© Wild Bunch ("Tatami")

Rückgrat gegen das Regime: Fritz-Gerlich-Preis 2024

Der Fritz-Gerlich-Preis 2024 geht an das Sportlerinnen- und Gewissensdrama „Tatami“

Veröffentlicht am
01. August 2024
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Im Rahmen des 41. Filmfest München wurde zum zwölften Mal der Fritz-Gerlich-Preis verliehen. Der Filmpreis, der an den von den Nazis ermordeten Journalisten Fritz Gerlich erinnert, geht 2024 an das Drama „Tatami“. Das israelisch-iranische Regie-Duo Guy Nattiv und Zar Amir erzählt darin von einer Judoka aus dem Iran, die bei der Weltmeisterschaft von Funktionären unter Druck gesetzt wird und sich zu einer Gewissensentscheidung gezwungen sieht.


Das Drama „Tatami“ ist mit dem Fritz-Gerlich-Preis 2024 ausgezeichnet worden. Die Ehrung für das Regie-Duo, den Israeli Guy Nattiv und die Iranerin Zar Amir, wurde in München von Kardinal Reinhard Marx vergeben. Der im Rahmen des Filmfest München verliehene Preis erinnert an den katholischen Journalisten Fritz Gerlich (1883-1934). Gerlich positionierte sich Anfang der 1930er-Jahre als Herausgeber der Wochenzeitung „Der gerade Weg“ gegen den Nationalsozialismus, wurde 1933 verhaftet und am 30. Juni 1934 im Konzentrationslager Dachau ermordet. Der nach ihm benannte Preis wird von der Filmproduktionsfirma Tellux gestiftet und ist mit 10.000 Euro dotiert. 2024 fand die Verleihung zum zwölften Mal statt. Prämiert wird ein Film aus dem Programm des Filmfest München, der sich für mehr Menschlichkeit und gegen Diktatur, Intoleranz und Verfolgung ausspricht.


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Ein Zeichen gegen Intoleranz und für Versöhnung stellt bereits die Regie-Zusammenarbeit von „Tatami“ dar, bei der es sich um die erste Kooperation von Filmemachern aus Israel und Iran handelt. Inhaltlich geht es um die iranische Feindschaft gegenüber Israel am Beispiel des Sports.


Auch die Familien werden bedroht

„Tatami“ spielt während einer Judo-Weltmeisterschaft der Frauen im georgischen Tiflis. Dort tritt die iranische Judoka Leila Hosseini (Arienne Mandi) mit berechtigten Hoffnungen auf eine gute Platzierung an und besiegt ihre ersten Gegnerinnen souverän. Das alarmiert die Vertreter des iranischen Regimes, denn Hosseini könnte im Turnierverlauf auch auf die Israelin Shani Lavi (Lir Katz) treffen. Die Funktionäre kontaktieren deshalb Hosseinis Trainerin Maryam Ghanbari (Zar Amir) und befehlen ihr, die Sportlerin zur Vortäuschung einer Verletzung aufzufordern. Doch die Judoka weigert sich. Sie will ihre gute Form nicht politischen Zwängen opfern und setzt ihre Kämpfe fort. Mit jedem Sieg aber wird der Druck größer, denn neben der Sportlerin und ihrer Trainerin werden auch ihre Familien im Iran bedroht.

Die Jury des Fritz-Gerlich-Preises würdigte „Tatami“ als bewegenden, stets glaubhaften und mitreißenden Film. Er greife zentrale Gedanken von Fritz Gerlich auf wie den Widerstand gegen diktatorische Regime und das innere Ringen, das zu Entscheidungen führt, die mit harten Konsequenzen verbunden sind. „Rückgrat zu beweisen, die persönliche Freiheit zu erkämpfen, der Gewalt und der Lüge zu widerstehen, die Opfer, die damit verbunden sind – diese Motive verbinden Fritz Gerlich und den Film über die Zeiten und die Kulturen hinweg in beeindruckender Weise“, erklärte die Jury.


Die Handlanger des Regimes

Inspiriert ist „Tatami“ von mehreren Fällen, in denen iranische Sportlerinnen und Sportler sich den Befehlen des Regimes widersetzten und mit diesem brachen. Nattiv und Amir haben ihren in schwarz-weiß gedrehten Film wie einen Thriller angelegt und bauen durch das Element des Zeitdrucks Spannung auf. Die Wettkämpfe der Judokas folgen bei der Weltmeisterschaft rasch aufeinander; in den Pausen dazwischen werden die Drohungen der Funktionäre immer intensiver. Sogar vor Inhaftierung und Folter der Angehörigen schrecken sie nicht zurück. Zudem sind es nicht nur Anrufe aus dem Iran, mit denen die Frauen konfrontiert sind. Auch in den Gängen der Sportarena sind sie vor den Handlangern des Regimes nicht sicher.

„Tatami“ zeigt, wie die beiden Frauen sich in derselben Gefahrensituation befinden, aber zuerst unterschiedlich reagieren. Maryam widersetzt sich der Gewalt nicht lange; Leila hingegen will nicht klein beigeben. Dabei kann sie auch auf die Unterstützung ihres Mannes zählen, den sie in einer Kampfpause zur Flucht mit ihrem Sohn aus dem Iran drängt. Währenddessen scheinen ihre eigenen Kräfte durch die angespannte Lage eher noch mobilisiert zu werden. In den immer härteren Kämpfen holt sie das Letzte aus sich heraus.


Der Preis für den Widerstand ist hoch

„Tatami“ macht nicht zuletzt nachvollziehbar, wie fadenscheinig die Drohkulisse ist, die um die Sportlerin aufgebaut wird. Selbst wenn Leila und Maryam in der direkten Schusslinie stehen, sind sie keineswegs schutzlos und können immer noch selbstbestimmt Entscheidungen treffen. Der Preis dafür ist zweifellos hoch, denn es bedeutet die Loslösung von ihrer Heimat, vielleicht für immer, und Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familien. Doch mit ihrem Mut versetzen sie einem System, das Millionen Menschen brutal unterdrückt, einen empfindlichen Schlag. Packend verdeutlichen Nattiv und Amir dieses Dilemma der Protagonistinnen und machen ihren moralischen Triumph über ihre Widersacher in aller ambivalenten Schmerzhaftigkeit spürbar.


Weiterführende Informationen zum Fritz-Gerlich-Filmpreis finden sich hier. Außerdem auch die Begründung der Jury im Wortlaut.

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