Anfang der 1990er-Jahre gründet ein idealistischer Türke in Kasachstan eine Schule. Seine Ehefrau fühlt sich in dem fremden Umfeld nicht wohl. Eine Nachbarin versucht, sie in ihrer Treue und im Aushalten der Situation zu bestärken, in dem sie ihr ihre eigene Lebensgeschichte schildert, die weit in die Tragödien des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Historiendrama, das die Ideale der „Hizmet“-Bewegung, die sich um Toleranz, Bildung und die Zusammenführung von traditionellem Islam und moderner Zivilgesellschaft bemüht, in eine dramatische Geschichte à la Hollywood packt. Diese ist zwar mitunter etwas pathetisch, wahrt aber Spannung und innere Glaubwürdigkeit.
- Ab 16.
Birlesen Gönüller
Historienfilm | Türkei 2014 | 131 Minuten
Regie: Hasan Kıraç
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Filmdaten
- Originaltitel
- BIRLEŞEN GÖNÜLLER
- Produktionsland
- Türkei
- Produktionsjahr
- 2014
- Produktionsfirma
- Ser Film
- Regie
- Hasan Kıraç
- Buch
- Serkan Birlik
- Kamera
- İlyas Yavuz · Olcay Oğuz
- Musik
- Evanthia Reboutsika
- Schnitt
- Müsenna Kiziltepe
- Darsteller
- Hande Soral (junge Cennet) · Serkan Şenalp (junge Niyaz) · Sema Çeyrekbaşı (Cennet) · Atılgan Gümüş (Yunus Öğretmen) · Fikret Hakan (Niyaz)
- Länge
- 131 Minuten
- Kinostart
- 13.11.2014
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Historienfilm | Melodram
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Treue, Toleranz und Opferbereitschaft sind die Stichworte, mit denen man die Botschaften von Hasan Kiraҫs erstem Spielfilm zusammenfassen kann. Das bildmächtige Geschichtsepos kommt mit großem Aufwand und schicksalhaftem Plot daher, um die Werte der „Hizmet“-Bewegung zu verkünden, die sich der Zusammenführung von traditionellem Islam und moderner Zivilgesellschaft verschrieben hat.
Diskussion
Treue, Toleranz und Opferbereitschaft sind die Stichworte, mit denen man die Botschaften von Hasan Kiraҫs erstem Spielfilm zusammenfassen kann. Das bildmächtige Geschichtsepos kommt mit großem Aufwand und schicksalhaftem Plot daher, um die Werte der „Hizmet“-Bewegung zu verkünden, die sich der Zusammenführung von traditionellem Islam und moderner Zivilgesellschaft verschrieben hat.
Anfang der 1990er-Jahre geht der Idealist Yunus Irfan – die Vornamensgleichheit mit dem türkischen Asketen und Volksdichter Yunus Emre dürfte nicht von ungefähr kommen – mit seiner Familie nach Kasachstan, um dort eine türkische Schule aufzubauen. Seine Ehefrau Dilek, die weder mit der fremden Sprache noch mit dem Dasein in einem heruntergekommenen Wohnblock aus Sowjet-Zeiten zurechtkommt, klagt darüber, dass sich Yunus mehr seinen beruflichen Pflichten widmet als der Familie.
Worauf Tante Cennet, eine Verwandte in der neuen Heimat, ihr die Geduld als Ehepflicht auferlegt: „Wenn du liebst, dann wartest du, unerschrocken, erbarmungslos.“ Und erzählt ihre Lebensgeschichte, die mit der Heirat des türkischstämmigen Niyaz im Nordkaukasus im Jahre 1941 beginnt, der kurz darauf von der Roten Armee eingezogen wird. Während Niyaz in Stalingrad gegen Hitlers Wehrmacht kämpft, wird Cennets Dorf besetzt und die Bewohner ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert, weil sie ein russisches Mädchen versteckt haben. Cennet gelingt die Flucht aus dem KZ, Niyaz desertiert aus der Sowjet-Armee. Zu dem ersehnten Wiedersehen kommt es jedoch nicht: Cennet überlebt auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs, Niyaz in der Türkei. Erst die Macht des Schicksals, oder je nach Lesart Gottes Wille, bringt das lang getrennte Paar nach über fünfzig Jahren, kurz nach dem Mauerfall, wieder zusammen – die Treue, das Warten haben sich gelohnt.
