Wie Millionen andere Kinder liebten auch Walt Disneys Töchter die Geschichten von „Pu der Bär“, die der britische Schriftsteller Alan Alexander Milne in den 1920er-Jahren für seinen Sohn Christopher Robin erfand. Disney kaufte kurzerhand die Rechte und begann 1966 mit der Verfilmung des Kinderbuchklassikers, zunächst in 25-minütigen Trickfilmen. Aber Pus wachsende Bekanntheit veranlasste ihn dazu, die Kurzfilme rund zehn Jahre später zu einem Spielfilm zusammenzufassen. Vor fast 35 Jahren entstand „Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh“
(fd 33 620), und bis heute tummelt sich der gelbe Bär in unzähligen Kinderzimmern – dank der nach wie vor populären Bücher, einiger Fernsehserien, Kinofilme mit Winnie-Puuh-Sidekicks in den Hauptrollen und dem Disney-Merchandising vom T-Shirt bis zur Zahnbürste. Für die Walt Disney Company ist es also ohne Frage schlau, an der Erfolgsmarke „Winnie Puuh“ festzuhalten und die Produktpalette um den nächsten Kinofilm zu ergänzen. Herausgekommen ist dabei mehr als ein weiteres Konsumgut, vielmehr ein gewitzter, visuell charmanter Zeichentrickfilm, der mit Handzeichnungen und Aquarellen angenehm „Old School“ aussieht – fast ein bisschen wie Ernest H. Shepards Illustrationen von Milnes Originalgeschichten. Abgerundet wird der Film mit Disney-typischen schmissigen Song-Einlagen.
In den von digitalen Effekten entschlackten Bildern, die dem ersten Winnie-Puuh-Kinofilm aus dem Jahr 1977 zum Verwechseln ähnlich sehen, gerät die Honigsuche des nimmersatten Bären, basierend auf drei Geschichten aus den „Pu“-Büchern, einmal mehr zum Abenteuer. Anfangs ist nur der Schwanz des trübsinnigen Esels I-Aah verschwunden, wenig später fehlt vom Jungen Christopher Robin jede Spur. Eine rätselhafte Nachricht legt eine Entführung durch das Monster Balzrück nahe. Winnie Puuh und die anderen Bewohner des Hundertmorgenwaldes – Ferkel, Tigger, Eule, Rabbit, Kanga und ihr Junges Klein-Ruh – nehmen all ihren Mut zusammen und bauen eine große Falle. Wenn die eigenen Macken bloß nicht im Weg stünden! Denn mindestens eine hat jeder im Hundertmorgenwald – das ist in Milnes Büchern Programm und auch im Film ausschlaggebend für den Zauber der Figuren. Während Winnie Puuh, der „Bär von sehr geringem Verstand“, die Welt durch Honiggier ins Chaos stürzt, macht seine Gutmütigkeit vieles wieder wett. Entsprechend verhält es sich mit Ferkels Ängstlichkeit, Eules Besserwissertum oder I-Ahs schlechter Laune. Obwohl die Figuren extrem typisiert und nicht gerade komplex sind, wirken sie auf jüngste wie auf erwachsene Kinogänger liebenswürdig und komisch. Das ist vor allem dem Witz geschuldet, der aus der Interaktion von Erzählerstimme, Text und den tapsigen Protagonisten entsteht. Humorvolle Kommentare aus dem Off, Gespräche zwischen unsichtbarem Erzähler und Zeichentrickfiguren, Verweise auf die Buchvorlage durch das Einbeziehen von Buchstaben, Paragraphen und Kapitelstruktur – und nicht zuletzt pfiffige Wortspiele – geben der Handlung eine anarchische Ebene. Ereignisse und charakterliche Schwächen werden reflektiert, nebenher wird ein klassisches Verständnis von Bildung unterlaufen, etwa durch humor- und handlungstreibende Lese- und Rechtschreibdefizite. Natürlich wartet „Winnie Puuh“ am Schluss trotzdem mit einer konventionellen moralischen Botschaft auf. Der Weg dorthin führt aber über die Art von leichter Unterhaltung, die es geschafft hat, zugleich intelligent zu sein.