Der Vater ist verschwunden. Kaylee und Kevin wachen allein in ihrem Elternhaus auf. Im Schein von Taschenlampe, Fernseher und Nachtlicht, die das Haus nur langsam aus dem Schlaf holen, suchen die jungen Geschwister den Vater und später, als dieser nicht auffindbar ist, einen Weg hinaus. Der Logik eines Albtraums folgend, ist der Weg ins Freie nicht versperrt, sondern schlichtweg nicht mehr existent. Die Türen verschwinden vor den Augen der Kinder. Die Geschwister versuchen im unteren Stockwerk, vor dem Fernseher zu schlafen. Auf Bodenhöhe begleitet die Kamera sie, während der Krawall aus den 1930er-Cartoon-Klassikern im Hintergrund wütet. Nichts im Haus, weder Raum noch Zeit wollen sich zuordnen lassen. Stühle kleben an der Decke, die Eltern sitzen plötzlich regungslos im Schlafzimmer, eine Barbie-Puppe hängt an der Wand, und in der Dunkelheit, besonders der unter dem Bett, lauert etwas.
Mit Furcht aufgeladen
Wie so oft, wenn Kinder die Perspektive bestimmen, kommt einem hier, im schummrigen Elternhaus, alles etwas größer, seltsamer und unheimlicher vor. Tatsächlich ist „allein im dunklen Haus“ nicht nur eine präzise Beschreibung eines Kindheitsalbtraums, sondern auch eine ziemlich genaue Beschreibung des Plots und des Films selbst. Denn viel mehr kann und will der Filmemacher Kyle Edward Ball nicht bieten. „Skinamarink“ ist sein erster Langfilm, der jedoch auf einem Konzept basiert, das Ball bereits in einer populären Kurzfilme-Reihe („Bitesized Nightmares“) erprobt hat. Wie schon die Kurzfilme avancierte auch „Skinamarink“, der vor seiner Premiere im Internet geleakt wurde, zum viralen Hit.
Der Weg vom „bitesized“ zum Spielfilmformat bringt einige Längen, aber eben auch den ausführlich erprobten und entsprechend prächtigen formalen Minimalismus mit sich. „Skinamarink“ ist ein Film, der die Szenen so lange dauern lässt, bis sie sich selbst mit Furcht aufladen. Ein Film, der den Horror in die vertrautesten Ecken des Elternhauses hineinzustarren vermag. Es ist Balls eigenes Elternhaus, in dem er die kindlichen Albträume in die Zimmerecken pinselt. Einen wirklichen Drang, den Grusel oder das unter allen Szenen liegende Grundrauschen anzuziehen und in eine narrativere Richtung zu drücken oder über die „dunkles Kinderzimmer“-Ästhetik hinauszutragen, empfindet der Film nicht.
„Skinamarink“ ist gedehntes, audiovisuelles Experimentieren mit der Angst. Taschenlampen kriechen über Tapeten, Nachtlichter schalten sich ein und aus, lassen Licht über den Boden fließen und fangen es wieder ein. Wo es nicht flimmert, pulsiert und tastet, gibt sich das Licht der Dunkelheit geschlagen, die unter dem Bett alles in sich aufzusaugen und auf die Kinder zu lauern scheint. Der Ton ist, ebenso wie Licht und Schatten, künstlerischer Experimentierraum. Nicht jedes sichtbare Geräusch ist zu hören, nicht jeder sichtbare Vorgang hat auch ein dazugehöriges Geräusch. Manchmal ergänzen Untertitel das Gesagte, manchmal schweigen sie, oft unterstreichen sie bestimmte Aussagen. Das mag mitunter furchterregend sein, doch spannend ist es nicht.
Gefangen im Dunklen
„Skinamarink“ ist kein Erzählkino, eher Experimental- denn Horrorfilm, näher an dem Avantgarde-Klassiker „Wavelength“ von Michael Snow, der Zeit und Raum so einzigartig wie frustrierend miteinander verschränkt, denn an „Poltergeist“ oder „Black Christmas“, die Regisseur Kyle Edward Ball ebenfalls als Einflüsse zitiert. Anders als Snows Meilenstein des Avantgarde-Films erlaubt „Skinamarink“ dem Verstand dort, wo die Bilder verweilen, das Wandern nicht; er hält ihn, ohne die Schrauben je anzuziehen, in den digital rauschenden Schattenspielen gefangen und damit im wohl einfachsten wie schwierigsten Topos des Horrorfilms: dem dunklen Haus. Ein faszinierendes Gefängnis, aber eben auch eine Zumutung.