Auf der Kippe (2023)

Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 87 Minuten

Regie: Britt Beyer

Die Oberlausitz ist ein traditionsreiches Braunkohlerevier im Osten Deutschlands, wo lange im Tagebau Kohle abgebaut wurde. Doch auch hier steht in naher Zukunft der Ausstieg aus dem Kohlestrom bevor. Der konventionell angelegte Dokumentarfilm sammelt Eindrücke aus der Region und rückt vor allem einen Bürgermeister, eine Baggerführerin und eine Umweltaktivistin in den Fokus. Dabei zeigt er zwar die Situation auf, die für die gesamte Region wenig Zukunftsaussichten verspricht, wirkt in den Impressionen und Aussagen aber zu beliebig, um mehr als vage Befindlichkeiten zu vermitteln. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Zero One
Regie
Britt Beyer
Buch
Britt Beyer
Kamera
Frank Amann · Marcus Lenz
Musik
Joachim Kühn
Schnitt
Janine Dauterich
Länge
87 Minuten
Kinostart
12.10.2023
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Dokumentarfilm über die Oberlausitz zwischen der Tradition als Braunkohlerevier und fehlenden Perspektiven für die Zukunft nach dem Kohleausstieg.

Aktualisiert am
28.09.2023 - 15:32:59
Diskussion

Torsten Pötzsch ist Bürgermeister von Weißwasser. Er ist mit Leib und Seele Lausitzer und praktisch Tag und Nacht damit beschäftigt, Stadt und Land vor dem neuerlich drohenden Niedergang zu retten. Denn in zahllosen Gremien, Institutionen und Initiativen geht es immer nur um ein einziges Thema: der drohende Kohleausstieg. Silke Butzlaff ist Geräteführerin und lenkt seit mehr als zwanzig Jahren einen riesigen Schaufelrad-Bagger im Tagebau Welzow-Süd. Ebenso wie Torsten Pötzsch betrachtet sie den Strukturwandel als Herausforderung und Chance zugleich. Auf jeden Fall findet sie, dass die Lausitz als Kohlerevier oder wenigstens als Region, in der Strom produziert wird, erhalten bleiben sollte.

Ganz anders dagegen Reka: Die Umweltaktivistin wehrt sich vor allem gegen den Raubbau an der Natur in ihrer Heimat. Nicht nur, dass für sie der Kohleausstieg zu spät kommt, sie hat auch ein Problem mit der Flutung der ehemaligen Kohlegruben – die häufig einzige Maßnahme zur Renaturierung der stillgelegten Anlagen. Eine der Folgen ist die übermäßige Verdunstung von wertvollen Wasserressourcen, was sich schon bemerkbar macht.

Es fehlt die klare Linie

So sympathisch die drei Protagonisten des Films „Auf der Kippe“ sind und so interessant es besonders zu Beginn ist, sie kennenzulernen und sie bei ihren Aktivitäten zu begleiten: Dem Film von Britt Beyer fehlt die klare Linie. Die unterschiedlichen Ansätze der drei werden kaum so herausgearbeitet, dass sich daraus eine eindeutige Richtung des Films herleiten ließe, die ihm mehr Schwung und vor allem Spannung gegeben hätte. Da ist der innovative, optimistische Torsten Pötzsch in seiner beinahe übersprudelnden Aktivität, die traditionsbewusste, selbstsichere Silke Butzlaff als – im wahrsten Sinne des Wortes – Kumpel von nebenan und die zurückhaltende, engagierte Reka mit ihrem beeindruckenden Hintergrundwissen. Zusätzlich werden ab und an einige Anwohner in den Fokus gerückt. Sie wurden oder werden umgesiedelt, weil ihre Häuser dem Tagebau weichen müssen. Ein paar alte Leute sprechen über die rußige Vergangenheit, als in der DDR der allgegenwärtige Kohlenstaub in der frischgewaschenen Wäsche hing, über ihr Aufatmen nach der Wende und die folgenden Enttäuschungen.

Doch bleibt es letztlich bei Eindrücken, die mehr oder weniger zufällig gesammelt erscheinen, es gibt viele Versammlungen, Treffen und Konferenzen, was auf Dauer langatmig ist. Die Aussagen der Beteiligten werden immer beliebiger, auch wenn offenbar im Hintergrund zumindest eine gewisse Chronologie erkennbar ist. Der Film, der entweder von jazzig fröhlichen Saxophonklängen oder von einem nachdenklichem Soloklavier begleitet wird, beginnt im Frühling oder Sommer und dort endet er auch. Der Ablauf spielt allerdings auch eigentlich keine Rolle. Einige Archivbilder, auch TV-Ausschnitte aus DDR-Beständen, ergänzen die Aufnahmen von meist wenig interessanten Städten und Dörfern, wobei die neu gebauten Ersatzdörfer außerhalb der Kohlegruben genau so gesichtslos wirken, wie man sie sich vorstellt, aber auch nicht anders als jede beliebige Einfamilienhaus-Siedlung irgendwo anders.

Suchen und Finden eines Heimatgefühls

Interessanter, aber leider seltener im Bild sind da schon die alten, verlassenen Industrieanlagen, denen seit Jahrzehnten neues Leben eingehaucht werden soll, was nur in wenigen Fällen zu gelingen scheint. Dabei geht es auch um Identität und Kultur – um das Suchen und Finden eines Heimatgefühls, das in dieser Region vielleicht auch deshalb so wenig ausgeprägt ist, weil es so wenig feste Bezugspunkte außerhalb des Bergbaus gibt.

Auffällig ist in allem, dass es keinen durchgängigen roten Faden gibt. Das ist schade, und es hätte ihn durchaus geben können, wenn beispielsweise die Investoren, mit denen der Bürgermeister zwischendurch verhandelt und offenbar gut bekannt ist, schon zu Beginn vorgestellt würden. Stattdessen beginnt der Film mit einer Gruppe südkoreanischer Geschäftsleute, die Pötzsch vor dem Rathaus von Weißwasser begrüßt und durch die Stadt führt. Sie tauchen danach nicht mehr auf. Die Investoren hätten sich als roter Faden auch deshalb angeboten, weil es damit feste Orientierungspunkte für Silke Butzlaff und Reka gegeben hätte und obendrein auch die tragische Dimension der Situation in der Region stärker offenbar geworden wäre. Denn die Investoren, die eine Hochschule mit verschiedenen Wohnungsbauprojekten und Gewerbeansiedlungen verbinden wollten, haben sich nach Abschluss der Dreharbeiten zurückgezogen. Dieser Hinweis folgt nun nur lapidar im Abspann.

Für einen abendfüllenden Kinofilm ist das zu wenig. So wie es zu wenig ist, in diese Region jede Menge Wasser in die Grubenlöcher und ein paar Milliarden Euro in die Gemeinden zu pumpen. Das wäre noch der positivste Aspekt dieses Films: Er zeigt Befindlichkeiten und liefert Informationen über einen Landstrich, der vielleicht schon in wenigen Jahren entvölkert sein könnte.

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