Ulrich Kriest entdeckt in RP Kahls obskurem Wüsten-Road-Movie „A Thought of Ecstasy“ unter der narzisstischen Oberfläche ein höchst reizvolles Werk voller gewagter Referenzen zwischen Filmzitaten, philosophischen Bezügen und prätentiöser Selbstdarstellung.
Kalifornien, August 2019. Es ist so heiß,
dass der Mann im Radio (Buddy Giovinazzo) davor warnt, Zeitungen zu lesen, weil
sich das Papier entzünden könne. In den USA
steht ein Referendum bevor; auf den Straßen gibt es gewalttätige Auseinandersetzungen
und Massenverhaftungen, von denen man hier allerdings nur hört. Der Deutsche Frank
Patrick hat die Gelegenheit einer Geschäftsreise nach Los Angeles
genutzt, um sich in einer privaten Angelegenheit auf eine ausgedehnte Spurensuche
zu begeben. Als „Roadmap“ dient ihm der Bestseller „Desert LA“ von Ross
Sinclair, worin es unter anderem auch um eine schmerzhafte Trennung des
weiblichen Erzähler-Ichs von ihrem Geliebtem geht. Frank ist sich
sicher, dass sich hinter dem Pseudonym Ross Sinclair seine große Liebe Marie Waltz
versteckt, und er liest ihren Roman als einen Aufruf an ihn, sie zu suchen und
zu finden. Vor 20 Jahren haben sich Marie und Frank getrennt; sie ist in
die USA gegangen, offenbar, ohne noch einmal Kontakt zu suchen.
Wenn Frank
jetzt „Desert LA“ liest, ist er nicht nur ein Teil dieser Memoiren, sondern er
muss auch lesen, wie schmerzhaft die Trennung für Marie gewesen ist.
Wie sie ihn buchstäblich aus ihren Gedanken und Erinnerungen exorzierte, als
sie in der Wüste ankam und ein neues Leben in der Sexindustrie begann – und bei
der Arbeit doch immer wieder an ihn, Frank, denken musste oder durfte.
Wenn Frank über seine Situation reflektiert, hören wir ihm beim Selbstgespräch zu. Er sei „ein Fremder in einem fremden Land und ein Fremder in meiner eigenen Geschichte.“
Frank ist durch identifikatorische Lektüre nach Los Angeles gelockt worden. RP Kahl, ein notorischer Außenseiter des deutschen Films und bekannt für ungewöhnliche und immer etwas riskante Stoffe wie „Bedways“, fungiert in „A Thought of Ecstacy“ als Regisseur, Co-Drehbuchautor, Produzent und Hauptdarsteller. Letzteres war vielleicht nicht die beste oder aber eine geniale Idee, denn die Schauspielkunst RP Kahls und sein Englisch sind recht limitiert, was dem Film allerdings recht gut zu Gesicht steht. „A Thought of Ecstacy“ ist ein Road Movie über das allmähliche und durchaus ersehnte Verlorengehen eines lächerlich-hölzernen Mannes, der am Schluss zum Punkt in der Wüste wird. Der Weg dorthin allerdings, ein Slalom von Referenzen und Prätentionen, von Philosophemen, Über-Determinationen und Trash, ist ungemein reizvoll, wenngleich auch unerhört narzisstisch.
Filmische Referenzen von Antonioni bis Wilder
Franks Reise wird von eindrucksvoll fotografierten Bildern (Kamera: Markus Hirner) einer erhabenen, zumeist menschenleeren Natur unterfüttert, die allerdings einen wahren Referenz-Dynamo heißlaufen lässt – von Antonionis „Zabriskie Point“ über Werner Herzogs „Fata Morgana“, Wim Wenders’ „Paris, Texas“ und James Camerons „Terminator 2“ bis zu Bruno Dumonts „Twentynine Palms“. Nicht zu vergessen und gleichsam übergeordnet: Alfred Hitchcocks „Vertigo“ und schließlich – vom Schluss her gedacht – auch noch Billy Wilders „Sunset Boulevard“.
Gleich
zwei Off-Stimmen halten die Bilder am Laufen: da sind die
sehnsüchtigen Reflexionen Franks, aber auch Auszüge aus
„Desert LA“, die zu den Bildern in Beziehung gesetzt werden, was eine Noir-Konstellation
etabliert, denn es gibt wiederholt Situationen, die Frank vermuten
lassen, dass er auf der richtigen Fährte sei. Was er wohl auch ist, nur nicht als Suchender, sondern als
Getriebener in einer Rachegeschichte.
