Rio das mortes

Komödie | BR Deutschland 1970 | 84 Minuten

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Fassbinders fünfte lange Arbeit erzählt die komische Geschichte zweier naiver junger Männer, die ihr Leben in Bayern hinter sich lassen und nach Peru ziehen wollen, um dort mit Hilfe einer alten Landkarte einen Schatz zu bergen. Viele Dialoge drehen sich um Geld, das als Schmiermittel der Gesellschaft dient und meist mit Verrat einher geht. Das märchenhafte, aus der Realität abgehobene Finale stößt für die beiden Helden das Tor zu Fantasie und Freiheit auf. Der spielerisch leichte Film ist eine der wenigen Komödien in Fassbinders Schaffen. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
BR Deutschland
Produktionsjahr
1970
Produktionsfirma
Antiteater-X-Film/Janus
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Buch
Rainer Werner Fassbinder
Kamera
Dietrich Lohmann
Musik
Peer Raben
Schnitt
Thea Eymèsz
Darsteller
Hanna Schygulla (Hanna) · Michael König (Michel) · Günther Kaufmann (Günther) · Katrin Schaake (Katrin, Hannas Freundin) · Lilo Pempeit (Günthers Mutter)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
e-m-s & Kinowelt (FF, Mono dt.)
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Diskussion
Die erste Einstellung: ein Telefonhörer auf einem Bett, daraus eine plärrende Stimme. Die Mutter redet auf die Tochter ein; die Tochter, in knappen Dessous, kümmert sich derweil an der anderen Ecke des Zimmers um ihr Aussehen. Die Szene signalisiert zweierlei: In diesem Film wird es, anders als sonst beim frühen Fassbinder, ziemlich komisch zugehen. Doch auch diese Komik wird mit den Generalthemen des Regisseurs, mit Lüge und Verrat, zu tun haben. Hanna belügt ihre Mutter: Alles, was sie ihr schließlich am Telefon sagt, entspricht nicht der Wirklichkeit. Die Sequenz schließt mit einem Satz, den Hanna für eine Prüfung auswendig lernt und später mehrfach wiederholt: „Es ist notwendig, die Leistungsnormen beim Kind so früh wie möglich zu integrieren; damit hilft man dem Kind, die Anpassung an die Umwelt so leicht wie möglich zu vollziehen.“ Eine Sentenz, mit der Fassbinder ebenso auf den Verrat an Freiheit und Fantasie hinweist wie, bezogen auf das Gespräch zwischen Tochter und Mutter, die Rache der zur Anpassung Gezwungenen mit Hilfe der Lüge als einen Ausweg goutiert. „Rio das mortes“ erzählt von der Wiedererweckung kindlicher Träume und ihrer Reibung mit der Realität. Hannas Freund, der Fliesenleger Michel, den sie heiraten und mit dem sie Kinder haben will, ist von dem Plan besessen, anhand einer alten Karte nach einem verborgenen Schatz in Peru zu suchen. Sein Schulkamerad Günther soll ihn begleiten. Hanna ist strikt dagegen; am Schluss wird sie eine Pistole auf die beiden richten, aber nicht abdrücken. Äußerlich scheint es vor allem ein Auto zu sein, das sich auf dem Flugfeld zwischen den Lauf der Waffe und die Freunde schiebt und so den Schuss verhindert. Aber vielleicht ist es auch der restriktive Lehrsatz von der Anpassung, der tief in ihr rumort und dem sie sich nun verweigert? Schon beim Einpauken des Satzes hatte sie einmal „integriert“ mit „intrigiert“ verwechselt: Der nicht ausgeführte Schuss auf die Auf- und Ausbrechenden also als unbewusste Intrige gegen die normierte Gesellschaft? Bis dahin inszeniert Fassbinder eine Vielzahl komödiantischer Situationen. Diese reichen vom Umkippen des Salzes in einem Café (ein böses Omen für die Beziehungen zwischen Hanna und Michel) bis zum Telefonat mit einem peruanischen Botschaftsmitarbeiter, einem Beleg für die Naivität, mit der die Freunde recherchieren und agieren. Ein Großteil der Gespräche dreht sich ums Geld: Die junge Frau im Reisebüro rechnet penibel und ohne Sinn für Improvisation die Kosten zusammen, die das Unternehmen verschlingen würde – eine Unsumme. Günthers Mutter würde gern etwas vorschießen, baut aber gerade ein Ferienhäuschen in Tirol: „Man muss etwas haben, das man besitzt.“ Michels Meister erklärt einer Kundin, dass von 14 Mark für die Gesellenstunde nur acht für den Gesellen selbst übrig bleiben: „Es ist eben so.“ Der Verkauf des roten Sportwagens bringt den Freunden 2.200 Mark, während der Autohändler es für das Anderthalbfache anbietet. Auch dieser „Verrat“ ist eben so. Geld, so resümiert Fassbinder, ist das einzig funktionierende Schmiermittel der Gesellschaft, nicht etwa Kreativität und Fantasie. Nebenbei bemerkt: „Rio das mortes“ kostete ganze 125.000 DM. In diese Szenenfolgen fügt der Regisseur spielerische Happenings ein, die wie Inseln der Improvisation wirken oder es sogar sind: Aus dem Off erkundigen sich die Freunde bei Carl Amery nach der Stellung und politischen Rolle der Kirche in Lateinamerika; der Historiker und Philosoph antwortet nach bestem Wissen, allerdings mit vielen Fragezeichen. Ein andermal liest Hanna einen biografischen Text über Lana Turner: wie sie immer wieder zu Boden ging und sich immer wieder erhob, ein „Stehauffrauchen“. Am Ende liegt Günther nackt im Bett neben Hanna und erzählt ihr lang und anekdotisch aus seiner Zeit bei der Marine. Dorthin hatte er sich, das schwarze Kind eines GI und einer deutschen Mutter, freiwillig gemeldet, um zu beweisen, dass er ein „richtiger“ Deutscher sei – und dafür selbst den Bruch mit Schulfreund Michel in Kauf genommen. Verrat durch Anpassung, wobei die Anpassung hier durch Günther eher romantisch verklärt wird. Natürlich verweist der Name Lana Turners auf Fassbinders Lieblingsregisseur Douglas Sirk. Wenn Hanna nach einem Taxi zum Flughafen telefoniert, bestellt sie es unter dem Namen „von Stroheim“; noch ein Verweis auf Fassbinders geistige Väter. Auf die Frage einer plötzlich und märchenhaft aus dem Nichts in den Film eintretenden Mäzenin, warum Michel und Günther nach Peru wollten, antworten die Freunde: „Wir wollen das auch machen wegen dem Leben...“ Das überzeugt die gute Fee. Sie entlässt die beiden mit der nebensächlichen Bemerkung: „Und wenn sie den Schatz gefunden haben, werden sie mir sicher die 40.000 zurückgeben.“ Dieser Satz könnte auch heißen: „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“
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