Auf Disney+ läuft derzeit die 4. Staffel der Krimi-Comedyserie „Only Murders in the Building“ um ein Trio von Amateurdetektiven. Der verspielte Umgang mit Zitaten aus Kinofilmen und Serien sorgt weiterhin für großes Vergnügen und führt nicht zuletzt zu hintersinnigen Anspielungen auf die Filmbranche. Wobei sich die Serie vor einem wichtigen Vorbild verbeugt: dem Drehbuch- und Romanautor Charlie Kaufman.
Ein wunderbares filmisches Chaos: In der 27. Minute der fünften Folge der vierten Staffel der Serie „Only Murders in the Building“, die am 24. September in Deutschland von Disney+ online gestellt wurde, betreten Mabel Mora (Selena Gomez), Charles-Haden Savage (Steve Martin) und Oliver Putnam (Martin Short) ein Filmstudio. Das Trio hatte in der ersten Staffel (Start im August 2021) mehr aus Not denn aus Neigung zusammengefunden und sich in einem Podcast gegen den Verdacht gewehrt, einer von ihnen hätte in dem Haus, in dem sie leben, einen Mord begangen. Der Podcast war überraschend erfolgreich und verlieh ihnen, die entweder ihre Karriere schon hinter sich hatten oder sie nicht vor sich sahen, neuen Lebensmut und eine gewisse Popularität, die sie in weiteren Staffeln durch weitere Podcast-Produktionen mehrten.
Nun soll in der vierten Staffel der erste Podcast verfilmt werden. Im Studio, das sie aufsuchen, sollen sie zum Zwecke der Promotion fotografiert werden; gleichzeitig suchen sie dort nach den Tätern eines weiteren Mordes, der am Ende der dritten Staffel geschah und dem eine Freundin zum Opfer fiel. In der Mitte des Raums, den sie betreten, stehen mehrere raumhohe Spiegel, in denen sie sich nun mehrfach betrachten, als drei weitere Personen (Eva Longoria, Zach Galifianakis und Eugene Levy) hinzukommen. Diese drei sollen in dem zu produzierenden Film das ursprüngliche Trio darstellen; deshalb trägt jeder von ihnen dieselbe Kleidung wie die Person, die sie darzustellen hat. Während sich die beiden Dreier-Gruppen noch irritiert anschauen, kommt eine weitere hinzu. Es handelt sich um die beiden Stuntmänner und die Stuntfrau, die bei den Dreharbeiten in gefährlichen Szenen die Schauspielerin und die Schauspieler doubeln sollen, die das Podcast-Trio darstellen werden. Alle neun erscheinen zusätzlich mehrfach in den Spiegeln, so dass man für einen Augenblick nicht mehr weiß, wer nun wer ist, und wer nicht, geschweige denn warum.
Die von Steve Martin und John Hoffman entwickelte Serie „Only Murders in the Building“ ist weniger eine Krimi- denn eine Comedyserie. Auf Gags und Pointen im Bild und in den Dialogen wird unendlich viel mehr Wert gelegt als auf eine halbwegs plausible Verbrechenserzählung. Die Morde, die in dem New Yorker Wohnhaus des Trios geschehen sein sollen, erscheinen meist nur in der Gestalt von Verweisen oder Zitaten aus Kinofilmen und Fernsehserien. Man kann das als zarten Hinweis darauf lesen, dass das Übermaß an Kriminalfilmen aller Art dazu führt, dass längst alles erzählt ist und jeder neue Anlauf nur Varianten des Alten und damit Bekannten dieses Genres hervorbringen kann. Zugleich lässt es sich auch als Hommage auf die zitierten Filme und Serien verstehen. Steve Martin war schon 1982 als Hauptdarsteller und Co-Autor an einem Kinofilm beteiligt, der die Kriminalfilme der „Schwarzen Serie“ persiflierte und zugleich ehrte: „Tote tragen keine Karos“ von Carl Reiner.
