Die Gala der 96. „Academy Awards“ am 10. März 2024 war vom Kino-Phänomen des Jahres 2023 geprägt. „Barbenheimer“ dominierte die Show, wobei die Filmbiografie des US-Atomphysikers sich am Ende deutlich gegen die satirische „Barbie“-Fantasie behaupten konnte. Doch auch andere Filme setzten markante Zeichen in einer unterhaltsamen Veranstaltung, die künstlerische Ambitionen und Publikumsnähe gleichermaßen hochleben ließ.
Manches Ende ist absehbar. Das können selbst die Besten nicht verhindern. Als Al Pacino als letzter Präsentator der 96. „Oscar“-Verleihung den „Academy Award“ für den besten Film des Jahres zu vergeben hatte, versuchte der gewiefte Bühnenprofi zwar selbst nach dem Öffnen des Umschlags noch, die Spannung etwas aufrechtzuerhalten. Doch das Ergebnis konnte eigentlich niemand mehr überraschen. Es ist das Happy End für die Atomphysiker-Biografie „Oppenheimer“ von Christopher Nolan, die im Sommer 2023 so furios in den Kinos reüssierte und mit 13 Nominierungen auch als klarer Favorit ins „Oscar“-Rennen gegangen war. Letztlich entfielen insgesamt sieben Preise auf „Oppenheimer“, inklusive des Regie-Preises für Christopher Nolan, der sich in seiner Dankesrede geehrt fühlte, innerhalb des Filmbereichs eine so wichtige Funktion ausüben zu dürfen.
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Nolan und seine Frau und Produzentin Emma Thomas fanden eine gelungene Mitte zwischen glaubhafter Nonchalance und freudiger Genugtuung über den Triumph, der keineswegs zwangsläufig war; nicht wenige Beobachter hatten den dreistündigen Exkurs in Leben, Arbeit und Dilemma des Atombomben-Konstrukteurs J. Robert Oppenheimer vorab eher für ein riskantes Unterfangen gehalten.
Auch wenn „Oppenheimer“ traditioneller ist als der „Oscar“-Gewinnerfilm von 2023, „Everything Everywhere All at Once“, ist er weit mehr als ein auf die Vorlieben der Academy of Motion Pictures Arts and Sciences zugeschnittener Prestigefilm. Denn die Bereitschaft, sich in dieser Ausführlichkeit und formalen Raffinesse mit der Frage nach der Verantwortung auseinanderzusetzen, ist im Kino selten geworden. Auch deshalb gibt „Oppenheimer“ Anlass zur Hoffnung für mehr Wagemut und Originalität, gerade im US-amerikanischen Filmgeschäft.
Vereint unterm Zelt der Filmkunst
Das Gefühl, den Spagat zwischen den lukrativen Blockbustern des Hollywood-Alltags und den auszeichnungswürdigen Qualitätsfilmen recht elegant zu meistern, prägte die „Oscar“-Gala im Dolby Theatre in Los Angeles. Der vielfach beschworene Spaß am Kino wurde auch in den überwiegend gelungenen Scherzen des Moderators Jimmy Kimmel immer wieder aufgegriffen, wobei neben „Oppenheimer“ erwartungsgemäß auch „Barbie“ – sowie das als „Barbenheimer“ bekannt gewordene Phänomen viel Aufmerksamkeit erfuhr. Zumindest verbal, denn bei den Preisen hatte Greta Gerwigs Kreuzung aus Puppen-Werbefilm und feministischer Satire das Nachsehen. Während „Barbie“ den Konkurrenten an den Kinokassen deutlich hinter sich gelassen hatte, fielen für „Oppenheimer“ in der „Awards Season“ im direkten Vergleich weit mehr Preisen ab. Die „Oscars“ machten darin als Höhe- und Schlusspunkt keine Ausnahme.
Auch wenn Emily Blunt und Ryan Gosling launig die „Fehde“ der beiden Filme kommentierten, und die Vorzüge von „Barbie“ allseits hervorgehoben wurden, bliebt aus sieben nominierten Kategorien am Ende nur der Preis für den besten Song übrig. Ein Abschluss, mit dem die „Academy“ unterschwellig auch darauf verwies, dass Nolans Anteil am „Barbenheimer“-Phänomen der wichtigere war.
