Dokumentarfilm | Italien 2021 | 105 Minuten

Regie: Pietro Marcello

Im Frühjahr 2020 reisen die Filmemacher Pietro Marcello, Francesco Munzi und Alice Rohrwacher kreuz und quer durch Italien, um junge Menschen nach ihren Träumen und Zukunftsängsten zu befragen. Überlegungen zu sozialer Gerechtigkeit und den unterschiedlichen Zugängen zu Bildung und Kultur stehen in den offenherzigen Stellungnahmen neben Sorgen um einen sicheren Job und traditionellen Wünschen nach einer Kleinfamilie. Durch die Corona-Pandemie bekommt die Frage nach der Zukunft unweigerlich eine weitere Dimension. In dem gemeinschaftlich entstandenen soziologischen Filmprojekt ist Kollektivität ein zentrales Moment und spiegelt sich auch vor der Kamera wider: Stets stellen sich die Jugendlichen den Fragen in der Gruppe. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FUTURA
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Avventurosa/Rai Cinema
Regie
Pietro Marcello · Francesco Munzi · Alice Rohrwacher
Buch
Pietro Marcello · Francesco Munzi · Alice Rohrwacher
Kamera
Ilya Sapeha
Schnitt
Aline Hervé
Länge
105 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Als Gemeinschaftsprojekt entstandener Dokumentarfilm der drei italienischen Filmschaffenden Pietro Marcello, Francesco Muni und Alice Rohrwacher, die junge Menschen nach Träumen und Zukunftsängsten befragen.

Diskussion

Die Zukunft sei eine Serie vieler „morgen“, die sich mit jedem Tag mehr verflüchtige, so beantwortet ein Mädchen die titelgebende Frage des Films. Für einen jungen Mann und angehenden Bauern verbindet sich mit dem Begriff „Zukunft“ dagegen etwas ganz Handfestes: Er möchte den Traktor, der einmal seinem Großvater gehört hat und nun an ihn übergegangen ist, irgendwann an seine zukünftigen Kinder weitervererben. Manchmal kann sich aber auch das Vage in etwas Konkretes wandeln und eine diffuse Angst vor dem „Unglück“ in eine überaus reale Ausnahmesituation. Die italienischen Filmschaffenden Pietro MarcelloFrancesco Munzi und Alice Rohrwacher haben ihr Projekt gerade begonnen, als sich das Leben im Frühjahr 2020 von einem Tag auf den anderen radikal ändert. Für die jungen Leute, die in „Futura“ vor die Kamera treten, ist das Vertrauen in die Zukunft durch die Pandemie vorerst erschüttert.

Auf den Spuren Pasolinis

Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass ausgerechnet Alice Rohrwacher und Pietro Marcello sich einem Thema wie der Zukunft annehmen. Rohrwachers Filme bewegen sich in einer schwer zu fassenden Zeitlichkeit, in der jede Gegenwartsmarkierung von Zeichen des Archaischen irritiert wird. Und auch Marcellos Arbeiten, die sich zuletzt literarischer Vorlagen annahmen (Jack London, Alexander Grin), sind einem sehr eigenen Begriff von Zeitlichkeit verpflichtet. Tatsächlich aber schwingt gerade in den komplexen Beziehungen, die in beiden Werken zwischen Vergangenheit und Gegenwart aufgespannt werden, die Frage nach der Zukunft unweigerlich mit.

Und in gewisser Weise ist auch „Futura“ auf Spuren des Vergangenen unterwegs. 1964 reiste der Filmemacher Pier Paolo Pasolini durch das Land und befragte junge Leute nach ihren Vorstellungen von Liebe und Sex. Zwei Ausschnitte aus „Comizi d’amore“ sind in den Film eingewoben, im Vergleich zu dem sanft anmutenden „Futura“ wirken sie eher schroff und offensiv. Einmal wird aus einem Auto heraus eine Gruppe von Jugendlichen angesprochen und forsch nach Büchern in ihren Haushalten befragt. Nachdem ein Junge auf Aufforderung ein Gedicht rezitiert hat, fährt das Team weiter. Ciao!

Was ist die Zukunft?

Auch Rohrwacher, Marcello und Munzi, die getrennt voneinander kreuz und quer durch Italien reisen, gehen von einer offenen Fragestellung aus. Was ist die Zukunft? Wie sehen sie sich selbst in zehn Jahren? Was sind ihre Erwartungen, was sind ihre Ängste? Und ist die Zukunft etwas Individuelles oder Kollektives? Dass sich für die Filmemacher die Frage nur kollektiv beantworten lässt, ist Prämisse und Methode des gemeinschaftlich entstandenen Films. Grundsätzlich werden Gruppen junger Menschen befragt, Mädchen an einem See, Jungs, die sich mit ihren Vespacars Wettrennen liefern oder Boxen lernen, Auszubildende einer Kosmetik -und Hotelfachschule, Studierende einer Uni.

Die Reaktionen sind manchmal scheu, manchmal auch selbstbewusst, „spielen“ aber tut hier niemand, im Gegenteil. Die Offenheit und Aufrichtigkeit, mit der die Befragten, die zwischen 15 und 20 Jahre alt sind, Auskunft geben, lässt sie verletzlich wirken. Sie hören, was die anderen zu sagen haben, stimmen zu, ergänzen oder widersprechen. Antworten sucht der Film ebenso in den Aussagen wie in den Gesichtern. Zwar wird die Gruppe stets im Blick behalten, doch die Kamera sucht schon bald nach der Großaufnahme, fasziniert schaut sie auf die noch jungen, werdenden Gesichter, in die sich bereits eine Ernsthaftigkeit hineingezeichnet hat – und entdeckt in jedem einzelnen eine gewisse Schönheit.

Ungewissheit und Zweifel sind Grundstimmungen

Natürlich sind die Vorstellungen von der Zukunft auch milieuabhängig und ändern sich mit der Geografie. Die einen wollen durch Kultur wachsen und unabhängig sein, andere träumen von der traditionellen Familie und einer Zukunft als Profifußballer. Ungewissheit und Zweifel sind jedoch Grundstimmungen, die sich durch alle Schichten und Regionen hindurch immer wieder artikuliert finden. Der Staat tue nichts für Jugendliche, die Politik habe sie vergessen, auch die unterschiedlichen Zugänge zu Bildung und Kultur sind ein Thema. Vor allem die Angst davor, keinen Job zu finden, ist allgegenwärtig, viele möchten weg, ins Ausland – „hier gibt es nichts für mich“.

Eine eher geringe Rolle spielt die zumindest medial präsente „Klimaangst“, und auch die Systemkritik hat ihre Grenzen. Ein junger Mann steht jedenfalls mit seiner Forderung, mit der sozialen Ungleichheit gleich auch noch das Geld abzuschaffen, ziemlich allein da. Als die Filmemacher:innen in Genua dem Nachwirken der gewalttätigen Ereignisse um den G8-Gipfel 2001 in der Diaz-Schule nachspüren, wirken sie selbst am meisten betroffen. Man solle die feine Linie zwischen Normalität und Überschreitung nicht überstrapazieren, meint einer. So schreibt sich in das Gegenwartsbild, das „Futura“ zeichnet, ebenso der Zeit- und Geschichtsbegriff von Rohrwacher, Marcello und Munzi ein – nicht zuletzt durch die Wahl von 16mm. Dem Film nachgestellt ist ein Zitat von Raoul Vaneigem – einem Theoretiker der „Situationistischen Internationale“ und Autor von „Handbuch der Lebenskunst für die jungen Generationen“.

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