Bunt und trotzdem öde ist Asteroid City. Ein Wüstendorf, das nie der erwartete Touristenmagnet, sondern ein Ausstellungsstück der geplatzten Hoffnungen wurde. Im Grunde also eine fast archetypische Wes-Anderson-Stadt: vor Farben und Nostalgie strotzend, eine Kulisse wie eine Stephen-Shore-Fotografie, deren Tragik von Pappmaché-Bauten verstellt und von blendend hellen Pastellfarben überstrahlt wird. Farben, die vorgaukeln, alles sei in Ordnung, doch natürlich ist hier nichts in Ordnung. Fotograf Augie Steenbeck (Jason Schwartzman) und seine vier Kinder, drei Mädchen im Kindergartenalter und Teenager-Sohn Woodrow (Jake Ryan) besuchen Asteroid City eigentlich nicht freiwillig – der Wagen hat den Geist aufgegeben –, aber zumindest ergibt sich die Chance für den hochbegabten Woodrow, ein Stipendium zu gewinnen.
Dass die Mutter nicht am Familienausflug teilnimmt, weil sie bereits vor drei Wochen verstarb, bleibt für die Kinder erst einmal ein Geheimnis. Allein der stoische Papa und dessen Schwiegervater (Tom Hanks), die die dazugehörigen Sorgerechts- und Nachlassfragen noch für sich selbst und miteinander zu klären haben, wissen Bescheid. Der Kulisse angemessen, bleibt das aber erst einmal unausgesprochen.
Schrullige Figuren in der Wüste
Die Steenbecks sind nicht allein in Asteroid City. Wes Anderson versammelt wie so oft auch in „Asteroid City“ ein Hollywood-Allstar-Aufgebot, das die schrulligen Figuren verkörpert, die ausnahmslos jeden seiner Filme bevölkern. Überhaupt scheint Anderson nach nicht ganz einem Dutzend Spielfilmen seinen Stil nicht nur gefunden, entwickelt, sondern mittlerweile geradezu fossiliert zu haben. Anderson ist so gefestigt in seinem Stil, wie man es alten Männer nachsagt, die mehr oder weniger in ihre Eigensinnigkeit versinken.
Natürlich gibt der ästhetische Eigenwille auch in „Asteroid City“ das eine oder andere Mal Grund zum Staunen: Anderson ist und bleibt ein Unikat des skurrilen, nostalgisch unterfütterten Humors und macht spielerisch eben das kompliziert, was zunächst ganz einfach erscheint: Im Zentrum des Films steht nämlich eine Liebesgeschichte. Steenbeck findet in der Filmdiva Midge Campbell (Scarlett Johansson) eine gleichermaßen stoische wie eigenbrötlerische Gleichgesinnte als Bungalow- und schließlich als Bettnachbarin.
Kompliziert wird es, weil eben nicht nur die Ereignisse selbst erzählt werden, sondern auch ihre Produktionsgeschichte mitreflektiert wird. Bryan Cranston führt als Erzähler durch das Arbeitszimmer des Autors Conrad Earp (Edward Norton) und auf die Probebühne, wo Regisseur Schubert Green (Adrien Brody) die atomar glänzende Pastellwüste zu inszenieren versucht, die wir als tatsächliche Handlung erleben. Eine Wüste, in der – auch hier trügt zunächst wieder der Schein – einiges los ist. Regelmäßige Nukleartests, vergangene Meteoriteneinschläge und vereinzelte Besuche Außerirdischer sind nur das Rahmenprogramm für die hochbegabten Kinder, verliebten und trauernden Eltern, fatalistischen Autoschrauber, pflichtbewussten Generäle und gewissenhaft geschäftstüchtigen Hoteliers, die schließlich alle zusammen im Lockdown festhängen, nachdem eine der regelmäßigen Zusammenkünfte im Asteroidenkrater von einem Alien-Besuch unterbrochen wird.
Einfach weitererzählen
Was das eigentliche Hauptprogramm konkret sein soll, ist, trotz der sichtbaren Kohärenz, die der Film im ständigen Changieren zwischen Absurditäten, Meta-Ebenen, Liebes- und Trauergeschichten hält, schwer zu sagen. Natürlich hat Anderson auch das längst mitgedacht und lässt Jason Schwartzman im Tumult des Showdowns einfach den Film, oder eben die Bühne, durch eine Hintertür verlassen, um Regisseur Schubert Green zur Rede zu stellen. „Worum geht es in dem Stück?“, ist seine Frage. Er fühle sich verloren und habe keinerlei Orientierung zwischen der aufkommenden und noch immer erdrückenden Trauer, die in seiner Figur miteinander ringen. „Erzähl’ einfach weiter die Geschichte“, ist die abwiegelnde Ermutigung, mit er wieder Richtung Bühne entlassen wird.
Als Figur beobachten wir Augie einmal dabei, wie er mit Midge, die im Bungalow gegenüber in der Badewanne liegt, eine Szene probt. Auf ihren Wunsch hin moduliert er sein intonationsloses Ablesen, versucht das Trauma hineinzulegen, schiebt dem, was aus seinem Inneren durch die Worte des Drehbuchs allmählich nach außen zu dringen droht, aber im entscheidenden Moment wieder den Riegel vor. Wenig später hält er seine Hand in die Heizspiralen seiner Kochplatte. Warum, weiß weder Augie selbst noch der Schauspieler, der ihn verkörpert.
Peinlich exakt geordnet
„Asteroid City“ vollführt das gleiche affektive Ausweichmanöver, nur in komplexer ästhetischer Aufbereitung. Was auch immer also hier und in den Tiefen der trauernden Seelen vor sich geht, Anderson hat es unter Kontrolle. Die Mechanismen, mit denen er die Rädchen ineinandergreifen lässt, sind bekannt: mannigfaltige Symmetrien, peinlich exakt geordnete Details; Split Screens und die kaputten Familien, die sich durch diese anblicken. Zwischentitel, die das Geschehen dazu in Akt- und Szenennummern sortieren, sind der Gipfel des Ordnungsfetisches, den Anderson mit fortschreitendem Alter immer konsequenter auszuleben scheint. So ist „Asteroid City“ ein weiteres Mal gut geordneter Maximalismus. Alles ist dort, wo es hingehört. Und doch will der perfekt zusammengesetzte Gesamtapparat nie wirklich „klick“ machen. Vielleicht ist es die Summe der Teile, der Handlungs- und Metaebenen, die ständigen Wechsel oder ihr Gesamtgewicht, das den Film ausbremst.
Aber vielleicht muss man gar nicht auf das große Ganze schauen, das Innere nicht ergründen, Ordnungswahn Ordnungswahn sein lassen und sich am Kleinen erfreuen, mit dem Anderson noch immer zu verzaubern mag. Szenen, die prall gefüllt sind mit Ideen, Pointen und Nebenhandlungen. Etwa wenn der Kriegsfotograf das erste Mal auf die Filmdiva trifft. Routiniert spielen sie ihre eigenen, verschrobenen Kennenlernroutinen ab, flirten im passgenau austarierten Schuss-Gegenschuss-Format. Bis die Kamera die Teenager dabei entdeckt, wie sie einander entdecken. Die Eltern reden weiter, aber das Interesse neigt sich mit der Kamera dem Nachwuchs zu. Er entdeckt sie, starrt mit offenem Mund. Dann entdeckt sie ihn. Er starrt wieder auf den Milchshake. Beide erröten, ohne zu erröten. Das muss Liebe sein.