Die Frage, ob die Nicht-Nominierung von Greta Gerwig als Regisseurin einen Affront darstellte, konterten die Kameras bei der Fernsehübertragung der „Osacr“-Gala dramaturgisch geschickt mit häufigen Blicken auf den im Publikum sitzenden Steven Spielberg – wer könnte mehr über eine durchwachsene Geschichte mit den „Oscars“ erzählen als er? Schließlich hatte auch Spielberg vor seinen Auszeichnungen für „Schindlers Liste“ und „Der Soldat James Ryan“ tendenziell demütigende Erfahrungen gesammelt, indem er weder für seinen Blockbuster „Der weiße Hai“ noch für seinen ersten Abstecher ins „ernsthafte“ Kino mit „Die Farbe Lila“ eine Regie-Nominierung erhalten hatte.
Der „Oscar“-Gala 2024 glückte an vielen Stellen, was bei manchen früheren Jahrgängen eher bemüht gewirkt hatte: Misstöne vermeiden, das Glücksgefühl über die gemeinsame Arbeit an Filmen überzeugend beschwören und im Tonfall sehr unterschiedliche Werke unter dem Zelt der Filmkunst zusammenführen. Beachtlich wacker schlug sich die skurrile Frankenstein-Variation „Poor Things“, bei der angesichts ihrer extravaganten Inszenierung ein schwierigerer Stand bei den oft als wenig experimentierfreudig wahrgenommenen „Academy“-Mitgliedern vermutet wurde. Letztlich aber heimste das Werk des Griechen Yorgos Lanthimos, dem sein „Make-up-und-Hairstyling“-Team dafür dankte, „Filme wie niemand anderes zu machen“, immerhin vier Preise ein. Neben dem „Make-up“ gewann „Poor Things“ auch für das Produktionsdesign, die Kostüme und für Hauptdarstellerin Emma Stone.
Der „Oscar“ für Stone war die nicht unverdiente, aber zweifellos größte Überraschung, bei dem die Platzierung des Darstellerinnen-Preises an der vorletzten Stelle des Abends wie gemacht schien, um „Oscar“-Geschichte zu schreiben: mit der Auszeichnung der favorisierten Lily Gladstone in „Killers of the Flower Moon“. So aber musste sich Gladstone mit der historisch nicht weniger bedeutsamen Nominierung als erste amerikanische Ureinwohnerin in dieser Kategorie begnügen.
Breite Streuung
Ebenfalls ohne
„Oscar“ blieb auch Sandra Hüller, die neben ihrem nominierten
Part in dem Gerichtsdrama „Anatomie eines Falls“ auch in dem
radikalen Auschwitz-Film „The Zone of Interest“ brilliert hatte. Beide
Arbeiten, die die Hauptpreise beim Festival in Cannes 2023 gewonnen hatten, bei
den US-Filmpreisen rege bedacht und bei den „Oscars“ jeweils fünfmal nominiert
worden waren, gingen nicht leer aus. „Anatomie eines Falls“ wurde für das
Originaldrehbuch ausgezeichnet, „The Zone of Interest“ für den Ton sowie als
„Internationaler Film“ (gegen die deutsche Konkurrenz von Ilker Çataks „Das Lehrerzimmer“ und Wim Wenders’ japanischer Regiearbeit „Perfect Days“).
Überhaupt gelang es den „Academy“-Mitgliedern, ihre Auszeichnungen nicht allein auf wenige Favoriten zu verteilen, sondern zu streuen. So wurde der Regiedebütant Cord Jefferson für sein smartes Drehbuch zu „Amerikanische Fiktion“ ausgezeichnet, die Schauspielerin Da’Vine Joy Randolph gewann für die versöhnliche Komödie „The Holdovers“ den Nebendarstellerinnen-Preis, und mit der Ehrung des Spezialeffekte-Teams von „Godzilla Minus One“ zollte die „Academy“ einem japanischen Film ausgerechnet in dem Bereich Beifall, der wie kein anderer noch immer die US-Blockbuster beherrscht.