Ein Stoff, den Kiraҫ mit einer Mischung aus orientalischem Märchen, Kriegsaction und Melodram erzählt, mal aufwändig inszeniertes Kostümdrama, mal heldischer Abenteuerfilm mit temporeichen Verfolgungsjagden, mal romantisches Gefühlskino mit schwülstiger Hintergrundmusik. Ein kolportagehafter Ritt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, der Besetzung, Vertreibung, Totalitarismus, Willkürakte und KZ als Hintergrund einer persönlichen Lebensgeschichte erzählt. Hollywood made in der Türkei: auch wenn so manche historische Details verbogen werden, hält der Plot stets die Spannung, geht die mit grenzwertig überhöhtem Pathos erzählte Geschichte auf.
So gelingt es „Birleşen Gönüller“, eine gewisse innere Glaubwürdigkeit zu transportieren. „Wenn es in eurem Dorf heißt, dass, wenn ein Mensch getötet wird, die ganze Menschheit getötet wird, so heißt es umgekehrt, dass, wenn ein Mensch gerettet wird, die ganze Menschheit gerettet wird“, erklärt ein vom Krieg offenbar desillusionierter SS-Mann, warum er Cennet bei ihrer Flucht aus dem KZ hilft. Hinter Sätzen wie diesem stehen zentrale Botschaften der „Hizmet“ (zu Deutsch: Dienst)-Bewegung, deren Urheber, der Islam-Prediger Fetullah Gülen, sich für die Öffnung des traditionellen Islam gegenüber den Wissenschaften und der Zivilgesellschaft einsetzt. „Baut keine Moscheen, sondern Schulen“ ist ein zentrales Credo der Fetullahcis, die inzwischen Schulen in über 140 Ländern eröffnet haben und deren geschätzte zehn Millionen Anhänger ihre Motivation mal als Dienst an Gott, öfters jedoch als bürgerschaftliches Engagement begreifen. Damit bietet Gülen einen bildungsnahen Mittelweg an, der in der zwischen staatsfeindlichem Islamismus und religionskritischem Kemalismus gespaltenen Türkei genauso gut ankommt wie in der türkischstämmigen Diaspora in Westeuropa, die nach einem neuen Verhältnis zwischen Integrationsdruck und ethnophob motivierter Exklusion auf der einen und dem Wunsch nach kultureller Repräsentation und gesellschaftlicher Partizipation auf der anderen Seite sucht.
Mit „Hür Adam“ (fd 40 296), „Gottes treuer Diener“ (fd 40 845) und „Yunus Emre“ (fd 42 193) erschienen in den letzten drei Jahren bereits einige Filme, deren zentrale Botschaften dem Wertehorizont der „Hizmet“-Bewegung nahe standen und die Diskussionen befeuerten, ob es Gülen um eine Modernisierung des Islam oder um eine Islamisierung der Moderne gehe. „Birleşen Gönüller“ erzählt nun eine weltliche Geschichte auf Grundlage von Gülens Ideen. Dessen Bildsprache – Cennet gebiert ihren Sohn in einem mit Stroh ausgelegten Güterwagen eines Deportationszuges; eine Szenerie, deren ikonografische Inszenierung Assoziationen zum Stall von Bethlehem auslöst – rekurriert genauso wie die zentrale humanistische Botschaft auf das Toleranzgebot der Weltreligionen. Wie es scheint, wird das türkische Kino gerade um ein neues Paradigma, die Welt zu interpretieren, bereichert.
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