Diese Augen! Für einen Mann aus Indien ungewohnt hell und klar, um die Pupillen schimmernd mokkabraun, nach außen hin ins Grau-Grün-Blaue verlaufend. Je nach Lichteinfall in der Couleur changierend, der Rand der Iris einen Hauch dunkler. Immer wieder neu faszinierend. Dazu diese Blicke! Intensiv, selbst im Träumerischen. Eiskalt, wenn es darum geht, Gegner zu taxieren. Katzenhaft bisweilen. Und sich in minutenlangen Takes mit solcher Leichtigkeit durch die Gefühlsskala des Verführens spielend, dass in all den Filmen mit Hrithik Roshan die Frauen ihm verfallen. Man kann es verstehen. Weil man diesen Augen selbst im Kino immer wieder verfällt, so wie wohl der große Teil seiner (weiblichen) Zuschauer: Ob er am Valentinstag im Jahr 2000, noch bevor er seine Jugendfreundin heiratete, nun 3000 oder, wie andere Fan-Sites behaupten, ganze 30 000 Heiratsanträge erhalten hat, macht keinen Unterschied. Hrithik Roshan, am 10. Januar 1974 in Mumbai geboren, ist ein Superstar, um den ein solcher Fan-Hype tobt, dass westliche Stars wie Johnny Depp oder Brad Pitt vor Neid erblassen könnten. Pirscht man im World Wide Web, stößt man auf Unmengen an Fan- oder Paparazzi-Filmchen, die nebenbei ungewollt erzählen, was für ein Albtraum es trotz Bodyguards sein muss, wenn man als Hrithik Roshan samt Familie in eine Traube von VerehrerInnen gerät. Roshan reagiert, obwohl sichtlich gestresst, auch darin souverän – und hat mich dabei schon wieder beim Wickel.
Auf Hrithik Roshan aufmerksam geworden bin ich, als Zürichs Museum für Gestaltung 2002 eine Bollywood-Ausstellung organisierte und ich für die Bibliothek, in der ich arbeite, stapelweise Bollywood-DVDs einkaufte, weil in den westlichen Filmwissenschaften ein regelrechter Bollywood-Hype ausbrach. Nebst den Augen zogen mich seine tänzerischen Skills sofort in Bann: Roshan tanzt ungemein präzise und mit starker Ausdruckskraft. Und absolviert auch Action-Routinen mit stupender Körperbeherrschung: Es ist der Hammer! Ich kann nicht anders als ihn bewundern, obwohl Bollywood eigentlich nicht mein Tanzstil ist und ich längst nicht mit allen Bollywood-Filmen warm werde: für mein Empfinden ist da oft zu viel Overacting dabei, und es gibt frühe Filme mit Hrithik Roshan, in denen ich ihn furchtbar bubihaft finde. Doch seine Karriere ist ein bisschen wie die Geschichte vom „hässlichen“ Entlein. Obwohl Hrithik Roshan als Sohn des Regisseurs Rakesh Roshan bereits als Kind vor der Kamera stand, gelang ihm sein Durchbruch als Schauspieler erst im Alter von 26 Jahren mit „Kaho Naa… Pyaar Hai“ (2000), ein Jahr später spielt er in „Kabhi Khushi Kabhie Gham“ („In guten wie in schweren Tagen“) zum ersten Mal an der Seite von Indiens anderem Superstar, Shah Rukh Khan, als dessen Nachfolger man ihn heute wohl bezeichnen kann.
Irgendwann – ich habe Hrithik Roshans Laufbahn leider nicht kontinuierlich verfolgt – ist mir aufgefallen, dass der Mann, der aus der Ferne beobachtet ein Rechtshänder ist, in näheren Einstellungen oft als Linkshänder inszeniert wird. Und dann kam das Jahr 2008 mit „Jodhaa Akbar“, in dem Roshan einen muslimischen Großmogul spielt, der sich zärtlich einer hinduistischen Prinzessin (Aishwarya Rai Bachchan) annähert. Ashutosh Gowariker inszenierte Roshan – wie übrigens acht Jahre später in „Mohenjo Daro“ – ohne in näheren Einstellungen seine rechte Hand schamhaft zu vertuschen, und da sprang mir sein doppelter rechter Daumen – den ich natürlich schon in „Kaho Naa… Pyaar Hai“ hätte entdecken müssen – direkt ins Auge: Der Superstar hat das, was man als „radiale Polydaktylie“ bezeichnet, eine Hand-Fehlbildung.
Seit damals bin ich darauf fixiert und lese alles, was ich darüber finden kann. 2014, als Roshan zum x-ten Mal zum „sexiest man alive“ gekürt wurde, soll er auf Facebook gepostet haben soll: „I am lucky.Not cause I got voted sexiest. Cause I just noticed God gave me a piece of ugly to carry with me to remind myself and others of how beautiful imperfections make us.“Kann sein, dass Hrithik Roshans rechter Daumen sein „lucky charm“ ist und sein mit dem Alter selbstverständlicherer Umgang damit das Geheimnis seines Erfolgs. In meinen Augen ist er – obwohl mir sein Waschbrettbauch in „Bang Bang“ (2014) dann doch etwas übertrieben erscheint – mit seinen 44 Jahren attraktiver denn je und dank seines Engagements in diversen Wohltätigkeitsprojekten überaus sympathisch. Ich werde seinen rechten Daumen im Blick behalten. Und hoffe, dass – wie immer die Menschheit sich künftig fortpflanzt – Hrithik Roshan hier ein Vorbild sein kann. Weil die künftige Menschheit vom grassierenden Selbstoptimierungswahn nicht um die Schönheit des Unperfekten betrogen werden soll.
Fotos: Startseite/oben: "Mohenjo Daro"; unten: "Jodhaa-Akbar", beides ©Rapid Eye Movies
Hinweis:
Der Bollywood-Erfolgsfilm "In guten wie in schweren Tagen", in dem Hrithik Roshan an der Seite von Shah Rukh Khan zu sehen war, erlebte 2003 seine deutsche Kinopremiere. Der Film trug nicht nur dazu bei, hierzulande die Liebe fürs indische Kino zu befeuern, sondern machte auch Hrithik Roshan beim deutschen Publikum bekannt. Der Verleih Rapid Eye Movies bescherte ihm zum 15jährigen deutschen Leinwandjubiläum kürzlich ein Comeback bei einer Kinotour. Der nächste Termin, an dem er zu sehen ist, ist am 22.6. im Mannheimer Cinema Quadrat.