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Leders Journal (XVII): Smarter ermitteln?

Leders Journal (XVII): Was die Allgegenwart von Mobiltelefonen in (Fernseh-)Filmen aller Art über die Gegenwart und das filmische Erzählen verrät.

Veröffentlicht am
07. Juli 2023
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Ohne Mobiltelefone ließen sich heute keine Filme mehr erzählen, zumindest keine (Fernseh-)Krimis, in denen sich die mobilen Geräte in unterschiedlichsten Funktionen unentbehrlich gemacht haben. Das erlaubt der Dramaturgie enorme Freiheiten, führt mitunter aber auch zu einer Beliebigkeit, die der Spannung wie der Konzentration abhold sind.


Vielleicht hat der eine oder andere dieser Tage beim Betrachten eines Fernsehfilms auch an jene Epoche des italienischen Films gedacht, die mit dem Begriff „Telefoni Bianchi“ charakterisiert wurde. Gemeint sind damit Melodramen, die in den 1930er-Jahren entstanden und im reichen Bürgertum spielten. Um die Fallhöhe des dramatischen Geschehens zu charakterisieren, waren die Wohnungen der handelnden Personen überaus reich ausgestattet. Als Zeichen des Luxus galten dabei vor allem „Telefoni Bianchi“, also weiße Telefone.


Der Mörder ist nicht der Gärtner

Der Fernsehfilm, der diese unwillkürliche Erinnerung an die „Telefoni Bianchi“-Filme auslöste, hat mit diesen nichts gemein. Es war der zweite Film der dritten Staffel der Serie um den holländischen Kommissar Van der Valk mit dem Titel „Erlösung in Amsterdam“. En klassischer Krimi, in dem der zu Beginn gezeigte Mord am Kurator eines ethnografischen Museums aufgeklärt werden soll. Zunächst hatte es den Anschein, als spielte hier auch die Frage um die Restitution kunsthandwerklicher Gegenstände, die zur Zeit des holländischen Kolonialismus geraubt wurden, eine Rolle. Doch dieses Thema wurde bald dadurch verdrängt, dass ein anderes Verbrechen, das zwanzig Jahre davor geschah, eine immer größere Rolle einnahm und sogar einen zweiten aktuellen Mord auslöste. Am Ende kommt es zu einem Showdown, bei dem der Mörder des Kurators überführt wird. Es stellt sich zudem heraus, dass der Kurator nicht nur Opfer, sondern auch Täter war, der das 20 Jahre zurückliegende Verbrechen begangen hatte.


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Die Serie hat mit den Kriminalromanen von Nicolas Freeling, der Mitte der 1960er-Jahre die Figur des Van der Valk erfand, kaum mehr als den Handlungsort Amsterdam gemein. Sie ist eine holländisch-britisch-deutsche Co-Produktion, die an vielen Orten in Amsterdam gedreht wurde und in der Marc Warren die Hauptrolle spielt. Die Folge „Erlösung in Amsterdam“ wurde von der holländischen Regisseurin Simone van Dusseldorp inszeniert.

Aber was löste nun die Erinnerung an die „Telefoni Bianchi“ aus? Schlicht die Tatsache, dass in diesem Fernsehkrimi mindestens 35 Mal ein Mobiltelefon eine wichtige Rolle spielte. Umgerechnet bedeutet das, dass alle zweieinhalb Minuten ein Telefon klingelte oder vibrierte, ein Anruf getätigt oder bewusst ignoriert wurde, eine SMS einging oder versendet wurde, eine E-Mail gelesen, nach Informationen im Internet gesucht oder ein Ort über den Internetstadtplan gefunden wurde. Die Telefone selbst sah man kaum, sie wurden so in der Hand gehalten, dass die Frage nach dem Gerätetyp oder dem Hersteller gar nicht aufkam. Ein Statussymbol wie die „Telefoni Bianchi“ konnten sie deshalb nicht sein, vielmehr waren sie ein multifunktionales Handwerkzeug, das die Polizeibeamten ebenso selbstverständlich handhabten wie die Regie.

