Jakob, ein etwa dreißigjähriger Müßiggänger, gerät durch Zufall auf das verfallene Gehöft seines verstorbenen Großvaters. Als er dessen Aufzeichnungen entdeckt, erschließt sich ihm ein geheimnisvoller Mikrokosmos. Merkwürdige Ereignisse und Begegnungen vermitteln ihm eine völlig neue Weltsicht. Dritter Spielfilm des begabten slowakischen Regisseurs Martin Sulik. Mit sicherer Hand verbindet er die besten Traditionen seines Sprachraums (z.B. die Prosa Bohoumil Hrabals) mit der eigenen Handschrift.
Der Garten
- | Slowakei/Frankreich 1995 | 100 Minuten
Regie: Martin Sulík
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Filmdaten
- Originaltitel
- ZAHRADA | LE JARDIN
- Produktionsland
- Slowakei/Frankreich
- Produktionsjahr
- 1995
- Produktionsfirma
- Charlie's/Artcam Int./STV/SFT
- Regie
- Martin Sulík
- Buch
- Martin Sulík · Martin Lescák · Ondrej Sulaj
- Kamera
- Martin Strba
- Schnitt
- Dusan Milko
- Darsteller
- Roman Luknár (Jakob) · Marián Labuda (Otec) · Zuzana Sulajová (Helena) · Katarína Vrzalová (Helenas Mutter) · Dusan Trancík
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
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- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Regionen, die cineastisch trockengelegt zu sein schienen, treten plötzlich mit unbekannten Autoren auf den Plan, deren Arbeiten ganz selbstverständlich einer vergessen geglaubten filmischen Direktheit und Magie huldigen. Präsenz ergibt sich nicht aus Effekten oder Stars, sondern einzig und allein aus formalem und erzählerischem Talent. So geschehen mit "Der Garten" von Martin Sulik.Jakob ist Mitte Dreißig und verlebt müßiggängerische Tage auf Kosten seines Vaters. Bis dieser seinen Sohn des Hauses verweist. Mehr aus Ratlosigkeit und Zufall verschlägt es Jakob auf das leerstehende Grundstück seines verstorbenen Großvaters irgendwo auf dem Lande. Der verwilderte Garten und das baufällige Haus nehmen den Schwerenöter scheinbar nur widerwillig auf: das Tor will sich nicht öffnen lassen, ein Gewächshaus bricht unter seinen Händen weg, Jakob selbst landet schließlich in der Jauchegrube. Sobald es ihm jedoch gelingt, ins Haus zu gelangen, verändern sich die Vorzeichen. Im Bett nisten Vögel, es regnet durchs Dach. Doch sehr schnell wird er zum Bestandteil eines Geheimnisses, das nur geschlummert hat. Spätestens als er unterm Kopfkissen die in Spiegelschrift verfaßten Aufzeichnungen seines Großvaters findet, hört er auf, ein Fremdkörper zu sein. Haus und Grundstück werden für Jakob zum Bannkreis eines ganz neu apostrophierten Erlebens. Geschehnisse, die ihm allein widerfahren, oder Begegnungen mit merkwürdigen Zeitgenossen verdichten sich zu einem Geflecht einer unaufdringlichen Initation. Neben mythischen Figuren wie dem Schäfer Benedikt und zwei Herren namens Wittgenstein und Rousseau, ist vor allem Helena von Belang - ein als geisteskrank abgestempeltes Mädchen aus der Nachbarschaft. Mit ihrer Hilfe gelingt es Jakob, die Einbrüche aus der eigenen Vergangenheit abzuwehren bzw. sich erstmals ernsthaft mit ihnen auseinanderzusetzen. Sogar die Versöhnung mit dem Vater gelingt mittels Helena - fungiert sie doch auch als neutrales Bindeglied zwischen den untereinander verständnislosen Generationen von Großvater, Vater und Sohn. Wohlig gibt man sich schließlich einem wiederum magisch gebrochenen Happy End hin: Helena legt sich unter den Augen von Vater und Sohn auf einen Gartentisch, erhebt sich plötzlich in die Luft.Obwohl "Der Garten" am Ende mit einem Tarkowskij-Zitat spielt, hat Martin Suliks Filmsprache sonst wenig gemein mit der Transzendenz des großen russischen Leinwand-Magiers. Auch Verweise auf Ingmar Bergmans frühe Mysterienspiele lassen sich ausmachen. Sulik kennt und flankiert diese Größen, wirft sich aber nicht auf zum selbsternannten Statthalter. Seine Wurzeln liegen im eigenen Sprachraum. Filmisch wäre Vera Chytilová (z. B. "Spiel um den Apfel" 1976) zu nennen, vor allem aber der Slowake Dusan Hanak, dessen einzigartiger Film "Bilder einer alten Welt" wie eine dokumentarische Studie für "Der Garten" wirkt. In literarischer Hinsicht spielt die Prosa Bohoumil Hrabals eine maßgebliche Rolle. Nicht umsonst haben sich Exponenten der "Neuen Welle" wie Milos Forman oder Jiri Menzel ab Mittte der 60er immer wieder auf Hrabal bezogen. Nicht umsonst hat Menzel selbst eine Nebenrolle in Martin Suliks Spielfilm "Alles, was ich mag" (1992) übernommen. Die schwer zu beschreibende Mischung aus Gedankenschwere, die nie polemisch wird, Tradition, die nie volkstümelt und Magie, die nie zur modischen Esoterik abdriftet, hat ihren ganz eigenen Reiz. Nicht zu vergessen: ein Humor, dessen Hinterhältigkeit irgendwie im Tschechisch-Slowakischen begründet zu liegen scheint. Ganz klar - ein Filmemacher wie Martin Sulik speist von tieferen Quellen, als denen, die von den Kulturbürokraten im Herbst 1968 an der Oberfläche zeitweilig zugeschüttet worden sind. "Der Garten" vermittelt deshalb gleich auf zwei Ebenen seine Botschaft. Vom Plot her und durch die deutlichen Traditionsbezüge verweist er (erfolgreich) auf die Möglichkeit der Besinnung auf fast vergessene Wurzeln. Daß diese filmische Überraschung in die deutschen Kinos gelangt, ist dem Arsenal-Filmverleih zu danken; auch hier: Besinnung auf Wurzeln.
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