Dies ist einer jener Filme, die es im Kino schwer haben, weil sie das Publikum zu sehr an die Thematik Dutzender TV-Movies erinnern. Doch es ist nicht nur die hochrangige Besetzung, die Barbet Schroeders Film von der Fernsehware unterscheidet, sondern auch die geringe Konzessionsbereitschaft an einen Massengeschmack, der bei solchen Stoffen gern Sentimentalität mit Detektiv- und Justizarbeit verbunden sieht. "Davor und danach" bedient derartige Erwartungen nur kurz und pauschal am Rande, dadurch all jene dramatischen Höhepunkte beiseite lassend, die normalerweise die Geschichte eines des Mordes angeklagten Halbwüchsigen kennzeichnen würden.Ben und Carolyn Ryan leben mit ihren beiden Kindern ein allem Anschein nach ziemlich sorgenfreies Leben in einer neuenglischen Kleinstadt. Sie ist Kinderärztin, er ein Bildhauer, der mit Erfolg Riesenplastiken aus Holz, Stahl und Eisen fertigt. Ihr geruhsames Leben wendet sich ins Dramatische, als eines Tages der Ortpolizist vor ihrer Tür steht und Fragen nach dem tags zuvor verschwundenen 10jährigen Sohn der Ryans stellt. Die Leiche eines Mädchens ist außerhalb des Ortes im Schnee gefunden worden, und Zeugen haben den Jungen mit dem Opfer im Auto gesehen.Die Story, die sich aus dieser Prämisse entwickelt, vermeidet alles, was gewöhnliche Kinoweisheit aus ihr gemacht hätte. Es ist ziemlich gleichgültig, ob der Junge am Tod des Mädchens schuld ist; es spielt keine Rolle, was er und die Eltern schließlich vor Gericht aussagen; es ist nicht einmal von Belang, welche Strategie der gewiefte Verteidiger ins Feld führt und wie am Ende das Urteil lautet. Was dem Film wichtig ist und worauf er sich deshalb auch ganz konzentriert, sind die Reaktionen innerhalb der Familie. Ben ist ein bulliger Panzer von einem Mann, der nicht nur kanonenähnliche Großobjekte konstruiert, sondern der auch gewohnt ist, entsprechend robust die Geschicke seiner Familie zu regeln. Er ist nicht unsensibel, aber er ist unfähig, den Kindern seine Gefühle zu zeigen. Seine letzte Begegnung mit dem Sohn war beherrscht von einer heftigen Auseinandersetzung. Ben glaubt es sich schuldig zu sein, in jeder Situation die Oberhand zu behalten, und so verhält er sich auch, als der Junge wieder auftaucht. Carolyn hat sich in langen Ehejahren in die Rolle der Vermittlerin eingeübt. Ihr Widerspruchsgeist (falls er je vorhanden war) ist erlahmt, und sie versucht, durch mütterliche Sorge zu kompensieren, was ihr an Selbständigkeit und Eigeninitiative in der Familie fehlt. Vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse nimmt auch das Leben der Kinder eine Wendung. Der sonst dem Vater offenbar stets Widerstand entgegensetzende Junge verstummt unter der Last des Geschehens, und die kleine Schwester wirft alle Kindlichkeit ab und bemüht sich, eine Position zwischen den entstehenden Fronten zu finden. Was von außen gesehen eine "normale", sorglose Familie zu sein schien, muß sich in der Krisensituation erst neu definieren. Es ist die zögerliche Mutter, die schließlich den entscheidenden Schritt tut. Das Leben geht weiter, aber nichts wird mehr so sein wie vorher.Gewiß, das ist keine umwerfend originelle Story, aber in ihrer ausschließlichen Orientierung auf die Reaktionen in der Familie macht sie nachdenklicher als ähnliche, zumeist mehr am kriminalistischen Effekt interessierte Filme. Barbet Schroeder verzichtet in der Inszenierung auf alle Extravaganzen. Er läßt die Handlung ohne ablenkendes Beiwerk ziemlich schnörkellos geradeaus laufen. Leider hat er sich nicht besonders angestrengt, ein paar gravierende Schwächen auszubügeln, zu denen vor allem die rahmengebende Erzählung aus der Perspektive des kleinen Mädchens gehört, die weder konsequent durchgehalten wird noch in Einklang mit dem Handlungsablauf steht. Bedauerlicherweise sind auch die sonst so erstklassigen Darsteller nicht immer auf der Höhe ihres Könnens, worunter der Anfang des Films besonders leidet. Apropos, "Davor und Danach" ist kaum ein angemessener Titel, weil das "Vorher" eigentlich nur indirekt erfahrbar wird. Manche Motivation, manche psychologische Entwicklung hätte überzeugender ausfallen können, wenn man dem Alltag der Familie Ryan auch vor dem alles aus der Bahn werfenden Ereignis wenigstens ein paar Minuten lang hätte zusehen dürfen.