Lulu on the Bridge

Drama | USA/Großbritannien 1998 | 104 Minuten

Regie: Paul Auster

Ein durch einen Amokschützen schwer verletzter Saxofonist findet durch einen magischen Stein zu neuem Lebensmut und erstmals zu tief empfundener Liebe. Das Glück ist jedoch nur von kurzer Dauer, erweist sich immerhin aber als Impuls dafür, das bisherige Leben und seine Defizite zu überdenken. Regiedebüt des Schriftstellers Paul Auster, das zwar zu keiner überzeugenden erzählerischen und inszenatorischen Einheit findet, auf Grund seiner Ideenfülle aber eine Reihe überdenkenswerter Fragen aufwirft. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LULU ON THE BRIDGE
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
1998
Produktionsfirma
Redeemable Features Production
Regie
Paul Auster
Buch
Paul Auster
Kamera
Alik Sakharov
Musik
Graeme Revell · John Lurie
Schnitt
Tim Squyres
Darsteller
Harvey Keitel (Izzy Maurer) · Mira Sorvino (Celia Burns) · Willem Dafoe (Dr. Van Horn) · Gina Gershon (Hannah) · Mandy Patinkin (Philip Kleinman)
Länge
104 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Zwar hatte Paul Auster sein Roman „Die Musik des Zufalls“ (1990), zu dem er auch das Drehbuch (Regie: Philip Haas) schrieb, bereits mit der Welt des Films vertraut gemacht, doch wirkliche Beachtung als Filmautor gewann der New Yorker Romancier erst durch die Originaldrehbücher und die Zusammenarbeit mit und für die Filme Wayne Wangs „Smoke“ (fd 31 577) und „Blue in the Face“ (fd 31 698). Da er bei letzterem gelegentlich auch die Regie übernahm, war es nur eine Frage der Zeit, bis er seinen ersten eigenen Film vorlegen würde. Nach der Premiere in Cannes 1998 war die Presse gespalten: Elogen und relative Ratlosigkeit hielten sich die Waage – was angesichts des Films durchaus verständlich ist. Wenn man seine Geschichte vom Ende her erzählen dürfte, wäre vieles einfacher; Erklärungsnotstände über scheinbar holprige Szenen ließen sich vermeiden. Doch einen Film bereits zu Anfang zu enträtseln, wäre schlechter Stil. Also hat man es mit der Geschichte des Jazz-Saxophonisten Izzy Maurer zu tun, der eines Tages angeschossen wird. Nach der Rekonvaleszenz muß das unschuldige Opfer eines Amokläufers mit einem Lungenflügel weniger leben – zu wenig Luft, um dem Beruf und der einzigen Liebe weiter nachzugehen. Resigniert schleicht Izzy durch die Straßen – und stolpert über einen Toten mit einem Loch in der Stirn. In dessen schäbiger Aktentasche findet er eine Telefonnummer und einen magischen Stein, der ihm merkwürdiges Stimmengewirr und ein geheimnisvollen Leuchten beschert, aber bei ihm auch bislang unbekannte Glücksgefühle auslöst. Aus dem verhärmten, menschenverachtenden Musiker wird ein anderer Mensch, der bald auch die Besitzerin der Telefonnummer kennenlernt und mit ihr in eine tiefe Liebe fällt, die das Paradies auf Erden verheißt. Doch leider ist im Leben kein dauerhaftes Paradies vorgesehen: Die Schauspielelevin Celia reist zu Dreharbeiten nach Irland, um dort eine moderne Variante von Louise Brooks’ Leinwand-Lulu zu geben und Wedekinds Theaterstück gehörig umzuinterpretieren; Izzy bleibt in New York, um beider Neuanfang zu organisieren. Doch dann kommen finstere Mächte zum Zug, und die Liebe wird nicht nur ein Spiel auf Zeit, sondern auch zum Bezugspunkt für existentielle Fragen nach Gut und Böse. Am Ende ist Celia/Lulu in die Enge getrieben und tot, Izzy gerade noch mal mit heiler Haut und tausend Fragen davongekommen. Wieder schleicht er durch die Straßen. Dann das Ende – und ein Krankenwagen. Die letzte Bewegung des Films, die ein Mensch vollzieht: er bekreuzigt sich. Dann ist New York wieder ohne Zauber, gehört sich selbst – anonym.

