Aus der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen einer hypersensiblen Kochkünstlerin, einem jungen Friseur und dessen Mutter entwickelt sich ein Versuch über ein gegenwärtiges Lebensgefühl: die Unsicherheit zwischen Jugendlichkeit und Erwachsensein sowie der eigenen Identität innerhalb der Geschlechterrollen. Ein ebenso verspielter wie stilsicherer Film, thematisch ernsthaft und ambitioniert, zugleich stets überzeugend als unterhaltsames Erzählkino.
- Sehenswert ab 16.
Kitchen
- | Hongkong 1996 | 126 Minuten
Regie: Yim-Ho
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Filmdaten
- Originaltitel
- WO AI CHUFANG
- Produktionsland
- Hongkong
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Harvest Crown/Amuse/Pineast Pic.
- Regie
- Yim-Ho
- Buch
- Yim-Ho
- Kamera
- Poon Hang-Sang
- Musik
- Otomo Yoshihide · Uchihashi Kazuhisa
- Schnitt
- Poon Hung Yiu
- Darsteller
- Yasuko Tomita (Aggie) · Jordan Chan (Louie) · Law Kar Ying (Emma) · Karen Mok (Jenny) · Lau Liu Ming (Mr. Chiu)
- Länge
- 126 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
Diskussion
Wollte man die asiatische Filmkunst nach ihren gelegentlichen deutschen Programmkinoerfolgen beurteilen, müßte man sie für eine spezielle Form der Kochkunst halten, sei es die Nudelsuppe aus Itamis "Tampopo" (fd 27 586) oder gleich Ang Lees ganzes "Hochzeitsbankett" (fd 30 467:1. Galt in den 70er Jahren der Kampfsport als wichtigste Zutat insbesondere des Hongkong-Kinos, so ist es heute die Sojasoße. Welche Erwartungen mag da ein Film wecken, der den Titel "Küche" trägt? Was Partygänger schon immer wußten, läßt sich nach der Philosophie der japanischen Starautorin Banana Yoshimoto durchaus auf die meisten Lebensbereiche ausdehnen: in der Küche findet das Leben statt. In der volkstümlichen Psychologie ist dieser Ort seit jeher assoziiert mit Wärme und Geselligkeit, im Zeitalter der Wohngemeinschaften aber gewann er eine weitere Bedeutung: Wie oft wundert man sich über leutselig-familiäre Heimatverbundenheit solcher WG-Küchen, die zugleich Empfangszimmer und Salon sind, zuallererst aber das universelle Elternhaus. Vielleicht fühlt man sich deshalb auch gleich heimisch am zentralen Schauplatz dieses Films.Die Kochkünstlerin Aggie ist mit einer besonderen sinnlichen Wahrnehmung gesegnet: es ist ihr Geruchssinn, der sie die Welt durchdringen und Wetterveränderungen diagnostizieren läßt. Erst im warmen Licht des Kühlschranks und beim Klang seines sonoren Brummens fühlt sie sich nach dem Tod ihrer Großmutter noch heimisch. Beim Begräbnis hatte sie Louie kennengelernt, einen jungen Friseur, den Yim Ho in bewußter Abkehr vom Roman den Film kommentieren läßt. Nicht von ungefähr erinnert sein Monologisieren an die Arbeiten Wong Kar-wais mit ihren tagebuchartigen Selbstbetrachtungen melancholischer Einzelgänger. Anders als bei Wong freilich schwingt meist ein wenig Altklugheit mit, ersetzen wohlplazierte Lebensweisheiten die impressionistische Flüchtigkeit. Eine nette Nichtigkeit wie "Die Zeit ist der größte Dieb der Welt" gehört natürlich eher ins Poesiealbum als in ein aufrichtig geführtes Tagebuch. Aber genau das eben ist "Kitchen" im Gegensatz etwa zu Wongs "Happy Together" (fd 32 738): ein Poesiealbum, ein hübsches Stück Kunstgewerbe, und warum auch nicht? Jene Kritiker haben wohl nicht unrecht, die hier den Ausverkauf einer gestern noch avantgardistischen Ästhetik diagnostizieren. Aber hat nicht das Mainsfream-Kino stets die Errungenschaften der Avantgardisten aufgesogen und seinen eigenen Erzählkonventionen untergeordnet?"Hätte ich gewußt, daß Aggie meine Seelenschwester ist", sagt Louie an anderer Stelle, "wäre ich hiergeblieben und hätte gewartet, daumenlutschend in meiner Wiege bis zu unserem Treffen." Von selbstverliebter Kindlichkeit ist sein Charakter wie der Ton des gesamten Films. "Kitchen" ist die Momentaufnahme eines fast ünmerklichen Bruchs, den sich das Leben in heimtückischer Weise für den Beginn der Twen-Jahre aufgehoben hat: den Moment, an dem die Kindheit endgültig vorüber ist, und man sich überlegen muß, ob sie sich nicht mit anderen Mitteln verlängern ließe. Dies klingt fast wie eine weitere von Louies Binsenweisheiten, auch wenn es bereits ein Wort für dieses Phänomen gibt: am "Peter-Pan-Komplex" soll inzwischen halb Japan erkrankt sein, zumindest aber sind es die Helden dieses Films. Es ist keine ernstere Diagnose als zum Beispiel Liebeskummer. Jede der Figuren ist sich dessen bewußt, und nur so läßt sich auch ihre verzweifelte und doch nicht minder liebenswerte Kindlichkeit verstehen. In Louies Gegenwart überwindet Aggie ein wenig ihre Einsamkeit. Verständnis findet sie insbesondere bei seiner Mutter Emma, die eigentlich sein biologischer Vater ist, der sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. So wird im Zusammenleben der drei die geliebte Küche tatsächlich zu einer Art WG-Küche. Der Frieden freilich endet jäh, als Emma überraschend von ihrem engstirnigen Verehrer getötet wird, der nichts von ihrer Vergangenheit als Mann gewußt hatte. Louie zieht sich in seiner Trauer aufs Land zurück, und auch die Verbindung zu Aggie reißt ab, die nach Europa reist, um endlich Kochkunst zu studieren. Jahre später aber laufen sich beide in Hongkong über den Weg, um sich mit einer inzwischen fast intimen Frage zu begrüßen: "Hast du Hunger?"Durch die Aurwertung der Figur Louies gewinnt "Kitchen" als Film eine überraschende formale Komplexitität, eine Mehransichtigkeit, wie man sie vielleicht bei einem kubistischen Gemälde erwarten würde. Das Leben sei ein Kaleidoskop, äußert Louie einmal, doch was bliebe zu tun, wenn nur schwarze Steine im Objektiv zu sehen sind? Auch der Filmstil gleicht einem Kaleidoskop: Ähnlich wie dieses optische Spielzeug aus der Vorzeit des Kinos überführt Yim-Ho seine disparaten Bausteine in ein harmonisch-symetrisches Gefüge. Und ebenfalls wie bei Wong Kar-wai ist ein suggestiver Pop-Song, ein Hit des Teenie-Stars Cass Phang, allgegenwärtig. Er besitzt die gleiche verklärte Mädchenhaftigkeit, die exponierte und doch gebrochene Lebenshaltung der weiblichen Heldin des Films. "Das Leben und die Natur predigen nicht zu uns", sagt Yim Ho, "aber sie lehren uns, Erfahrungen zu sammeln und zu unseren Entscheidungen zu finden. Das versuche ich auch mit meinen Filmen zu erreichen."
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