Dokumentarisches Porträt des weltbekannten Kriegsfotografen James Nachtwey. Der Schweizer Regisseur Christian Frei begleitet ihn zu Schauplätzen seines Wirkens, befragt Freunde und Bekannte und lässt Nachtwey über seine Arbeit reflektieren. Dabei konterkariert der Film die weit verbreitete, durch Medien immer wieder genährte Meinung, bei Kriegsfotografen und -reportern handele es sich um eine besonders abgebrühte Spezies Mensch. Statt dessen begegnet man einem grüblerischen, sensiblen Mann, der seinen Beruf liebt und zugleich an ihm leidet. Auf Dauer weitet sich der Film zur Reflexion über den Zustand der heutigen Welt und plädiert, ohne dies verbal zu betonen, für tiefgreifende Veränderungen. (Fernsehtitel: "James Nachtwey, Kriegsfotograf")
- Sehenswert ab 16.
War Photographer
- | Schweiz 2001 | 96 Minuten
Regie: Christian Frei
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Filmdaten
- Originaltitel
- WAR PHOTOGRAPHER
- Produktionsland
- Schweiz
- Produktionsjahr
- 2001
- Produktionsfirma
- Christian Frei Filmprod./SF DRS
- Regie
- Christian Frei
- Buch
- Christian Frei
- Kamera
- Peter Indergand
- Schnitt
- Christian Frei · Barbara Müller
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Diskussion
In den 70er-Jahren fasste der 1948 geborene James Nachtwey den Entschluss, Fotograf zu werden. Das hing damals mit Vietnam zusammen: Er hatte das Gefühl, dass die Bilder, die von dort um die Welt gingen, im Gegensatz zu dem standen, was politische und militärische Führer erzählten. Nachtwey spürte, wie verschieden der Blick auf die Dinge sein kann, und wie unterschiedlich die Interpretation der Wirklichkeit. Nach und nach begriff er, was sein Lebensinhalt werden könnte: mit Fotos nach Wahrheit zu fahnden. Er wurde Chronist sozialer und kriegerischer Konflikte. Diese Mission machte ihn weltberühmt. Und ließ ihn zugleich zu einem Einzelgänger werden, einem stillen, einsamen Mann, der seinen Beruf liebt und zugleich an ihm leidet.
Mit dem Porträt dieses Grüblers und Moralisten konterkariert der Schweizer Regisseur Christian Frei die weit verbreitete und auch durch die Medien immer wieder genährte Meinung, bei Kriegsfotografen und -reportern handele es sich um eine besonders abgebrühte Spezies Mensch. Zunächst scheint auch „War Photographer“ diese Ansicht zu bestätigen: Der Film beginnt mit Aufnahmen, in denen Nachtwey im Nachkriegs-Kosovo eine alte Frau fotografiert, die schluchzend von einem LKW klettert. Nachtwey drückt nahezu pausenlos auf den Auslöser; an seinem Körper ist eine Mini-Digital-Kamera befestigt, mit der Frei die Perspektive seines Helden sinnlich erfahrbar macht. Diese Szene, an den Anfang des Films gesetzt, provoziert beim Zuschauer das Gefühl, hier jemandem zuzuschauen, der mit dem Leid anderer sehr viel Geld verdient. Eine Meinung, die durch eine unmittelbar darauf folgende Szene noch verstärkt wird, in der Fotoredakteure eines Hamburger Wochenmagazins vor einer Wand stehen, an die Nachtweys Bilder gepinnt sind. Da hört man Sätze wie „Ist doch heavy“, „Dass einer so durch die kaputten Straßen geht, ist super“, oder die Frage „Hat man da nicht den Eindruck, wieder mal Afrika geboten zu bekommen?“ Frei kommentiert diese Sätze nicht: Er lässt die hinter vermeintlicher Professionalität lauernde Abgebrühtheit, ja den Zynismus, der aus den Worten der Yuppie-Redakteure spricht, nackt im Raum stehen.
Aber er nutzt diese Ouvertüre, um sie, zumindest was Nachtwey betrifft, später permanent zu unterlaufen und so die Wahrheit hinter dem ersten Eindruck zu erkunden. Im Prinzip macht Frei damit nichts anderes als Nachtwey selbst; das Motto des Films, ein Zitat von Robert Capa, beschreibt gewissermaßen die Ängste und Obsessionen beider: „Deine Fotos sind nicht gut genug. Du bist nicht nah genug dran.“ Nah genug dran sein bedeutete für Frei, seinen Helden auf verschiedene Art und Weise zu „entdecken“. Zum einen geschieht das ganz unmittelbar: Der Film folgt Nachtwey zu einigen Schauplätzen seines Wirkens, in den Kosovo, nach Indonesien oder Palästina, begleitet ihn bei der Arbeit, skizziert seine Beziehung zu denen, die er fotografiert. Eindrucksvoll und vielsagend etwa jene Sequenz, in der Nachtwey sich gemeinsam mit Angehörigen der Toten einem Massengrab im Kosovo nähert. Der Fotograf bewegt sich vorsichtig, leise, so als wolle es sich am liebsten unsichtbar machen. Alles deutet darauf hin, wie sehr es ihn beunruhigen würde, wenn er den Schmerzen der Hinterbliebenen durch sein Tun noch weitere Schmerzen hinzufügen würde.