Das Buch zum Film wird bald erscheinen. Und das ist gut so. Es hat den Anschein, als wäre diese Fingerübung aus einigen losen Ideen entstanden, die nicht zu großer literarischer Form gefunden haben: ein Ordnen der Gedanken, um Platz für Neues zu schaffen und sich von Geschichten zu verabschieden, die irgendwie in die Sackgasse führen. Was beim Lesen allemal zu goutieren ist, krankt als Film aber an seiner irritierenden Form. Auster erzählt, wie er es bei Wang gelernt hat, episodisch, das kommt seinem sprunghaft-assoziativem Schreibstil nahe. Er erzählt aber auch, wie er es bei Auster gelernt hat. Doch ein Filmskript zählt knapp 100 Seiten und kann den erzählerischen Rahmen eines Romans nicht leisten. Das führt zu Brüchen und Verkürzungen, zumal, wenn Auster seine ganze Weltsicht in gut 100 Minuten einbringen will: New York und die Einsamkeit, die Geworfenheit des Menschen, Suchen, Finden und Verlieren, eine Kriminalgeschichte und Selbstreflexion, die der Mühe des Lebens einen Sinn zu geben versucht. Hinzu kommen die typischen spirituellen Erweckungsmomente, in diesem Fall etwas zu mystisch-plakativ; die Nebenhandlung um den „Lulu“-Film, immer wiederkehrende Fragen nach Schuld, Sühne und Vergebung; Sehnsucht nach Unschuld und einer reinen Liebe. Kurzum: Irgendwie hatte Auster wohl doch einen Roman im Kopf, aber „nur“ einen Film zur Verfügung, der nach einem dichten Anfang zerfasert, zwar immer wieder zu Teileinheiten findet, dessen lose Enden aber unübersehbar sind.

Wo Paul Schrader und Abel Ferrara filmische Mittel gefunden haben, um die existentielle Not ihrer Protagonisten erfahrbar zu machen, ist es Auster nur gegeben, an der Oberfläche zu kratzen. Der Versuch, dies auf Probleme bei der Schauspielerführung einzugrenzen, überzeugt nicht: Mira Sorvino ist als von der Liebe überwältigte junge Schauspielerin, die das Einmalige ihres Lebens empfindet, großartig, Willem Dafoe als despotisch Duldsamer, der seine Geduld verliert, überzeugend, Vanessa Redgrave als gealterte Schauspielerin, die ihr Gesicht nicht mehr dem Publikum zumuten will und ins Regiefach wechselt, brillant. Merkwürdigerweise aber bleibt Harvey Keitel ohne richtige Anbindung. Er, der seinen massigen Körper meist so zurückhaltend einbringt, domininiert hier rein physisch fast jede Szene. An Sorvinos Seite wirkt er wie ein steifer Klotz, dem man „die Zigarette danach“ zwar abnehmen würde, nicht aber das verliebte Turteln. Der trotz allem durchaus interessante Film wirft die Frage auf, ob Auster auch im Regiefach Lernfähigkeit beweisen wird oder ob sein Debüt gleichzeitig der Abschied ist. Wo Austers filmische Vorbilder und Vorlieben liegen, belegen Zitate und Details: „Singin’ in the Rain“ beispielsweise und Jean Renoirs „Die große Illusion“ (fd 27 954), doch bis zu solcher Meisterschaft ist es noch ein hartes Stück Arbeit.
Kommentar verfassen

Kommentieren