Tatort - Erbarmen. Zu spät.

Krimi | Deutschland 2023 | 92 Minuten

Regie: Bastian Günther

In einer düsteren Nacht suchen Polizisten und Kriminalbeamte in der Wetterau nördlich von Hanau nach einem vermissten Kollegen, dessen Tod ein dubioser Zeuge beobachtet haben will. Nach und nach deuten sich die Konturen einer rechtsextremen Verschwörung an, die auch vor der Polizei nicht Halt macht. Der meisterlich fotografierte Thriller legt den Fokus ganz auf das ambivalente Innenleben der Protagonisten und beschwört während der nicht endenden Nacht eine diffuse Gefahr. Ein unbehagliches, bedrückendes Drama über eine schleichende Bedrohung. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
U5 Filmprod.
Regie
Bastian Günther
Buch
Bastian Günther
Kamera
Michael Kotschi
Musik
Dallas Acid
Schnitt
Stefan Blau
Darsteller
Wolfram Koch (Paul Brix) · Margarita Broich (Anna Janneke) · Godehard Giese (Radomski) · Karsten Antonio Mielke (Glasner) · Uwe Rohde (Franz Decker)
Länge
92 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Krimi

Düsterer Tatort-Krimi um die Frankfurter Ermittler Brix und Janneke, in dem ein dubioser Zeuge den Mord an einem Polizisten meldet.

Diskussion

Der Blick schweift in der Dunkelheit über eine Waldstraße. Ein junger Polizist (Sebastian Klein) sitzt allein in einem Polizeiwagen und misst die Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos. Seinem gelangweilten Gesicht ist die Unterforderung anzusehen. Da keiner der wenigen Fahrer zu schnell unterwegs ist, sucht er eine Tankstelle auf, um etwas zum Essen einzukaufen. Danach telefoniert er noch kurz mit seiner schwangeren Frau und spricht mit einer Gruppe Jugendlicher, die unter Drogeneinfluss zurück nach Hause fahren. Er empfiehlt ihnen lakonisch ein Taxi. Ob sie seinen Rat befolgen, interessiert ihn nicht weiter. Auf seiner Heimfahrt trifft er noch zwei Bekannte. Diese sind nicht begeistert davon, dass er sie nicht mehr sehen möchte, weil er demnächst Vater werde.

An der Grenze der Geduld

Eine Szene später suchen seine Kollegen nach seiner Leiche, darunter auch die Frankfurter Ermittler Paul Brix (Wolfram Koch) und Anna Janneke (Margarita Broich). Brix hat gerade seinen Führerschein verloren und muss sich von anderen fahren lassen. Wolfram Koch spielt den Ermittler mit großer Ruhe und Zurückgenommenheit, was nicht heißt, dass seine Figur nicht auch mal harte Töne anschlagen kann. Der Neonazi (Niels Bormann), der behauptet, bei dem Mord an dem Polizisten dabei gewesen zu sein, bringt Brix an die Grenze seiner Geduld.

Jedes Mal, wenn die Polizeikolonne an einem weiteren Rübenacker vorbeifährt, ist der angebliche Zeuge sich zunächst sicher, dass die Leiche in dem Wald dahinter vergraben sei, nur um plötzlich wieder seine Meinung zu ändern, weil es doch so dunkel war und er immer noch alkoholisiert sei. Als er scheinbar aus heiterem Himmel eine Panikattacke vortäuscht, platzt dem übermüdeten Brix der Kragen; seine Kollegen müssen ihn hindern, handgreiflich zu werden.

Anna Janneke nutzt zwischenzeitlich den Tumult, um sich mit dem unentschiedenen Zeugen zu unterhalten. Margarita Broich nähert sich ihm mit einer eigenwilligen Penetranz; ihre Körpersprache schwankt zwischen Ekel und professioneller Neugier. Als sie ihm das Foto einer Geburtstagsparty zeigt, das sie von der Frau des ermordeten Polizisten erhalten hat, und er auf einen der darauf abgebildeten mitfeiernden Polizisten heftig reagiert, besteht für sie kein Zweifel, dass sie nach einem „Verräter“ in den eigenen Reihen suchen müssen. Dieser Verdacht erhärtet sich, als in dem Waldhaus des Mordopfers große Mengen an Essensvorräten, Waffen, Munition, ideologisches Material der Waffen-SS und ein falsches Polizeiauto gefunden werden.

Ein Wecker klingelt in Dunkeldeutschland

Fortan jagt eine Wendung die nächste: Ex-Kollegen, die in rechtsextreme Chats verwickelt waren, tauchen auf, Freundschaften zerbrechen, Misstrauen gräbt sich in die Gesichter des zunehmend entsetzten Teams. Es wird gelogen, es werden Spuren verwischt und manipuliert, Wildschweine gejagt und V-Männer liquidiert. Bis die Leiche endlich gefunden wird, weil auf dem Acker in der Früh dessen Uhrenwecker erklingt, vergehen Stunden.

Die nie endende Nacht verleiht der menschenleeren Landschaft mit ihren klaustrophobisch schmalen Landstraßen den Anschein eines Kammerspiels. Wie Gespenster verharren die wartenden Figuren zunächst in banalen Gesprächen, blass, resigniert und von der Vergeblichkeit ihrer Arbeit zermürbt. Bis sie erkennen müssen, dass manche unter ihnen ihren Hass auf die Verhältnisse in Stärke und Allmachtfantasien umkehren wollen. Die nicht nur Hinrichtungslisten führen, sondern auch bereit sind, in den eigenen Reihen mit Waffengewalt „für Ordnung“ zu sorgen.

Regisseur Bastian Günther gelingt es meisterlich, die aktuellen Vorgänge rund um Reichsbürger, Prepper-Gruppen, die Polizeiwache 1 in Frankfurt und die NSU 2.0-Drohbriefe in einen dichten, aber zugleich erstaunlich langsamen Thriller zu übertragen, in dem der Fokus auf dem ambivalenten Innenleben der Figuren liegt und nicht etwa auf der möglichst verwickelten Lösung des Falls, oder einer auf Effekte setzenden Action-Dramaturgie. Subtile Horror-Elemente werden in kleinsten Dosierungen eingesetzt. Dafür spielt die Musik eine atmosphärisch ähnlich wichtige Rolle wie schon in Günthers Spielfilm „Houston“, der ausgiebig dem Krautrock huldigte. Hier steuert das US-amerikanische Trio Dallas Acid mit alten Moog-Synthesizern, Mellotron und Percussion-Instrumenten einen minimalistischen Retro-Science-Fiction-Sound bei, der an die düsteren No-Future-Klanglandschaften der späten 1970er-Jahre von Bands wie Cluster, Popol Vuh oder Tangerine Dream erinnert.

Wenn es Blut vom Himmel regnet

Die in der Nacht herumirrenden Polizeiwagen leuchten in diesem musikalischen Umfeld beinahe wie von der Bahn abgekommene Raumschiffe, während rote Kamerafilter immer wieder dafür sorgen, dass das beklemmende Geschehen die Ausmaße eines surreal bedrohlichen Untergangsszenarios annimmt. Am Ende regnet es Blut vom Himmel, und einer Gruppe durch den Film geisternder Party-Leute fällt in einem grotesk langen VIP-Wagen nichts anderes ein, als die nächsten Champagner-Korken knallen zu lassen. Und sich blutverschmiert in einem Selfie zu spiegeln. Der Tanz auf dem Vulkan geht weiter. Der Warnschuss verhallt in der Leere.

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