Action | USA 2023 | 548 (10 Folgen) Minuten

Regie: Rian Johnson

Eine Frau, die als Cocktail-Kellnerin in einem Casino in Vegas arbeitet, hat eine besondere Fähigkeit: Sie erkennt unfehlbar, wenn jemand lügt. Nachdem sie mit ihrem Talent die Wahrheit über den Mord an einem Zimmermädchen herausgefunden und sich Ärger mit dem Casino-Boss eingehandelt hat, flieht sie quer durch die USA und bringt Licht in allerlei dubiose Todesfälle, über die sie unterwegs zufällig stolpert. Eine schwarzhumorige Krimiserie mit „Ein Fall pro Folge“-Dramaturgie rund um eine charismatische weibliche Hauptfigur. Angelegt sind die jeweiligen Fälle nicht als „Whodunits“, sondern als pointierte Mini-Tragikomödien, deren raffinierte Ideen für beste Unterhaltung sorgen. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
POKER FACE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Animal Pictures/MRC Television/T-Street
Regie
Rian Johnson · Iain B. MacDonald · Janicza Bravo · Tiffany Johnson · Natasha Lyonne
Buch
Rian Johnson · Wyatt Cain · Charlie Peppers · Alice Ju · Christine Boylan
Kamera
Jaron Presant · Steve Yedlin · Christine Ng
Musik
Nathan Johnson · Judson Crane
Schnitt
Bob Ducsay · Glenn Garland · Paul Swain · Shaheed Qaasim
Darsteller
Natasha Lyonne (Charlie Cale) · Benjamin Bratt (Cliff Legrand) · Adrien Brody (Sterling Frost, Jr.) · Ellen Barkin (Kathleen Townsend) · Joseph Gordon-Levitt (Trey Mendez)
Länge
548 (10 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Action | Fantasy | Serie | Thriller

Eine schwarzkomödiantische Krimi-Serie von Rian Johnson um eine Frau mit einem übernatürlichen Talent, Lügen zu erkennen. Nachdem sie sich Ärger mit einen Casino-Boss eingehandelt hat, flieht sie quer durch die USA und bringt Licht in allerlei dubiose Todesfälle, über die sie unterwegs stolpert.

Diskussion

„I’m just doing fine“: So beschreibt Charlie (Natasha Lyonne) ihren aktuellen Zustand gegenüber ihrem Boss (Adrien Brody), dem Juniorchef eines Hotel-Casinos in Las Vegas, als dieser ihr einen Deal schmackhaft machen will. An Geld ist Charlie, sehr zur Irritation ihres Gegenübers, nicht sonderlich interessiert. Reich sein, das sei zwar besser als pleite, aber anstrengender als ihr jetziges Leben, findet Charlie, die in Frosts Casino als Kellnerin die Gäste mit Cocktails versorgt und ansonsten offensichtlich damit zufrieden ist, auf einem Klappstuhl vor ihrem Trailer in der Sonne zu sitzen, Bier zu trinken und mit dem älteren Nachbarn zu quatschen. So darf es bleiben; mehr ist nicht nötig.

Ein menschlicher Lügendetektor

Dabei hat Charlie ein einzigartiges Talent, mit dem sich wuchern lassen würde: Sie merkt untrüglich, wenn jemand lügt. Früher einmal nutzte sie diese fantastische Fähigkeit, um bei Pokerspielen zu brillieren, bis Sterling Frost sr. (Ron Perlman), der Vater ihres aktuellen Chefs, ihr klarmachte, dass sie damit den falschen Leuten in die Quere kommt, und ihr stattdessen den Job im Casino verschaffte. Dass Charlie sich nun von Sterling Frost jr. anheuern lässt, ihr Talent doch nochmal beim Pokern zu nutzen, hat nichts mit dem Geld zu tun, das er ihr bietet, sondern mit einem schmierigen Kerl, den Charlie ohnehin im Visier hat: Sie verdächtigt Kazimier Caine – einen reichen Hotel-Stammgast und Spieler, der sehr zum Ärger von Sterling Frost jr. in seiner Suite unter der Hand eigene Pokerturniere veranstaltet – des Mordes an einem mit ihr befreundeten Zimmermädchen. Also lässt sie sich darauf ein, ihrem Boss zu helfen, bei Caines Privatturnier abzukassieren.

Was Charlie allerdings noch nicht ahnt, wir Zuschauer aber bereits wissen: Es ist mitnichten Caine, der die Frau auf dem Gewissen hat! Und so gerät sie mitten in Turbulenzen hinein, die dafür sorgen, dass es mit ihrem „Just doing fine“-Leben bald ein Ende hat und sie sich mit ihrem abgewrackten 1969er Plymouth Barracuda auf einer Flucht quer durch die USA wiederfindet, verfolgt von Sterling Frosts Handlanger und Mann fürs Grobe Cliff (Benjamin Bratt).

Von Mord zu Mord quer durch die USA

Dieses Katz-und-Maus-Spiel bildet den erzählerischen Rahmen, ist in „Poker Face“ aber keineswegs der Spannungsfaktor für die zehn herrlichen, ebenso verschrobenen wie spannenden Episoden. Die von Rian Johnson geschaffene, schwarzhumorige Krimi-Serie ist vielmehr schön altmodisch in Form einer „Ein Fall pro Folge“-Anthologie erzählt, zusammengehalten weniger vom Flucht-Plot als vom Charme der übersinnlich begabten Hauptfigur, die die umwerfende Natasha Lyonne mit derselben eigenwilligen Mischung aus lässiger Coolness und kauziger Gutmütigkeit erdet wie ihre in einer Zeitschleife feststeckende Figur in „Matrjoschka“.