Eine zweite Ebene bilden Befragungen von Bekannten und Kollegen: darunter ein Kameramann der Nachrichtenagentur Reuters, ein Drehbuchautor, eine Freundin aus Hamburg, ein Ressortleiter des „Stern“. Sie alle versuchen zu umreißen, was Nachtwey antreibt, was seine Persönlichkeit ausmacht. Bruchstücke eines Charakterbildes: Er brauche das Abenteuer, die Todesangst, um sich am besten zu fühlen. Er müsse immer wieder Grenzen überschreiten. Dabei rede er nie über Situationen, in denen er dem Tod entkam, sondern würde alles tun, um den Eindruck zu vermeiden, er sei ein Angeber. Er habe eine eigene Bibliothek des Leidens im Kopf. Und möge es überhaupt nicht, als Kriegschirurg bezeichnet zu werden, denn das impliziere Kälte. Für Nachtwey sei es undenkbar gewesen, nach der Entscheidung für seinen Beruf eine Familie zu gründen. Und auf den Schlachtfeldern erscheine er stets mit gescheiteltem Haar und einer Bügelfalte in seinen Jeans. Wie viele andere Beobachtungen lässt Frei auch diese unkommentiert und eröffnet dem Zuschauer so Freiräume zum Mit- und Weiterdenken: Könnte es nicht sein, dass Nachtweys „Eleganz“ Ausdruck einer Bewahrung von Würde in einem Meer aus Schmutz, Verbrechen und Tod ist? Eine Art Widerstand gegen die Strudel der Unmenschlichkeit?
Eine dritte Ebene sind die verbalen Äußerungen des Fotografen selbst. Nachtweys Gedanken, zum Teil aus dem Off, liegen wie ein langer philosophischer Monolog über dem Film: eine eindringliche Antwort auf jene quälenden Fragen, die er sich selbst immer wieder stellt: Bin ich ein Vampir mit der Kamera? Baue ich meinen Reichtum auf dem Elend anderer auf? Nachtwey macht es sich keineswegs leicht mit seinen Reflexionen. Sein Credo: Fotografen wie er gingen deshalb an die Front, um Bilder zu machen, die wahrhaftig genug seien, die beschönigenden Darstellungen der Massenmedien zu korrigieren und die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit aufzurütteln. Fotos als Anklage, um durch deren Kraft noch mehr Kläger zu mobilisieren. Und das Verhältnis zu den Abgebildeten, den Opfern? „Sie verstehen“, hofft Nachtwey, „dass der Fremde, der mit der Kamera kommt, um ihr Leid zu fotografieren und in die Welt hinaus zu bringen, ihnen eine Stimme gibt, die sie sonst nicht haben würden.“ Dabei ist Nachtwey zunehmend mit der Tatsache konfrontiert, dass die auf Entertainment zielende Gesellschaft seine harten Fotos kaum mehr will. Werbekunden fordern die Verlage auf, neben ihren Hochglanzanzeigen keinesfalls Kriegsbilder zu platzieren. Der schöne Schein drängt die harte Realität ins Abseits.
So weitet sich „War Photographer“, dem eine requiemartige, sinfonische Musik unterlegt ist, über das Porträt eines ungewöhnlichen Menschen hinaus zu einem Film, der danach fragt, wohin unsere Welt steuert. Auf der einen Seite Paläste aus Glas und Beton, ob in Hamburg, New York oder Djakarta und auf der anderen Kriegsflüchtlinge, Bombenopfer oder Bettler, die am Rand von Eisenbahnschienen hausen. Nach einer Bildreportage über jenen indonesischen Vater, der bei einem Unfall Arm und Bein verlor und seine vier Kinder durch Bettelei ernährt, erhielt Nachtwey den Brief eines Lesers: Er sei selbst nur Sozialhilfeempfänger, wolle aber, so lange er es könne, 20 Dollar im Monat für diese Familie spenden. „Wenn wir es nicht tun, wer dann?“, fragt Nachtwey, der sich durch einen solchen Akt von Solidarität bestätigt und tief berührt fühlt. Ein kleines Signal in einer Welt, die großer Veränderungen bedürfte, um menschlich genannt werden zu können.
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