Im Autokino knistert es zwischen dem 14-jährigen Ponyboy (C. Thomas Howell) und seiner deutlich erwachsener und eleganter wirkenden Mitschülerin Cherry (Diane Lane). Wie unüberwindbar der Graben zwischen den beiden jedoch ist, offenbart sich beim Abschied. Cherry bittet Ponyboy darum, nicht böse zu sein, wenn sie ihn in der Schule nicht grüße. Verständnisvoll nimmt der Junge die Demütigung hin.
Ein Hauch von „West Side Story“ weht durch diese frühe Szene aus Francis Ford Coppolas „The Outsiders“ (1983). Wir befinden uns in der Großstadt Tulsa in Oklahoma und schreiben das Jahr 1965. Die krassen Klassenunterschiede sind hier zu einem Bandenkrieg ausgeartet. Dabei stehen die proletarischen Greasers mit ihren abgewetzten Jeans und pomadig glänzenden Haaren den adretten Schnöseln der Socs gegenüber. Unverrückbar bleibt die Grenze zwischen ihnen und die Anziehung zwischen Ponyboy und Cherry nur ein unerfülltes Versprechen.
Coppola widmet sich stattdessen einer anderen Form von Liebe, einem bedingungslosen, durchaus auch romantischen Gemeinschaftsgefühl unter männlichen Leidensgenossen. Seit dem Tod seiner Eltern lebt Ponyboy mit seinen Brüdern Sodapop (Rob Lowe) und Darrel (Patrick Swayze) zusammen. Besonders letzterer übernimmt dabei die Rolle des strengen Patriarchen. Auch die anderen Greasers sind wie Familienmitglieder, necken sich gegenseitig, gehen keiner Schlägerei aus dem Weg und passen vor allem aufeinander auf.
Die Stars von Morgen
Bekannt ist diese Filmgang geworden, weil jedes ihrer Mitglieder von einem späteren Star gespielt wird. Selbst die vergleichsweise unwichtigen, wenn auch umso lauter polternden Nebenfiguren werden von Darstellern wie Emilio Estevez und Tom Cruise verkörpert. Mit Matt Dillon, der den ungezähmten Wilden Dallas spielt, realisierte Coppola noch im selben Jahr den ebenfalls auf einem Roman der populären Jugendbuchautorin Susan E. Hinton basierenden „Rumble Fish“.
Auch innerhalb der beschützenden Gang bleibt Ponyboy ein Außenseiter. Während seine Kollegen an Autos rumbasteln und Mädchen hinterherjagen, geht er lieber ins Kino oder liest Bücher. Wie sein schon etwas älterer, bester Freund Johnny (Ralph Macchio), der mit seinem schmutzigen, verschrammten Gesicht und dem unsicher zittrigen Blick wie ein geprügelter Welpe aussieht, wirkt er stiller und in sich gekehrter als die anderen. Dabei begreift der Film diese Sanftheit und Verletzlichkeit nicht als Zwischenstation einer Mannwerdung, sondern bereits als etwas wahrhaft Vollkommenes.
Über die Fragilität von Jugend, Träumen und selbstgesteckten Zielen
Gefährdet wird dieses ausgeprägte moralische Bewusstsein, als Johnny in Notwehr einen Soc ersticht und gemeinsam mit seinem besten Freund aufs Land flieht, wo sie in einer alten Kirche Unterschlupf finden. Einmal stehen die beiden im Licht der Abendsonne und glühen wie Ikonen. Ponyboy sagt dabei Robert Frosts Gedicht „Nothing Gold Can Stay“ auf, in dem es um Natur und Vergänglichkeit, auf allegorische Weise aber auch ums Älterwerden und den Verlust kindlicher Unschuld geht. „Stay Gold“, bleibt euch treu, fordert Stevie Wonders Song die Jungs schon im Vorspann geschmeidig näselnd auf.
„The Outsiders“ erzählt, wie schnell die eigenen Träume und Ziele von ungünstigen äußeren Umständen erdrückt werden. Coppola entfaltet eine Welt, die von Gewalt und Perspektivlosigkeit geprägt ist. Der charismatische, aber auch aufbrausende und übergriffige Ex-Knasti Dallas hat unter diesen Bedingungen schon seinen goldenen Glanz verloren. Gemeinsam mit Ponyboy und Johnny wird er später Schulkinder aus der brennenden Kirche retten und zum Helden werden. Die Tragik besteht jedoch darin, dass es für Dallas schon zu spät ist. Dillon spielt ihn als Zerrissenen, der mit starrem Blick und bebenden Lippen gegen die Sehnsucht ankämpft, gut zu sein.
Helden einer archaischen Tragödie
Zwar wirken Story und Figuren ungeschönt authentisch, aber Coppola überhöht sie auf fast mythische Weise. Kameramann Stephen H. Burum, der auch viele Filme von Brian De Palma fotografiert hat, verleiht den Räumen durch Tiefenschärfe etwas Monumentales. Die lebensnahen Figuren filmt er oft von unten und erhöht sie dadurch zu Helden einer archaischen Tragödie. Wie Coppola aus einem Jugendfilm ein bildgewaltiges Epos macht, erinnert vermutlich nicht ganz zufällig an Nicholas Rays Cinemascope-Männermelodramen „Eine Handvoll Hoffnung“ (1955) und vor allem an „...denn sie wissen nicht was sie tun“ (1954).
