Erniedrigende Fleischbeschau oder Ausdruck selbstbewusster Weiblichkeit? Über den Sinn und Unsinn von Schönheitswettbewerben und Model-Castingshows wird immer wieder heiß diskutiert. Die Soziologin Nina Degele sprach anlässlich der Miss-Germany-Wahl 2018 parallel zur hochkochenden „MeToo-Debatte“ von „Gewalt in den Köpfen“ („Eine Frau muss ein bestimmtes Aussehen haben, damit sie die Anerkennung von den Menschen bekommt, auf die es ankommt. Und das sind nun mal vor allem Männer.“). Fürsprecherinnen verweisen dagegen darauf, dass das Aufkommen der Miss-Wahlen in den 1920er-Jahren nicht zufällig in eine Zeit der Emanzipation fiel, in der Frauen sich das Wahlrecht und neue gesellschaftliche Spielräume eroberten: Weibliche Schönheit stolz öffentlich auszustellen, kann man auch als Akt der Selbstermächtigung sehen – als Aushebeln von Züchtigkeitsregeln, mit denen patriarchal geprägte Gesellschaften Frauen im Zaum halten.
Ein Mann träumt davon, zur schönsten Frau Frankreichs gekürt zu werden
Aber was ist das eigentlich: Weibliche Schönheit? Die Crux und größte Angriffsfläche der Beauty Contests bleibt, dass sie diese Frage auf eine Weise beantworten, die extrem restriktiv ist. Regisseur Ruben Alves lässt all diese Pros und Contras teils ganz explizit in seinen Film „Miss Beautiful“ einfließen, in dem es um eine „Miss France“-Wahl geht – mit einem besonderen Drall: Die Schönheit, die hier schon seit Kindertagen vom Titel als schönste Frau Frankreichs träumt, ist gar keine Frau, sondern ein junger Mann. Mit 24 Jahren will Alex (Alexandre Wetter) den Schritt wagen, sich zu bewerben. Das gute Aussehen dafür hat er allemal: Er ist auf eine androgyn-engelhafte Weise grazil, mit feinen, ebenmäßigen Gesichtszügen und üppiger Haarmähne. Dass er außerdem auch einen Penis hat, ist nach den „Miss France“-Statuten freilich ein No-Go, davon will er sich aber nicht aufhalten lassen.
Eine Familie, die ihn unterstützen könnte, fehlt ihm (seine Eltern sind früh bei einem Autounfall gestorben), aber immerhin hat er eine Clique, die für ihn da ist. Zwar hält seine ruppig-mütterliche Vermieterin (Isabelle Nanty), eine gestandene Feministin, den Schönheitswettbewerb für einen „Tempel der Unterdrückung“ und geizt nicht mit giftigen Bemerkungen, doch der Rest seiner ethisch und sexuell bunt zusammengewürfelten Hausgemeinschaft und ein alter Freund aus dem Box-Club, in dem Alex eine Art Hausmeisterjob hat, unterstützen ihn. Wobei vor allem die ältere Trans-Prostituierte Lola (mit matronenhafter Grandezza: Thibault de Montalembert) sich bei der Perfektionierung des weiblichen Äußeren als hilfreich erweist. Ein falscher Pass auf den Namen „Alexandra“ ist schnell besorgt, und die erste Hürde, die Konkurrenz um den Regionaltitel der Miss Île-de-France, meistert Alex souverän. Doch als die Kandidatinnen aus allen Teilen Frankreichs unter dem gestrengen Regime der „Miss France“-Leiterin Amanda (Pascale Arbillot) um einen Platz im Finale zu konkurrieren beginnen, wird es ernst…
Jenseits der binären Geschlechterordnung
Erzählerisch stützt sich Ruben Alves also auf das gute alte Sportfilm-Muster vom Kampf eines sympathischen Underdogs um Aufstieg und Ruhm, inklusive „Rocky“-Hommage, wenn sich Alex ausgerechnet von seinem Kindheitsfreund aus dem Boxclub mental und körperlich für die harte Konkurrenz des Contest fitmachen lässt. Gleichzeitig geht es in der Tradition von „Feel Good“-Vorbildern wie „Hairspray“ oder „Little Miss Sunshine“ ums fröhliche Unterlaufen normierter Körper- und Geschlechterbilder – wobei Alves durchaus feinfühlig und vielschichtig zu Werke geht.
