Die Väter des Nardino

Drama | BR Deutschland 1988 | 94 Minuten

Regie: Wolf Gaudlitz

Ein eben verstorbener sizilianischer Bürgermeister findet keine Ruhe, weil er vor 30 Jahren seinen besten Freund verraten hat. Eine poetische, liebevoll in Rückblenden erzählte Geschichte einer Männerfreundschaft, die mit einer Mischung aus neorealistischen und surrealen Elementen die Kraft der Versöhnung beschwört. Neben einem unspektakulären Porträt mediterraner Mentalität berührt der Film vor allem durch seinen unbefangenen Umgang mit Sterben und Tod. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
BR Deutschland
Produktionsjahr
1988
Produktionsfirma
Solofilm/Duofilm/BR
Regie
Wolf Gaudlitz
Buch
Wolf Gaudlitz
Kamera
Claus Langer
Musik
Sergio Mirabelli
Schnitt
Alexander Rupp
Darsteller
Turi Ferro (Virgilio) · Hilmar Thate (Pasquale) · Massimo Bonetti (der junge Virgilio) · Peter von Strombeck (der junge Pasquale) · Andréa Ferréol (Concetta)
Länge
94 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein Toter und ein Lebender sitzen auf den Steinstufen vor einer sizilianischen Dorfkirche und sprechen über das, was ihnen während der letzten 30 Jahre schwer auf der Seele lastete: über den Verrat einer Freundschaft, den Verlust der Unbeschwertheit und ein verbittertes Leben. In ihrer Jugend waren Virgilio, Sproß einer wohlhabenden Gutsbesitzerfamilie, und der Weinbauer Pasquale unzertrennlich. Bis der Bauernsohn eines Tages den Freund in Palermo besucht, der sich dort lieber mit der Prostituierten Lucia als mit seinen Studien abgibt. Was für den angehenden "Dottore" aber nur angenehmer Zeitvertreib ist, hat für den aufrichtigen Pasquale Folgen. Nicht nur, daß er fortan ständig nach Palermo fährt, weil er sich in das Mädchen verliebt hat und ihr prompt einen Heiratsantrag macht. Er zweifelt auch keine Sekunde, daß Virgilio ihm eine Vaterschaft in die Schuhe schieben will, die von Lucia nur vorgetäuscht wurde, um dem reichen Stutzer mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Als eines Morgens ein schreiendes Baby vor Virgilios Türe liest, der inzwischen in sein Dorf zurückgekehrt und frisch verheiratet ist, trägt er seinen vermeintlichen Sohn Nardino flugs vor Pasquales Haus. Dessen Vaterfreuden jedoch sind verflogen, nachdem ihm Lucia klargemacht hat, was gespielt wird. Als er die Dinge richtig stellen will, schimpft ihn seine Mutter einen Narren und vor der Dorfgemeinschaft hat sein Wort gegen das des künftigen Patrons erst recht kein Gewicht: Virgilio streitet Pasquales Version öffentlich ab.

Dies alles erfährt man in Wolfgang Gaudlitz wunderbarer Liebeserklärung an die mediterrane Lebenswelt in raffiniert verschachtelten Rückblenden, die sich wie von selbst in die Haupthandlung einfügen: Virgilio liegt als alter Mann auf dem Totenbett, die Trauergemeinde um ihn. Doch selbst im Tod läßt ihm sein Gewissen keine Ruhe und so blinzelt er in die Runde nach dem, der als einziger nicht erschienen ist: Pasquale. Der war nach seiner Demütigung verstummt und aus dem Dorf fortgegangen. Erst viele Jahre später tauchte er wieder auf, ein mürrischer, wortkarger Tagelöhner, der mit Virgilio seitdem kein Wort mehr gewechselt hat. Es bedarf schließlich äußerer Einflüsse in Form eines Erdbebens und der Vermittlung des Dorftrottels Nardino, beider "Sohn", daß es vor der Beerdigung doch noch zur Versöhnung kommt, die in eine herrlich groteske Szene mündet, wenn Nardino als Kutscher hoch auf dem Leichenwagen hinter der nächsten Biegung verschwindet, während Virgilio lachend die Totenglocke schwingt.

Daß Wolf Gaudlitz' tragisch-komische Geschichte nach sechs Jahren doch noch den Weg ins Kino geschafft hat (bereits 1989 wurde sie mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet), grenzt an ein Wunder, wie auch ihre mannigfaltigen Grenzgänge zwischen Leben und Sterben, Stadt und Land, Wahrheit und Schwindel mehr als Staunen machen. Die scheinbar mühelose Verbindung von sizilianischem Gesellschaftskolorit mit surrealen, gelegentlich an Fellini erinnernden Erzählmomenten, die liebevollen Mini-Porträts einfacher Leute und die unbefangenen Einblicke in ländliche Trauerriten wie Hochzeitsfeste verrät eine große Vertrautheit mit südländischen Lebensumständen: Gaudlitz lebte jahrelang in Palermo und hat es mit seiner Arbeit geschafft, daß die Sizilianer in seinen Filmen an ein Wunschbild ihrer Gesellschaft erinnert wurden, die "im Spiel wie in der alltäglichen Gewohnheit ihr Gleichgewicht gefunden hat". Der Zauber, der von dieser schlichten Geschichte einer verletzten Männerfreundschaft ausgeht, läßt sich nur schwer an einzelnen Elementen festmachen.

Licht und Landschaft, eine fast "demütige" Kamera, die ihre Figuren umschmeichelt und zu unterstützen scheint, zwei wunderbare Hauptdarsteller, die augenzwinkernd Tragik wie Satire mildem, und eine dezent eingesetzte Metaphorik verschmelzen zur "bittersüßen Lebenschronik" einer Region, in der erstaunlich gelassen mit Widrigkeiten wie Unumgänglichkeiten des Lebens umgegangen wird. Gaudlitz' italienisches Märchen - Illusion, Traum oder vielleicht doch Wirklichkeit - ist eines der wenigen überzeugenden Filmbeispiele, in denen der Tod glaubhaft zum Leben gehört.
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