Um die eigentümliche Komik des dokumentarischen Porträts „Hallelujah: Leonard Cohen, ein Leben, ein Lied“ goutieren zu können, ist es vielleicht ratsam, darauf hinzuweisen, dass sich die passionierten Leonard-Cohen-Exegeten einst mindestens genauso enervierend gerierten wie die erklärten Dylanologen. Bis ihnen der Literatur-Nobelpreis 2016 signalisierte, dass jetzt alle zu Exegeten von Bob Dylan werden müssen.
Als Dylan (Jahrgang 1941) diese Ehre zuteilwurde, hatte Leonard Cohen (Jahrgang 1934) noch drei Wochen zu leben. Im materialreich ausladenden Film „Hallelujah: Leonard Cohen, ein Leben, ein Lied“ von Daniel Geller und Dayna Goldfine ist einmal von einer Begegnung der beiden Musiker, Dichter und „Spiritual Seeker“ in Paris die Rede, als sich die beiden Künstler wechselseitig ihrer Bewunderung versicherten. Während Dylan den Song „Hallelujah“ schätzte, an dem Cohen „mindestens“ sieben Jahre gewerkelt habe, wählte Cohen „I & I“ aus dem Dylan-Album „Infidels“, das Dylan in angeblich „15 Minuten“ fertig hatte. Eine lustige Anekdote, die allerdings ins Zentrum der Ästhetik von Leonard Cohen führt, die sich einerseits durch Verbindlichkeit und Seriosität auszeichnet, andererseits aber auch von einem „Ladies Man“ betrieben wurde, der zwischen „Holiness und Horniness“ changierte, wie es im Film einmal charmant auf den Punkt gebracht wird.
Ein moderner Minnesänger
„Hallelujah: Leonard Cohen, ein Leben, ein Lied“ zeichnet ausführlich die wechselvolle Karriere eines kanadischen Künstlers mit seinen jüdischen Wurzeln nach, der bereits ein erfolgreicher Schriftsteller („Beautiful Losers“, „Blumen für Hitler“) war, bevor er sich entschloss, ein moderner Minnesänger zu werden. Sehr schön zu beobachten ist der indignierte Blick von Cohen, als er in einem Interview als „Popsänger“ bezeichnet wird. Immerhin verzichtet er darauf, sich selbst vorzustellen, weil er (zu Recht) davon ausgehen kann, dass die meisten Menschen seine exzentrische Karriere am Rande der Musikindustrie mehr oder weniger aufmerksam verfolgt haben. So begründet er sein mehrjähriges Sabbatical in einem Zen-Kloster nicht nur mit einem Alkoholproblem, sondern auch damit, dass er dem Showbusiness keine Zukunft mehr zutraute.
Damit die von diversen Krisen, Affären, Fehlschlägen, Depressionen und erstaunlichen Comebacks gekennzeichnete Karriere nicht in einem „und dann und dann“ verläppert, haben die Filmemacher einen der bekanntesten Cohen-Songs ins Zentrum der Erzählung gerückt: „Hallelujah“ aus dem 1984er Comeback-Album „Various Positions“. Die Geschichte dieses Songs und des Albums ist zwar längst bekannt, aber so gut, dass man sie sich gerne noch einmal ausführlich erzählen lässt. Man erfährt so, dass Cohen viele Jahre an dem Text feilte, unzählige Strophen verfasste und verwarf, schließlich eine spirituell religiöse Fassung und eine säkulare Version entwickelte, die er bevorzugt live performte. Man erfährt auch, dass die Arbeit am Album von den Beteiligten als äußerst befriedigend erfahren und als „Chef d’Œuvre“ wahrgenommen wurde. Nur nicht vom Chef des „Columbia“-Labels, der sich schlicht weigerte, das Album in den USA zu veröffentlichen. So blieb „Hallelujah“ zunächst unerhört, um dann auf Umwegen eine erstaunliche Karriere zu machen, deren Stationen mit Namen wie John Cale, Jeff Buckley, Shrek oder Rufus Wainwright verbunden sind.
Ein triumphales Comeback
Einmal populär geworden, geriet die doppelbödige Hymne dann aber unversehens zu einer Nummer-Sicher-Sache für Emotionen auf Knopfdruck, die den Song schwer erträglich machte. Ironischerweise wurde die populärste Komposition von Cohen lange nicht mit seinem Namen verbunden, sondern mit dem seines Interpreten: dem früh verstorbenen Jeff Buckley.
Als Cohen einmal sagt, dass er es vorziehen würde, wenn der Song eine Zeit lang nicht mehr gesungen werden würde, wertet der Film das als koketten Witz. Der Musiker könnte damit aber durchaus richtig gelegen haben, wenn man sieht, wie all die Interpret:innen ihren eigenen Senf zu dem Lied beisteuern. Richtiger jedenfalls als mit der Wahl seiner Managerin, die 2004 sein Vermögen veruntreute, was den damals 70-Jährigen dazu zwang, nach 15 Jahren wieder auf Tournee zu gehen. Die bescherte ihm ein triumphales Comeback und führte seine Karriere zu einem späten Höhepunkt.
All dies breitet der Film bis hin zum Tod des Künstlers im November 2016 mit zahlreichen Zeitgenossen, Weggefährtinnen und reichlich Archivmaterial derart minutiös aus, dass man kaum umhin kommt, nach „Hallelujah: Leonard Cohen, ein Leben, ein Lied“, alte Cohen-Platten rauszusuchen, um sich auf eine nachholende Spurensuche zu begeben. Es muss ja nicht unbedingt „Hallelujah“ sein, denn auch der Hintergrund der viel gepriesenen spirituellen Suche von Leonard Cohen hat sich in der letzten, sehr entspannten Werkphase in eine augenzwinkernde Ironie transformiert. Nicht zum Schaden des Künstlers.