Komödie | Deutschland 1994 | 88 Minuten

Regie: Siegfried Zimmerschied

Ein hasenschartiger Niederbayer will einen Fernsehredakteur für einen Film interessieren, den er gedreht hat. Dies ist der lose Faden, dem Sigi Zimmerschied bei seinen respektlosen Attacken gegen Kirche, Medien und das gesunde Volksempfinden folgt. Der Passauer Kabarettist schießt dabei über jedes Ziel hinaus und läßt keinen noch so grotesken Effekt aus, um seinem Publikum den vermeintlichen Spiegel vorzuhalten. Mit seiner unreflektierten Bosheit stößt der Film mehr ab, als daß er reale Zusammenhänge erhellt. - Wir raten ab.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Hirtenbrief Filmprod.
Regie
Siegfried Zimmerschied
Buch
Siegfried Zimmerschied
Kamera
Josef Rödl
Musik
Siegfried Zimmerschied
Schnitt
Fritz Baumann
Darsteller
Siegfried Zimmerschied (Herr Schartl u.a.) · Barbara Dorsch · Miki Malor · Ivo Vrzal-Wiegand · Therese Affolter
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Wir raten ab.
Genre
Komödie
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Diskussion
Der Schartl, das ist die erste der vielen "Inkarnationen" des Kabarettisten und Schauspielers Sigi Zimmerschied in seinem Regiedebüt: ein korpulenter Underdog mit einer Hasenscharte. Der Schartl will mit seiner Frau (oder Schwester?) - ebenfalls besonderes Kennzeichen: Hasenscharte - einen alerten Fernsehredakteur für den Film, den er gedreht hat, interessieren. Der Schartl sagt wenig und seine Gefährtin noch weniger. Dafür ist sein Film um so lauter, damit aber nicht schon vielsagender. Frau Schartls refrainartiges Nuscheln kennt nur ein "Wos hod a g'sagt?" und - nach des Mannes lakonischer Erläuterung - ein "Ah - so!". Ihre Frage gilt jeweils den kritischen Einwürfen resp. dem Entsetzen des sich zur Negativ-Identifizierung anbiedernden Redakteurs. Als Anwalt des "gesunden Volksempfindens" und der standardisierten Fernsehästhetik muß er von den Kostproben aus Schartls Opus natürlich alles andere als erbaut sein. Und Schartl mutet ihm ja auch einiges zu: eine Geisterbahnfahrt durch die dumpfesten Niederungen der - selbstredend transferfähigen - niederbayerischen Volksseele, so wie sich Zimmerschied diese seit seinen Anfängen in der Gruppe der Passauer "Scharfrichter" ein für allemal zurechtgehauen hat.

Daß Schartl von einer durchgehenden Erzähllinie (und manch anderen Konventionen) abgesehen hat, wird durch die Empörung des Redakteurs darüber als Tabuverletzung im Formalen geadelt. Gleichwohl ruht das deftig-düstere Panoptikum doch auf zwei Achsen: auf den Szenen aus dem Leben eines kleinen Ordnungsamtsbeamten - vorgestellt als Prototyp des faschistoiden Ordnungs- und Sauberkeits-Fetischisten und einer "geklonten" Reihenhaus-Existenz - und auf der episodisch erzählten Geschichte vom (natürlich) zuvorderts sexuellen "Coming Out" einer jungen Nonne. Dieses Gertist ist durchsetzt von einigen bitterbösen "freien" Nummern zu weiteren Facetten des alltäglichen realen und medialen Horrors: Szenen vom Kampftrinken in der Land-Disco mit anschließender Vollrausch-Rallye, vom rassistischen Kleinbürger, der sich hineinträumt in die Rolle eines Hitler-Wiedergängers und in ein Ausländertribunal mit anschließender Hinrichtung durch den zukünftigen Schützenverein, oder von einem grellen Schauerstück wie Schartls Beitrag zur Verrohung der Talkshow-Sitten: Nach einer einstimmenden "Trautes Heim"-Weise des bizarr drapierten Trios "Die Reihenhäusler" - die Sängerin trägt ein Nest mit Fötus als Kopfbedeckung - tritt der allseits beliebte Moderator Fonse im Jodelbayern-Janker mit den Attributen Dreschflegel und geschnitzter Dackel aus dem Bauernschrank und macht mit seinen Gästen kurzen Prozeß. In Fonses Kasperltheater bekommt zunächst der Monsignore, als dieser im Sprach- und Gebärdenstil Kardinal Ratzingers anhebt, sich (natürlich) über den Verfall von Sitte und Moral zu verbreiten, schnurstracks eines mit dem Dreschflegel "vor den Latz geknallt". Zweimal rappelt er sich blutüberströmt hoch, bis er dann hinter dem Podium endgültig zerdroschen wird, aufmunternd goutiert vom unsichtbaren Publikum. Ebenso "aufgeklatscht" werden auch die beiden anderen geladenen Säulen des Gemeinwesens, der angestoiberte Herr Staatssekretär und der senile Kreisheimatpfleger. Des smarten Moderators einziges, schlagendes "Argument" zermantscht sie alle, daß Blut und Fleischstücke nur so spritzen und sich der Talkshow-Musikanten-Stadel am Ende in ein bayuwarisches Splatter-Schlachthaus verwandelt hat.

