutung zu überprüfen, bricht sie nach San Francisco auf und landet nach einer allzu alkoholseligen Konversation unversehens im Bett des inzwischen zum Internet-Millionär aufgestiegenen Womanizers. Der außerordentliche Reiz von „Wo die Liebe hinfällt“ verdankt sich neben den malerisch ins Bild gesetzten Landschaften aus dem Wine Country immer wieder den Schachzügen des turbulenten Plots und den Eigenheiten der durchweg charmanten Charaktere, die bei aller Individualisierung doch so weit überzeichnet sind, um für pikante Situationskomik zu sorgen. Regisseur Rob Reiner genießt es, das langsame Entgleisen einer trügerischen Ordnung, die drei Generationen umfasst, einzufangen. Es geht ihm nicht darum, die liebeshungrigen Frauen bloßzustellen; dafür stehen diese viel zu sehr auf eigenen Beinen und sind sich ihrer Schwächen bewusst. Der souveräne Eindruck verdankt sich vor allem Shirley MacLaine, die den Ton angibt und vor keiner noch so rücksichtlosen Pointe zurückschreckt. Auch wenn das Finale eher konventionellen Bahnen folgt und auf die zuvor atemberaubend eingesetzte Bosheit verzichtet, gehört „Wo die Liebe hinfällt“ zum Besten, das Hollywood zur Zeit an kurzweiligen Komödien fern des vorherrschenden Pubertätshumors zu bieten hat.