Coppola zeigt sich an keiner vermeintlich realistischen Ästhetik interessiert, sondern blickt durch die Linse der Popkultur auf seine Figuren. Ponyboy eifert etwa Paul Newman in „Haie der Großstadt“ (1961) nach und liest im Exil Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“; ebenfalls eine Südstaaten-Geschichte über das qualvolle Heranwachsen inmitten eines kriegerischen Konflikts. „The Outsiders“ hätte ursprünglich selbst eine literarischere, stark an der Vorlage ausgerichtete Erzählstruktur haben sollen, die allerdings von den Produzenten für die Kinoauswertung zu 91 Minuten verdichtet wurde. 2005 stellte Coppola seine 22 Minuten längere Ur-Version unter dem Titel „The Complete Novel“ wieder her. Sie ist weniger vom Plot getrieben, schlüssiger gerahmt, formuliert Motive stärker aus und dringt tiefer in die Seelenwelt ihrer Protagonisten.
„The Complete Novel“ ist poetischer und zärtlicher
Am auffälligsten ändert sich der Tonfall der neuen Fassung durch die neue Musik und eine noch offensivere Empfindsamkeit. Der von Coppolas Vater Carmine Coppola komponierte Orchester-Score wird überwiegend von laut aufgedrehten Rockabilly-Songs ersetzt, die manchmal das Geschehen kommentieren und den Szenen mehr Tempo, Coolness und Aggressivität verleihen. Außerdem wurden mehrere Szenen ergänzt, die sich der mitunter fast homoerotischen Verbundenheit der Greaser widmen. Es wird darin viel gestritten, geweint und gekuschelt. Johnnys Verzweiflungstat wirkt dabei noch mehr wie ein Akt der Liebe, mit dem er seinem besten Freund das Leben retten will.
„The Complete Novel“ ist poetischer und zärtlicher, hat ebenso wie seine Protagonisten keine Scheu davor, sich aufkommenden Gefühlswallungen hinzugeben. Dass Hinton ihren Roman angeblich geschrieben hat, als sie 15 war, glaubt man gern. Vieles wirkt wie aus der neugierigen Perspektive eines Mädchens erzählt, das sich einen Reim aus gleichaltrigen Jungs machen will, das schonungslos Gefühle freilegt, die bei männlicher Selbstinszenierung gerne unterschlagen werden, dabei aber nicht versucht, ihre destruktive Energie zu bändigen.
Noch bevor es zum finalen Kampf kommt, den Coppola wie ein bewegtes Schlachtengemälde inszeniert, gibt es einen ehrlichen Austausch zwischen Ponyboy und dem Anführer der Socs. Klar wird dabei, dass auch für die beiden die Gewalt des Bandenkriegs völlig sinnlos ist. Und doch bereitet ihnen das Muskelspiel, der Nervenkitzel und die Möglichkeit, Druck abzulassen, sichtlichen Spaß. „The Outsiders“ beugt sich letztlich keiner didaktischen Message. Eine Keilerei ist barbarisch, aber sie kann für die Underdogs, die an ihr teilnehmen, auch verbindend und identitätsstifend sein.
„The Outsiders“ im Kino: „Best of Cinema“
Der Verleih Studiocanal bringt „The Outsiders“ in der Director’s Cut-Fassung („The Complete Novel“) am Dienstag, 2.11.2021, im Rahmen eines Event-Tages deutschlandweit ins Kino. Der Film ist der Auftakt der Filmreihe „Best of Cinema“, mit der Studiocanal zukünftig an jedem ersten Dienstag im Monat Kinoklassiker und Kultfilme zurück auf die Leinwände holt. Nach „The Outsiders“ im November folgt am 7.12.2021 „Die fabelhafte Welt der Amélie“; am 4.1.2022 steht dann „Tod auf dem Nil“ (1977) auf dem Programm, am 1.2.2022 „Mulholland Drive“. Mehr Infos über die Reihe und das weitere Programm finden sich unter www.bestofcinema.de Außerdem stellt ein Trailer die Reihe vor. In welchen Kinos und zu welcher Uhrzeit „The Outsiders“ am 2.11.2021 läuft, erfahren Sie hier.
„The Outsiders“ im Heimkino
Am 11.11.2021 erscheint die 4K-Restaurierung von „The Outsiders“ in einer 4K UHD & Blu-ray „Limited Collector‘s Edition“, als Blu-ray und Doppel-DVD beim Label Studiocanal. Alle Editionen umfassen sowohl die alte Kinofassung als auch den Director’s Cut „The Outsiders – The Complete Novel“ und viel, teilweise neues Bonusmaterial, u.a. ein Interview mit James Mockoski, Head of Archives and Restorations bei American Zoetrope, und Colourist Gregg Garvin über die Restaurierung, ein Interview mit Kameramann Stephen Burum, geschnittene Szenen, eine Einführung von Francis Ford Coppola („Outsider Looking In“) sowie ein Audiokommentar von Francis Ford Coppola, ein Audiokommentar von Matt Dillon, C. Thomas Howell, Diane Lane, Rob Lowe, Ralph Macchio und Patrick Swayze. Die BD- und die „Collector’s Edition“ umfassen noch weitere Specials.