Greift er gleich zur Knarre - oder zm Smartphone? "Kommissar van der Valk - Erlösung in Amsterdam" (© ARD Degeto/Company Pictures, NL Films/All3Media International)
Greift er gleich zur Knarre - oder zum Smartphone? "Kommissar van der Valk - Erlösung in Amsterdam" (© ARD Degeto/Company Pictures, NL Films/All3Media International)


Handys statt Zigaretten

Das lenkt die Aufmerksamkeit darauf, dass das Mobiltelefon längst zu einem Handlungsmittel avancierte, das unterschiedlichste Möglichkeiten bietet. Nachfolgend seien die aufgezählt, die dieser Fernsehkrimi verwandte. Da ist zunächst die simpelste: Das im Hintergrund ertönende Klingeln der Telefone täuschte im Büro der Beamten so etwas wie Arbeit vor, die nicht mehr inszeniert werden musste, sondern nur akustisch angezeigt wurde. Eine weitere Funktion besteht darin, die früher gerne benutzte Zigarette, die aus gesundheitspolitischen Gründen nicht mehr opportun ist, als Mittel banaler Handlung zu ersetzen; Nebenfiguren, die im Hintergrund zu sehen waren, hatten etwas zu tun, indem sie als Passanten oder als Gäste in einem Restaurant auf das Telefon schauten oder ein Gespräch führten. Ähnlich ersetzt das Telefon mittlerweile andere früher gerne benutzte Hilfsmittel, die Handlungsentscheidungen erleichtern, wie etwa Stadtpläne, Adressbücher oder Archive. Selbst der Bürocomputer hat mittlerweile als Recherchemittel zu Gunsten des Telefons ausgedient, sodass die Suche nach Informationen auch unterwegs erfolgen kann und nicht nur am visuell unattraktiven Ort von Büros.

Eine für die Recherche nach Tätern wichtige Funktion, nämlich die Ortung über das Signal des Telefons, wurde hier sogar verulkt; zu Beginn werden Van der Valk und sein Freund gesucht, der nicht nur Pathologe ist, sondern auch ein Ermittlungstechniker. Dazu wurden beide angerufen; über das Klingeln ihrer Telefone konnte dann herausgefunden werden, wo sie sich an einem unübersichtlichen Ort gerade befanden. Wichtiger sind allerdings die dramaturgischen Funktionen: Mehrfach führte ein Anruf zur Verlangsamung einer Handlung, die zuvor breit angekündigt wurde. Ebenso führten Anrufe zum Gegenteil, also der Beschleunigung der Handlung oder zum Wechsel des Handlungsortes. Noch wichtiger die Synchronisierung zweier Handlungsstränge durch ein Telefonat; dass die Arbeit von Teams oder einzelnen Ermittlern zeitlich parallel verläuft, wird so wie nebenbei angezeigt. Das wurde hier noch dadurch ins Extrem getrieben, dass Van der Valk und seine Vorgesetzte über das Telefon akustische Zeugen des zweiten Mordes werden.


Als Statussymbol nicht mehr aktuell

Der aktuelle Fernsehfilm lenkte die Aufmerksamkeit darauf, dass das Mobiltelefon längst zu einem Allzweckmittel wurde, das Produktionsmittel ebenso einspart wie kompliziertere Handlungskonstruktionen. Bleibt die Frage, ob die Macher solcher Filme auch daran denken, dass das Publikum ebenfalls über Mobiltelefone verfügt, was es mitunter – wenn auch vielleicht nicht alle zweieinhalb Minuten – vom Schauen dieser Filme ablenkt. Es kann einen da schon die Sehnsucht nach einer Zeit überkommen, als „Telefoni Bianchi“ ein Statussymbol waren und vor allem nur selten klingelten.

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