Damit aber der Anspielungen nicht genug. Fast jede Folge der vierten Staffel ist nach bekannten Filmen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Sergio Leone, „Blow up“ von Michelangelo Antonioni oder „Das Rettungsboot“ von Alfred Hitchcock benannt; sie kommen auch immer wieder auf den massenmedialen Betrieb selbst zu sprechen, wenn etwa Stars wie der Musiker Sting, die Schauspielerin Shirley MacLaine, die Komikerin Amy Schumer, der Schauspieler Matthew Broderick, der Regisseur Mel Brooks oder der Tennisprofi John McEnroe in Kurzauftritten, in denen es auch um ihre mediale Präsenz geht, sich selbst spielen. Der Filmregisseur Ron Howard ist gleich in mehreren Folgen der vierten Staffel zu sehen, auch wenn er den Film über das Podcast-Trio nicht inszenieren wird. Den hat eine durchgeknallte Produzentin (Molly Shannon), die zu ihrem Pech jüngst ein Projekt namens „Barbie“ abgesagt hat und bei ihrem Studio deshalb um ihre Reputation kämpft, zwei Schwestern anvertraut, die sich „The Brothers“ nennen und aus dem Avantgarde-Kino kommen. Ihre Regiemethoden spielen alles durch, was Hollywood hervorgebracht hat: Vom „Method Acting“ über das gestische Spiel bis zur dokumentarischen Beobachtung realer Vorgänge. Eine Darstellung, die wie manche Karikatur nicht frei von Klischees ist.
Ein augenzwinkerndes Spiel
Die vielen selbstreferentiellen Momente der Serie sind also ein augenzwinkerndes Spiel mit jenen Zuschauerinnen und Zuschauern, die Anspielungen verstehen, Zitate entschlüsseln und jede halbwegs bekannte Person aus dem jeweiligen Kontext kennen. Um für letzteres nur ein Beispiel zu nennen: John McEnroe pflaumt in der erwähnten fünften Folge der vierten Staffel den diesmal in ein 1970er-Jahre-Tennis-Outfit gekleideten Oliver so an, wie er einst auf dem Platz Linienrichter beschimpfte, die einen Aufschlag anders als er gesehen hatten. In den besten Szenen spielen diese selbstreferentiellen Momente aber auch mit den Regeln und Konventionen des Krimi-Genres wie jeder filmischen Erzählung. Als Beispiel mag die erwähnte Szene stehen, in der die Darsteller denen, die sie im geplanten Film darstellen sollen, und jenen, die wiederum diese in Stunts doubeln werden, vor den Spiegeln des Studios (und der Kamera der Serie) begegnen.
Diese
Serienfolge verfassten J.J. Philbin und Ella Robinson Brooks. Inszeniert wurde sie von Jessica Yu. Zu ihrem Beginn
klebt sich der Drehbuchautor Marshall P. Pope (Jin Ha), der das
Drehbuch zum geplanten Film geschrieben haben will, einen Bart an, um einem
Mann ähnlich zu sehen, dessen Foto neben dem Spiegel steht. Es zeigt Charlie Kaufman, einen der bekanntesten Drehbuchautoren des US-Kinos der
letzten 25 Jahre, der unter anderem die Vorlage zu „Being John Malkovich“
von Spike Jonze (USA 1999) schrieb.
Der Titel dieser Folge wird – wie bisher in allen vier Staffeln – über die Maske eines alten 4:3-Fernsehapparates eingeblendet. Er lautet „Adaption“ und gleicht somit dem Titel des Films, den Spike Jonze 2002 ebenfalls nach einem Drehbuch von Kaufman inszenierte. Der wiederum verfilmt seine Drehbücher seit einigen Jahren selbst – etwa „Synecdoche, New York“ (2008) oder „Anomalisa“ (2015). Kaufman ist ausweislich dieser Filme der Meister der Selbstreflexivität des modernen Films. In einer Radikalität, wie sie „Only Murders in the Building“ selbstverständlich nicht erreicht.
„Ameisig“ entdecken
Aber vielleicht lädt die vierte Staffel der Serie ja manche dazu ein, sich die Filme von Kaufman noch einmal anzuschauen oder gar den Roman zu lesen, den er 2020 unter dem Titel „Antkind“ (in der deutschen Übersetzung treffend: „Ameisig“) veröffentlichte. Es ist eine (im Deutschen) 859 Seiten umfassende wilde und bizarre Erzählung, die vom Kino, vom Fernsehen, von alten wie neuen Medien gleichermaßen handelt, und all deren Möglichkeiten ins komische oder aber auch hysterische Extrem treibt. Ich-Erzähler des Romans ist ein Filmkritiker, der als einziger Mensch den längsten Film der Filmgeschichte gesehen haben will, der dummerweise zerstört wurde und so nur in seiner Erinnerung existiert.
In diesem Roman tritt auch ein Mann namens Donald J. Trunk auf, der irgendwann von einem Roboter gedoubelt wird, von dem dieser US-Präsident im neuen Narzissmus des digitalen Zeitalters restlos begeistert ist.