Schwelgerisch-schöner Dokumentarfilm über die Karpaten, einen Gebirgszug, der sich über fünf Länder erstreckt. Bei einer Passage durch eine malerische, noch weitgehend unberührte Landschaft treffen die Filmemacher Menschen, die dort bisweilen wie vor 100 Jahren leben. Die bisweilen etwas behäbig aufbereitete Reise führt durch eine geheimnisumwitterte Welt mit grandiosen Panoramen und poetische Stillleben, wobei der Film nicht immer frei ist von redundanten Gestaltungselementen. Die Ambivalenz des "Unberührten", die Armut, die mit der pittoresken Schönheit einher geht, wird weniger kritisch beleuchtet als eher ästhetisiert. (O.m.d.U.)
- Ab 14 möglich.
Carpatia
Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2004 | 132 Minuten
Regie: Andrzej Klamt
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Filmdaten
- Originaltitel
- CARPATIA
- Produktionsland
- Deutschland/Österreich
- Produktionsjahr
- 2004
- Produktionsfirma
- halbtotal/Hektor + Rydzewski/Nikolaus Geyrhalter Filmprod.
- Regie
- Andrzej Klamt · Ulrich Rydzewski
- Buch
- Andrzej Klamt · Ulrich Rydzewski
- Kamera
- Ulrich Rydzewski
- Schnitt
- Andrzej Klamt · Ulrich Rydzewski
- Länge
- 132 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Der europäische Gebirgszug erstreckt sich rund 1500 Kilometer durch fünf Länder. Dabei weist er von sanften Hügeln bis zu alpinen Felsformationen alle erdenklichen Formen und Vegetationen auf. Doch hätte nicht Bram Stoker seinen blutrünstigen Grafen Dracula in Transsilvanien sein Unwesen treiben lassen, hätten viele Menschen von den Karpaten wohl bis heute nie etwas gehört. Denn noch immer erscheint das mächtige Gebirge, das sich von der Ukraine bis ins südliche Polen erstreckt, selbst für Europäer weiter weg zu sein als der Himalaya oder die Anden.
Die Karpaten sind noch zu entdecken und geben somit eine fraglos lohnende Route für ein dokumentarisches Road Movie wie „Carpatia“ ab. Ein Jahr lang sind Andrzej Klamt und Ulrich Rydzewski durch das Gebirge gereist, haben imposante Landschaften gefilmt und ihre Bewohner porträtiert. Ihr Film beginnt mit nebelverhangenen Gebirgskämmen im ukrainischen Huzulenland. In einer langen Einstellung verfolgt die Kamera das faszinierende Spiel der Wolkenschwaden, die aus dem Tal aufsteigen. Später kommen ein paar Kühe ins Bild und irgendwann auch zwei Menschen, die sich für die Filmaufnahmen offenbar besonders fein gemacht haben. Sie erzählen von harter Arbeit, dem rauen Klima und den Wölfen, die ihren Lämmern nachstellen. Und sie reden von der Liebe zu ihrer Heimat und davon, dass sie nirgendwo anders leben möchten. Dabei werden ihre vergleichsweise kurzen Statements immer wieder von imposanten Landschaftspanoramen unterbrochen, in denen es nahezu unberührte Natur in berückender Schönheit zu bestaunen gibt. Kein Off-Kommentar, keine Musik – nichts trübt die pittoresken Szenarien eines abgeschiedenen Landstrichs, in dem die Zeit von hundert Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Dann zieht der Film weiter, in eine andere Gebirgsregion. Auch dort ist es unglaublich schön, plätschern Bäche zu Tal und rauscht der Wind in Bäumen und Gräsern. Wäre der Ortswechsel nicht durch ein Insert markiert, würde man ihn kaum mitbekommen. Auch hier erzählt eine Frau mittleren Alters wieder von der harten Arbeit, von ihrer betagten Mutter, um die sie sich kümmert, und sie macht sich grundsätzliche Gedanken über den Lauf des Lebens. Aber weil die Frau neben ihrer Arbeit auf dem Hof auch noch einen Job im Tal hat, sieht man sie irgendwann in einem Laden hinter der Kasse. Nach einer halben Stunde idyllischer Naturszenarien ist man als Zuschauer überaus dankbar, dass plötzlich ein veritables Auto über die Dorfstraße knattert. Denn entgegen der landläufigen Überzeugung, dass man sich an eindrucksvoller (Natur-)Schönheit nicht satt sehen kann, erweist sich bereits zu diesem Zeitpunkt die Ästhetik des Films als hermetisches System. Dabei gelingen den Filmemachern hie und da durchaus spektakuläre Sequenzen (etwa, wenn aus der Tür eines vergleichsweise kleinen Gebäudes, einer Kirche womöglich, nach und nach immer mehr betagte, schwarz gewandete Frauen mit Gehstöcken ins Freie treten.), dennoch leidet ihr Film frühzeitig an Redundanzen. Wenn die fixe Kamera einen Bergkamm ins Visier nimmt und irgendwann eine Kuh gemächlich den Bildrahmen von rechts nach links durchschreitet, mag das ein sinnfälliges Indiz für eine ursprüngliche Lebensart ohne Stress und Hetze sein. Doch wenn sich Minuten darauf in einer ähnlichen Einstellung ein Pferd (und später vielleicht ein Schaf) wieder von links nach rechts durchs Bild bewegt, ist der Effekt rasch dahin.
Überdies lassen die Autoren über die gesamten 127 Minuten nicht von der Marotte ab, in langen, durch Auf- und Abblenden abgefederten Einstellungen vom tropfenden Eiszapfen über den rostigen Nagel, vom lodernden Kaminfeuer bis hin zu einer zerschlissenen Joppe am Kleiderhaken so ziemlich jedes erdenkliche Alltagsutensil bedeutungsschwanger zum Stillleben zu stilisieren. Selbst wenn in Gestalt eines Wanderzirkus in der Slowakei auch mal Menschen ins Bild kommen, die nicht unmittelbar von und mit der Natur leben, findet sich noch eine flatternde Zeltplane oder eine im Wind wehende Gardine im Wohnwagen, mit denen sich diesem enervierenden Stilprinzip huldigen lässt. Mit solchen Kalenderblättern bewegt sich der Film trotz aller eindrucksvoller Bildgewalt vielfach an der Grenze zur Ästhetisierung eines Elends, das hier explizit kaum vorkommt. Denn die Tristesse oder auch nur die Ambivalenz dieses „naturbelassenen“ Lebens in Armut und Abgeschiedenheit lässt sich allenfalls erahnen. So sind es letztlich vor allem ein paar Menschen, die hier für bewegende Momente sorgen, die in Erinnerung bleiben, etwa jener verkrüppelte Alte, der offenbar von seinem Stiefvater als Kind derart misshandelt wurde, dass er sich seitdem nur noch kriechend fortbewegen kann. Insgesamt aber bleibt „Carpatia“ ein eher zwiespältiger Film. Wer von einem Dokumentarfilm mehr als eine ebenso gemächliche wie schwelgerische „poetische Zeit-Reise“ (Werbetext) durch pittoreske Landschaften erwartet, wird sich schnell langweilen und sehnsüchtig auf die nächste Stromschnelle in diesem sehr langen, sehr ruhigen Fluss warten.
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