Zwei weitere Entscheidungen hätten womöglich noch denkwürdiger ausfallen können, wenn die Preisträger anwesend gewesen wären. So gingen die Auszeichnung für den Anime-Künstler Hayao Miyazaki, der 21 Jahre nach „Chihiros Reise ins Zauberland“ für seinen Film „Der Junge und der Reiher“ erneut die Animationsfilm-Kategorie gewann, und auch der allererste „Oscar“ für Wes Anderson (für seinen Kurzfilm „Ich sehe was, was du nicht siehst“) innerhalb der Show fast ein wenig unter.
Obwohl einige Teile der Gala etwas sehr knapp ausfielen, insbesondere die Hinführungen der Präsentatoren zu den Auszeichnungen für die Gewerke, wurde dies an anderer Stelle wieder ausgeglichen. So gab es einen Tribut an den (bei den „Oscars“ weiterhin nicht mit eigener Auszeichnung bedachten) Berufsstand der Stuntleute, und bei den Darsteller-Kategorien kam es zu einer Neuauflage des geglückten Einfalls früherer Jahre, je fünf frühere Preisträgerinnen und Preisträger die Nominierten einzeln würdigen zu lassen. Die neuen „Oscar“-Gewinner bedankten sich dafür mit bemerkenswerten Auftritten, Emma Stone und Da’Vine Joy Randolph sympathisch-emotional, die beiden für „Oppenheimer“ gekürten Darsteller Cillian Murphy und Robert Downey jr. mit pointierten Rückblicken auf die eigenen Karrieren.
Publikumsnähe und Anspruch
Auch wenn nicht jeder Aspekt vorab planbar ist, hat die „Oscar“-Academy mit ihren Preisentscheidungen und der Präsentation 2024 einen wichtigen Schritt getan, um ihr Image zu verbessern. Publikumsnähe und der eigene Anspruch passen jetzt wieder besser unter einen Hut. Dafür spricht auch die Reminiszenz an den berüchtigten Flitzer-Zwischenfall bei den 46. „Academy Awards“ vor 50 Jahren, für die Moderator Kimmel im Wrestler John Cena einen willigen Mitspieler fand. Die „Oscar“-Gala 1974 war nicht nur durch den Auftritt eines nackten Mannes geprägt, sondern hatte mit „Der Clou“ und „Der Exorzist“ ebenfalls Preisträger zu bieten, die künstlerische Ambition und Zuschauerzuspruch vereinten. Davon können Impulse ausgehen, die für die folgenden Jahre wichtig werden.
Die Gewinner der 96. "Oscar"-Verleihung 2024
Bester Film
Bester Regie
Christopher Nolan für „Oppenheimer“
Bester Hauptdarsteller
Cillian Murphy in „Oppenheimer"
Beste Hauptdarstellerin
Bester Nebendarsteller
Robert Downey jr. in „Oppenheimer“
Beste Nebendarstellerin
Da’Vine Joy Randolph in „The Holdovers“
Bestes Originaldrehbuch
Justine Triet, Arthur Harari für „Anatomie eines Falls“
Bestes adaptiertes Drehbuch
Cord Jefferson für „American Fiction“
Beste Kamera
Hoyte van Hoytema für „Oppenheimerr“
Bestes Productiondesign
James Price, Shona Heath, Zsuzsa Mihalek für „Poor Things“
Beste Kostüme
Holly Waddington für „Poor Things“
Bester Schnitt
Jennifer Lame für „Oppenheimer“
Beste Musik
Ludwig Göransson für „Oppenheimer“
Bester Originalsong
„What Was I Made For?“ in „Barbie“
Bester Ton
Beste Spezialeffekte
Bestes Make-up und Frisuren
Bester Animationsfilm
„Der Junge und der Reiher“ von Hayao Miyazaki
Bester animierter Kurzfilm
„War is over! Inspired by the Music of John & Yoko“
Bester Real-Kurzfilm
„The Wonderful Story of Henry Sugar“
Bester Dokumentarfilm
„20 Days in Mariupol“
Bester Kurz-Dokumentarfilm
„The Last Repair Shop“
Bester internationaler Film