Das fängt bei der von Model Alexandre Wetter nicht nur durch seine besondere Physis, sondern auch schauspielerisch eindrucksvoll verkörperten Hauptfigur an. Die Motive, die hinter Alex’ Traum vom „Miss France“-Titel stehen, bleiben lange im Vagen und scheinen von einer ähnlichen Ambivalenz zu sein wie der Wettbewerb selbst: ein paradoxes Gemisch aus stolzer Selbstbehauptung einerseits und Unterwerfung unter fragwürdige Normen andererseits.
Wenn man Alex zu Beginn kennenlernt, trägt er keine Frauenkleider, sondern verhüllende Unisex-Klamotten samt über den Kopf gezogener Hoodie-Kapuze, wie um sein feingliedriges Selbst vor Blicken zu schützen. Mit gutem Grund, wie man an den fiesen Kommentaren der kleineren Jungs im Boxclub ablesen kann: Alex’ Gestalt und Gesicht, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen lassen, irritieren und provozieren. Dabei passen sie zu Alex’ Innerem. Er ist keine Transsexuelle in dem Sinn, dass er sich als Frau im falschen Körper fühlt, sondern wäre mit seinem männlich-grazilen Körper durchaus einverstanden, mit dem er mit entsprechender Kleidung auch seine weibliche Seite ausleben kann, wenn nur die Reaktionen auf diese, das binäre Gendermodell unterlaufende Identität nicht so feindlich ausfallen würden.
Die Sehnsucht nach Sichtbarkeit schlägt in ein Versteckspiel um
Der Transformationsprozess, den er bei seiner Vorbereitung aufs „Miss France“-Finale durchmacht, ist zunächst Balsam für ihn: Endlich traut er sich, sich zu zeigen, und endlich sind die Blicke, mit denen man ihn ansieht, bewundernd. Doch man ahnt, dass das nicht gut ausgehen kann – die Bewunderung gilt Alexandra, die die Öffentlichkeit für eine „echte“ Frau hält, und indem Alex versucht, sich immer perfekter in ein eindeutig feminines Selbst zu verwandeln, um eine Chance auf den Sieg zu haben, droht sein Streben nach Sichtbarkeit und Anerkennung in ein Versteckspiel und Verleugnung umzuschlagen.
In diese Selbstfindungsgeschichte integriert Alves viele pointierte Beobachtungen rund um Last und Lust mit der Weiblichkeit, wie sie durch Schönheitswettbewerbe und Castingshows postuliert und für Instagram-Posts manipuliert wird, wie sie fetischisiert und von der Beauty-Industrie in Geld verwandelt wird, wobei in den im Großen und Ganzen heiter-satirischen Ton des Films immer wieder auch bittere Töne einfließen. Aber Alex ist zum Glück nicht der Einzige, der bei der Frage ins Stocken gerät, was genau Weiblichkeit für ihn bedeutet, auch das Personal rund um die „Miss France“-Show hat daran zu knabbern – denn der Wettbewerb selbst, wie Alves ihn zeichnet, befindet sich seinerseits auch in einer Art Identitätskrise. Tatsächlich sind sich nämlich die Verantwortliche Amanda, ihre (männlichen) Hintermänner und der neue Social-Media-Manager keineswegs darüber einig, wie er gestaltet werden und welche Werte er transportieren soll.
Und so wundert es nicht, dass schließlich auch der große Abend der „Miss France“-Wahl, der das Finale des Films abgibt und von Alves souverän als dramatischer Höhepunkt gestaltet wird, keineswegs reibungslos abläuft, sondern in eine große Kontroverse mündet. Auch wenn die Tiara der Schönsten im ganzen Land schließlich auf einem Kopf landet – die Definitionshoheit über die Geschlechterbilder kann niemand mehr so einfach für sich reklamieren.