Den Reigen solch tatkräftiger Aufklärungsund Klärungsarbeit beschließt das große Finale mit Musik in der Rotlicht-Bar: Die junge Nonne, die zu Beginn als tumbe Torin aus ihrer völligen Weltabgeschiedenheit ausgesandt worden war, gegen die Irrungen der Welt zu predigen, ist in Passau-Babylon (natürlich) bald der Fleischeslust erlegen - erst dem Brathendl, dann dem Sex-Gockel - und läuft schließlich in ihrem Erfahrungshunger, schon reichlich derangiert, in den Tempel der irdischen Freuden ein. Unter der Ägide ihrer - wessen wohl?, richtig! - Oberin, die in lasziv variierter Ordenstracht empfängt, hat sich hier alles versammelt, was seit geraumer Zeit zum Inventar eines saturierten Antiklerikalismus gehört: lüsterne Nonnen, biersaufende Sabber-Mönche, voyeuristische Lustgreise im Bischofs- und Kardinalsornat, Sadomasochisten im Inquisitions-Look und - gewissermaßen als "trinitarischer Stargast" - drei von Panizza und Achternbusch entliehene debile "Jesusse" (Abspann-Titulierung) mit Leintuch und Dornenkrone, die sich gelegentlich zur Auflockerung der Kreuzigungspose selbst geißeln. Und in dieser illustren Gesellschaft reißt sich die bei ihrem Fall gewachsene Nonne die Reste des Schleiers vom Haupt und besingt in einem herzhaften, semi-lateinischen Befreiungs-Boogie-Woogie "Viel geliebtes Himmelreich" die emancipatio sexualis aus der tyrannis ecclesialis.

Mit derart abgestandenen Zutaten läßt sich sicherlich auch heute noch mancher ärgern, aber keine Sprengladung zusammenmischen, die den Erzfeind Kirche, an dem sich der wackere Moralist Zimmerschied seit nun schon wer weiß wie vielen Jahren abarbeitet, zerbröselt. Solche Destruktion hatte eingangs des Films das programmatische Zeichentrick-Logo der Zimmerschiedschen "Hirtenbrief Produktion" hoffnungsfroh imaginiert: die Posaunen-Stöße zweier Schafe lassen den Passauer Dom einstürzen. Offensichtlich um einer Verwechslung des ebenfalls der Kirche (und anderen) den Marsch blasenden Produzenten mit dem gedoppelten Schaf vorzubeugen, wird diesem noch ein Einzelschaf mit Bischofsbirett hinterhergeschickt, das sich zur Einstimmung und auffälligen Erheiterung des Publikums erleichtem darf.

Ungeachtet manch gelungener Gags und treffender Zynismen demontiert der Autor und Hauptakteur dieses schwarzen Possenspiels am Ende weniger die von ihm gegeißelten Institutionen und Mentalitäten als seinen Ruf als Kabarettist. Auf der intimen Kleinkunst-Bühne kann Zimmerschied als Verwandlungskünstler und Meister des entstellend-erhellenden Grimassierens brillieren, und dort macht er auch mit seiner enormen physischen Präsenz oft vergessen, daß es seinem Witz an Doppelbödigem und an Hintersinn mangelt. Im Kino wirkt es jedoch grober, wie sein Dreschflegel zulangt. Dabei macht er es seiner Fan-Gemeinde mit den Themen, die von vornherein auf ihr geheimes Einverständnis schielen, recht leicht. Statt auch das eigene Publikum zu irritieren und ihm einen unbequemen Spiegel vorzuhalten, was schon immer das gute Kabarett ausgezeichnet und einer Satire wirklichen Biß verliehen hat, bedient Zimmerschieds Kuriositäten-Kabinett seine Klientel über weite Strecken nur mit aktualisierten und effektvoll aufbereiteten Aufgüssen der (nicht zuletzt von ihm selbst) mittlerweile sattsam bekannten Ausfälle gegen Borniertheit und Perversionen hinter den Fassaden von Staat, Kleinbürgertum und katholischer Kirche.

Aber vielleicht entringt sich ja bisweilen auch unserem, von seinen ewigen Botschaften tief beseelten "Hirtenbrief-Autoren heimlich die Klage über das Schwinden jener seligen Zeiten, da sich die Surrealisten mit frischem Übermut auf seine geliebten Themen stürzen konnten. Tun wir ihm deshalb wenigstens zum Schluß einen Gefallen und greifen nach dem Verächtern der Zimmerschiedschen Hausmanns-Kost bereitgelegten Schlußdialog, gehalten unter der Leiche des ob seiner ewigen Nörgelei am Ende aufgeknüpften Redakteurs: "Wos hod a g'sagt?", fragt Frau Schartl ihrer Gewohnheit gemäß, nachdem die ersten Abspanntitel vom Blick ins niederbayerische Inferno erlöst haben. "Na Scheiße hod a g'sagt", raunzt Schartl. - "Ah - so!"
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