Die zehn Episoden folgen Charlie zu verschiedenen Orten, wo sie kurzzeitig Station macht, sich mit kleinen Jobs über Wasser hält, Bekanntschaften knüpft und dabei immer wieder aufs Neue in haarsträubende Mordfälle hineinstolpert.

Ein Hauch von Coen-Brüder-Ironie

Und wenn man einige davon verfolgt hat, weiß man nicht mehr, was eigentlich außergewöhnlicher ist an dieser Charlie Cale: Ihr Lügendetektor-Talent oder ihr völliges Desinteresse gegenüber den American-Dream-Versprechungen von Geld, Erfolg und Status. Denn letzteres sind die zentralen Motive, um die es in den einzelnen Folgen (fast) immer geht: Für das, was Charlie völlig schnuppe ist, wird ansonsten allenthalben munter über Leichen gegangen. Eine steife Brise Coen-Brüder-Ironie weht durch die Fleckchen von God’s Own Country, an die es Charlie verschlägt – von Virginia bis Colorado. Anders als Rian Johnsons „Knives Out“-Filme sind die Episoden-Plots nicht als „Whodunits“ angelegt. Stattdessen rollen sie pointierte Mini-Tragikomödien auf, in denen sich unterschiedlichste Protagonist:innen beim Kämpfen um ihr jeweils eigenes, mal kleineres, mal größeres Stückchen vom American Dream bis über beide Ohren in blutigen Schlamassel verstricken, bis Charlie Cale wie ein weiblicher Columbo auftaucht, scheinbar harmlose Fragen zu stellen beginnt und letztlich dafür sorgt, dass denjenigen, die unter die Räder gekommen sind, Gerechtigkeit widerfährt.

Die Preisklasse, wegen der da gemeuchelt wird, bewegt sich zwischen 25 000 Dollar (einem Lottogewinn, wegen dem ein junger Mechaniker-Lehrling aus einer Werkstatt an irgendeinem Highway in der zweiten Folge den Mitarbeiter des benachbarten „Subway“-Ladens vom Dach stößt) und einem Millionenvermögen (der reichen jungen Ehefrau eines ehemaligen Schauspiel-Stars, mit der es in der sechsten Folge auf offener Bühne kein gutes Ende nimmt).

Stars wie Tim Blake Nelson, Chloë Sevigny und Nick Nolte geben sich die Ehre

Und Rian Johnson wäre nicht Rian Johnson, wenn er sich dabei mit handelsüblichen Sujets abgeben würde, wie man sie in jeder x-beliebigen Freitagabend-Krimiserie zu sehen bekommt: Er und sein Team haben diebischen Spaß daran, für jede Episode neue, ausgefallene Szenarien quer durch die sozialen Milieus aufzubauen und sie mit kuriosen, von namhaften Darstellern verkörperten Charakterköpfen zu füllen. Da ist zum Beispiel in der siebten Folge Tim Blake Nelson als alternder Rennfahrer, der in eine erbitterte Fehde mit einem erfolgreicheren jungen Konkurrenten verstrickt ist und sich schließlich vor einem wichtigen Rennen dazu hinreißen lässt, den Wagen des Jungspunds zu sabotieren. In der herzzerreißenden vierten Folge wittert Chloë Sevigny als abgehalterte, in einem Baumarkt jobbende Sängerin einer Metal-Band, die es nie übers One-Hit-Wonder hinausschaffte und an diesem Hit noch nicht mal die Rechte hat, bei einer Tour durch drittklassige Clubs eine letzte Chance auf ein Comeback und kennt dafür kein Pardon. Und in der für Filmfans vielleicht schönsten, achten Folge fertigt Nick Nolte als einsiedlerischer Creature Designer, der in den 1970ern zu den Gründern einer mittlerweile zum erfolgreichen Filmstudio gewachsenen Effekte-Firma gehörte, ein makabres Modell ihres kürzlich verstorbenen Mannes für seine damalige Mitgründerin und jetzige Studioleiterin (Cherry Jones) an – und ahnt nicht, welch unlautere Machenschaften diese damit vertuschen will.

Als Ersatz dafür, dass dabei auf die Whodunit-Rätselspannung verzichtet wird, verpassen die Drehbuchautoren den Versuchen Charlies, mit Fakten die Verdachtsmomente zu untermauern, auf die die Lügen der Beteiligten sie stoßen, immer noch den einen oder anderen unerwarteten Twist mehr oder lenken die Sympathien der Zuschauer nochmal in eine andere Richtung – denn die Grenzen zwischen Tätern und Opfern sind hier mitunter fließend.

Finale im Casino

Wenn schließlich doch irgendwann der hartnäckige Handlanger Cliff zu Charlie aufschließt und es zum Staffelfinale einmal mehr in ein Casino, diesmal in Atlantic City geht, trumpfen die Macher noch einmal damit auf, etwas mehr persönliche Hintergründe zu Charlie selbst zu liefern und aufs Neue neugierig zu machen auf diese Figur, die eine so genügsame Lebenskünstlerin ist, so leicht Kontakt zu anderen findet und so empathisch die Schicksale flüchtiger Bekanntschaften zu ihrer eigenen Agenda macht, aber scheinbar keine engeren, tieferen, dauerhafteren Beziehungen eingehen kann. Kann man unter Mitmenschen, bei denen das Lügen scheinbar zur DNA gehört, mit Charlies Talent nur überleben, wenn man immer rechtzeitig ins Auto steigen und weiterfahren kann?

Zum Glück ist das Ende dann so angelegt, dass direkt die Steilvorlage für eine neue Staffel geschaffen ist. Eine weitere Runde mit dem Plymouth Barracuda quer durchs Land der unbegrenzten Mord-Möglichkeiten? Jederzeit!

Kommentar verfassen

Kommentieren