Weil aber Marie ihre „Neugeburt“ in der Sex-Industrie erlebte, wird Frank vom Roman
und von der Inszenierung in einen Bunker gelockt, wo er ausdruckslos staunend
Augenzeuge recht läppischer, aber expliziter S/M-Praktiken wird. Wie bei David Lynch führt eine rot illuminierte Treppe abwärts in diesen Tempel der
Transgression, wo Frank jetzt zum Kameramann von Filmen wird, die zum Schutz
von Kunden wie Sexarbeiterinnen gedreht werden. Hier tragen Sexarbeiterinnen
Namen wie Hope oder Destiny und raunen sich Sätze zu wie: „Ein Kuss ist der
Anfang von Kannibalismus“ oder „Ich wurde ein Filmstar in Filmen, die niemand
sah.“
Der Film spinnt diese Fäden mit ziemlichem Ernst, was in diesem verschwenderischen Referenz-Furor, gepaart mit den Darsteller-Leistungen (auch die einst großartig-mysteriöse Deborah Kara Unger ist hier nur noch ein Schatten ihres Mythos, was sich aber bestens zu Kahls leerem Spiel fügt), durchaus Momente großer Komik produziert.
Zumal nicht als ausgemacht gelten darf, wie verlässlich die Basis des Erzählens eigentlich ist, da es einmal heißt: „Glauben Sie wirklich, dass ‚ihre‘ Marie sie wiedersehen wollte, wenn Sie ‚dieser Frank‘ wären?“ Dazu gesellen sich „traumhafte“ Anschlussfehler oder „unsichere“ Bilder, die das Mysteriöse, die bloßliegenden Leerstellen der Handlung noch unterstreichen. Der S/M-Bunker mit der roten Treppe soll, so wird gesagt, der Rohbau eines vergessenen Kraftwerks sein, sieht aber eher wie ein geschlossenes Highway-Pissoir aus. Und, interessantes Detail, in den S/M-Szenarien, die der Film im Film ausbreitet, gehört ein kleiner US-Flaggen-Wimpel offenbar zu den Utensilien.
„Aber die Verführung ist unvermeidlich.“
Und
wenn sich in die zumeist dissonanten elektronischen Soundscapes von Szary und
Gajek plötzlich ein Volksmusik-Stück aus dem Erzgebirge mischt, dann ist das im
Zusammenhang mit dem Death Valley genauso ein Insider-Joke („blühende
Landschaften“) wie die Radionachricht, im „Precinct 13“ sei es zu gewalttätigen
Protesten gekommen, nachdem sechs Illegale erschossen worden seien.
Der Film huldigt auf mehreren verschränkten Ebenen einer Ästhetik der (Selbst-)Verschwendung – und RP Kahl wäre der Letzte, der sich in Publikumsgesprächen dabei nicht kokett auf den Philosophen Georges Bataille bezöge und seinem Meta-Film auf der Zielgeraden nicht noch ein treffliches Baudrillard-Zitat verpasste: „Aber die Verführung ist unvermeidlich. Keine lebende Person kann ihr entkommen, nicht einmal die Toten.“ Das ist keine Überraschung, wenn man weiß, dass der Ausgangspunkt von „A Thought of Ecstacy“ die Idee zu einem Film-Essay über Baudrillards „Amerika“ war. Bis sich die Fiktion einmischte.
Wer mehr wissen will, sei auf das Gespräch zwischen RP Kahl und Marcus Stiglegger im Bonus-Material der im August erschienenen DVD/Blu-ray-Edition (Koch Media) oder auf ein auf YouTube verfügbares Gespräch im Filmmuseum Frankfurt (Link) verwiesen, auch wenn darin vielleicht nicht immer ganz klar wird, ob RP Kahl wirklich weiß, was er treibt. Vielleicht häuft er ja einfach so viel Material an, bis für jeden Zuschauer ein ganz eigener Film entsteht, der auch eine wiederholte Lektüre lohnt: „I’m fixing a hole where the rain gets in / And stops my mind from wandering / Where it will go.“ Ziemlich spannend!
Anbieter/Fotos: ©Koch Media
Das könnte Sie auch interessieren: