In einer amerikanischen Kleinstadt betreiben Ende der 50er Jahre zwei italienische Brüder ein Lokal, das kurz vor dem Bankrott steht. Ein kulinarisches Festbankett, zu dem Freunde, Bekannte und viele Gäste geladen sind und zu dem auch ein berühmter Jazzmusiker erwartet wird, soll das drohende Ende abwenden. Eine cineastische Delikatesse, die inhaltlich wie formal Poetisches mit einem beeindruckenden Realismus verbindet und präzises Zeitporträt, philosophisches Faible und ein Loblieb auf die hohe Kunst der Nahrungszubereitung in einem ist. Durch die beeindruckende filmische Gestaltung erschließt sich der Vorgang des Essens als elementarer kultischer Akt, der Gemeinschaft stiftet und die Kostbarkeit des Augenblicks feiert.
- Sehenswert ab 12.
Big Night
- | USA 1996 | 107 Minuten
Regie: Campbell Scott
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Filmdaten
- Originaltitel
- BIG NIGHT
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 1996
- Produktionsfirma
- Timpano
- Regie
- Campbell Scott · Stanley Tucci
- Buch
- Joseph Tropiano · Stanley Tucci
- Kamera
- Ken Kelsch
- Musik
- Gary DeMichele
- Schnitt
- Suzy Elmiger
- Darsteller
- Tony Shalhoub (Primo) · Stanley Tucci (Secondo) · Isabella Rossellini (Gabriella) · Ian Holm (Pascal) · Minnie Driver (Phyllis)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 12.
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Diskussion
Die Brüder Primo und Secondo Pilaggi haben Mitte der 50er Jahre ihrer kalabrischen Heimat den Rücken gekehrt, um in Amerika ein besseres Auskommen zu suchen. Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in einer Küstenstadt in New Jersey aber steht ihr kleines Lokal "Paradies" vor dem Bankrott: Die Gäste wissen Primos italienische Kochkünste so wenig zu schätzen wie der puristische Koch sich außerstande sieht, auf die geschmacklichen Vorlieben seiner Kundschaft einzugehen. Secondos dezente Versuche, die Menükarte ansatzweise der Nachfrage anzupassen, quittiert der Ältere mit kategorischer Ablehnung. In "Pascals italienischer Grotte" schräg gegenüber stehen die Gäste hingegen Schlange, weil sein Besitzer Essen als Teil des Unterhaltungsbusiness versteht und zu Pasta bedenkenlos auch Steaks serviert. Auf Secondos Bitte um einen Kredit aber weicht Pascal aus, weil er die beiden gerne bei sich unter Vertrag hätte. Er bringt ihn aber auf die Idee, ein großes Festmahl zu veranstalten, zu dem Pascal den berühmten Jazzmusiker Louis Prima ins "Paradies" lotsen will. Die Brüder mobilisieren ihre letzten Reserven für die "große Nacht", von der sie sich den geschäftlichen Durchbruch erhoffen. Während der Vorbereitungen aber flackern immer wieder ihre grundlegenden Differenzen auf: Primo, der insgeheim die Rückkehr nach Italien betreibt, sträubt sich gegen die kleinste Abweichung von der Tradition, während der Jüngere nichts sehnlicher wünscht, als Teil der neuen, aufregenden amerikanischen Kultur zu werden. Wenn die ersten Gäste schließlich eintreffen, steht trotzdem ein kulinarisches Meisterwerk für sie bereit, das den Ruf der italienischen Küche in Amerika ein für alle mal begründen soll. Nur der Ehrengast, der so viele Neugierige angezogen hat, läßt auf sich warten: Nicht die einzige Überraschung einer ereignisreichen Nacht, an deren Ende kaum mehr etwas so sein wird wie zuvor.Es fällt schwer, angesichts dieser cineasti-schen Delikatesse nicht in staunende Huldigung zu verfallen, so traumwandlerisch sicher verschmilzt hier poetisches, tiefsinniges Kino mit einem bewunderswerten Realismus zu einer stimmungsvollen Geschichte, die vieles in einem ist: präzises Zeitporträt, philosophischer Traktat, Sittengemälde und Loblied auf die hohe Kunst der Essenszubereitung. Das beginnt bei der zurückhaltenden Kamera, die das einfache Restaurant der Brüder in reduzierte Farben taucht und seiner kargen Schlichtheit durch sparsamste Bewegungen Ausdruck verleiht, während sie durch Pascals schummrige Amüsierhöhle wie entfesselt tanzt oder die hypnotische Anziehung von Cadillacs und Frauen auf Primo mit Zeitlupe und Nahaufnahme imaginiert. Das setzt sich fort in vielen winzigen Details wie dem nicht ganz sattelfesten Umgang mit der englischen Sprache, in sorgfältig ausgewählten Bekleidungsaccessoires und kleinen kulturellen Unterschieden wie Lautstärke oder Körperhaltung. Die beiläufige Sorgfalt, mit der Gesten als zentrale Ausdrucksmittel inszeniert werden, ließe den Film über weite Strecken auch ohne Ton gut funktionieren.Den Figuren schenkt diese Achtsamkeit eine lebendige Vielschichtigkeit, die von der Erzählung nur am Rande gestreift wird. So läßt Secondos penibler Ordnungsdrang unschwer auf Persönlichkeitsanteile schließen, die nicht ohne innere Konflikte mit seinen Amouren harmonieren, während Primos Gelassenheit im Umgang mit dem Kücheninterieur eine Beweglichkeit signalisiert, die seltsam konträr zu seinem rigiden Kochethos erscheint. In solchen Kleinigkeiten kann man die lange Vorbereitungszeit des Films erspüren und die intensive Beschäftigung der Schauspieler mit ihren Rollen , die sie zu mehr als gewöhnlicher Leinwandpräsenz erwecken.Der ruhige, anfangs etwas gewöhnungsbedürftige Erzählduktus und seine überlegten Bildkompositionen lassen Platz für viele solcher Beobachtungen, strukturieren zugleich aber auch eine Vielzahl von Einzelgeschichten: Secondos zwiespältige Beziehung mit Phyllis, die durch sein Verhältnis mit Gabriella überschattet ist, Pascals attraktivverführerischer Lebensgefährtin, die ihrerseits vom Wilden Westen und verwegenen Cowboys träumt; die schüchterne Zuneigung Primos zu einer verwitweten Blumenhändlerin, Lektionen in Verkaufsgesprächen und Emigrantendialogen, Tischmanieren und Bruderliebe; vor allem aber über den Unterschied im Umgang mit der Welt. In Primos altmodischer Sturheit, seiner kompromißlosen Hingabe an die Kochkunst, scheint eine Haltung auf, die aus dem Ensemble der Wirklichkeit nur das auswählt, was sich als "gut" bewährt hat: der Vorrang von Tradition und Qualität. Secondo hingegen ist vom Reiz des Neuen fasziniert, hofft auf sozialen Aufstieg und Erfolg als Lohn für harte Arbeit: die Perspektive eines wachsenden Wohlstandes. Er bewegt sich damit irgendwo in der Mitte zwischen seinem Bruder und Pascal, der im Bann größtmöglichen Nutzens alles und jeden für seine Interessen instru-mentalisiert. Zu fortgeschrittener Stunde, wenn die Gäste erschöpft vom Genuß der lukullischen Offenbarungen in träumerischer Zufriedenheit schwelgen und die Anspannung langsam nachläßt, drängen die Unterschiede nach außen. Das Fest endet in einer wütenden Prügelei der Brüder am Strand, in der die Unvereinbarkeit ihrer Anschauungen offen zutage tritt.Damit könnte der Film als Desaster ausklingen, als ernüchternde Geschichte einer gescheiterten Emigration, der sogar die mächtigen Familienbande der Pilaggis zum Opfer fallen. Doch die unglaubliche Meisterschaft dieses Debütfilms, der sich wie Primos Purismus bis in die formale Gestaltung hinein jedem Zugeständnis an konventionelle Erwartungen verweigert, dokumentiert sich in der minutenlangen Schlußeinstellung, in der die Brüder über einem einfachen Omlett wortlos wieder zueinander finden. Das italienische Sprichwort vom "Leben, um zu essen, nicht essen, um zu leben" erhält hier einen sehr handfesten, zugleich weit über das Profane hinausweisenden Sinn: Essen als elementarer kultischer Akt, der in der Verbindung von Genuß und Askese eine Gemeinschaft begründet, die imstande ist, fundamentale Differenzen auszuhalten. Das Regiedebüt des Hauptdarstellers Stanley Tucci, der den Film zusammen mit seinem Freund Campbell Scott inszenierte und auch das Drehbuch mit verfaßt hat, macht sinnlich augenfällig, wie das gemeinsame Verkosten von Essen wesentlich mehr als banale Nahrungsaufnahme ist: nämlich Ausdruck einer Lebenseinstellung, die ihre Erfüllung nicht im grenzenlosen "Mehr", sondern in der Wertschätzung des einzelnen findet. Von dieser Kostbarkeit des Augenblicks handelt der Film in jeder Einstellung, mit jedem Bild und jedem Musikstück, das sich dem gedankenleeren Konsum verweigert, indem es keines seiner Elemente zur Gänze ausspielt. So wie der volle kulinarische Genuß sich nur im geselligen Miteinander einstellt, der ein Abendessen zur abendfüllenden Angelegenheit macht, erschließt sich Tuccis und Campbells vielgängiges Kinomenü in seiner ganzen Dimension wohl ebenso erst dort, wo es in einen entsprechenden Rahmen eingebettet ist, zu dem Freunde und anschließend ein richtiges Essen gehören.
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