Manchmal produziert das Kino Regenbögen und Seifenblasen und gibt doch etwas von jener Realität preis, die es so wohlig umwölkt. Eine solch traumwandlerische Wahrhaftigkeit stellt sich beim Sehen von Miranda Julys neuem Film „Kajillionaire“ ein, ihrem ersten seit neun Jahren. Gedreht in den bonbonbunten Farben des kalifornischen Sommers wirft er einen märchenhaften und doch nüchternen Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen und Familiengeflechte.
Der absurd-hyperbolische Titel wird lächerlich und rührend zugleich, sobald man die Familie sieht, um die es hier geht: Die Dynes sind alles andere als stinkreich. Vater Robert, Mutter Theresa und ihre erwachsene Tochter mit dem aberwitzigen Namen Old Dolio ergaunern sich ihren Unterhalt mit Lebensmittelcoupons, gefälschten Schecks und dem Umtausch von gestohlenen Billigprodukten. Sie wohnen im Hinterzimmer einer Seifenblasenfabrik, jeden Tag um vier müssen sie den durch die Wand sickernden Schaum wegschippen. Ein Tanz in Zeitlupe ist das, wenn sie zu dritt nach den rosafarbenen Wolken haschen wie nach zerplatzten Träumen.
Wackeliges Familienkonstrukt
Von Träumen hat die 26-jährige Old Dolio keine Ahnung, denn ihre Eltern halten sie wie einen dressierten Hund, Zuneigung und Fürsorge sind gänzlich von der Gauner-Mission zersetzt. Andere Menschen sind eine Bedrohung für dieses wackelige Familienkonstrukt und deshalb ist Old Dolio immer auf der Hut. Evan Rachel Wood ist in dieser Rolle so überraschend gegen den Typ besetzt, dass man den eigenen Sinnen kaum trauen mag: Mit strähnig herabhängenden Haaren und einem schlabberigen Retro-Trainingsanzug, in dem sie am liebsten verschwinden würde, wirkt diese junge Frau wie eine Kreuzung aus Buster Keaton und Jay aus dem Comedyduo „Jay und Silent Bob“. Die Eröffnungsszene zeigt ihr tägliches Ritual, in dem sie sich wie eine biegsame Comicfigur an eine Postfiliale anschleicht, um dort Pakete aus den Sortierfächern zu fischen – immer in der Hoffnung auf den einen großen Fang, der aus der Familie von Trickbetrügern Quadrillionäre macht.
Dieser akrobatische Slapstick hat natürlich Methode, denn July versteckt in ihren Filmen stets echte Emotionen in surrealen Szenarien. All diese unbeholfenen Hopser und Purzelbäume, das Abknicken der Wirbelsäule wie eine Limbotänzerin, um hinter Mauern und unter Fenstern vorbeizuhuschen, sind Ausdruck von Old Dolios fundamentaler Einsamkeit, die jegliche Identitätsbildung unterdrückt. Evan Rachel Wood fasst diese Fremdheit in und mit der Welt so herzzerreißend, dass die körperliche Stilisierung sie viel greifbarer macht als eine naturalistische Darstellung es vermocht hätte.
Sie verleiht dieser Figur obendrein eine brummelnde Stimmlage, die nahezu jede Intonation schluckt und Old Dolio gänzlich zu einem emotionalen Fremdkörper werden lässt, wo auch immer sie erscheint. Sie kann ihre innere Leere nicht einmal artikulieren. Nur kleine Momente des Misstrauens gegenüber den Eltern stellen sich ein, wenn sie bei ihren Betrügereien auf normale zwischenmenschliche Wärme stößt und zugleich perplex und doch interessiert reagiert, als habe sie eine bisher unbekannte Fährte aufgenommen.
Das Paralleluniversum wird aufgebrochen
Erst das zufällige Aufeinandertreffen mit der vor Lebensfreude blubbernden Melanie lässt sie zutraulich werden. Die Dynes nehmen die junge Frau in ihr Team auf, da sie ihnen ein neues Geschäftsfeld eröffnet: Unter dem Vorwand, einsame und gebrechliche Rentner zu beliefern, räumen sie in aller Seelenruhe deren Wohnungen aus. Melanie ist der erste und einzige Mensch, der sich für Old Dolios Persönlichkeit interessiert und sachte die Frage nach ihren Träumen stellt. Langsam bricht sie so das abgeschottete Paralleluniversum aus emotionaler Abhängigkeit, Vernachlässigung und Konditionierung auf und dringt zu Old Dolio vor. Den comichaften Bewegungen stellt Melanie ausgelassenes Tanzen entgegen, dem sinnlosen Schippen von Schaumträumen ein gemütliches Zuhause.
In einem späten und beinahe kosmischen Coming-of-Age-Moment blitzt in Old Dolio dann auch ein erstes Gefühl für einen eigenen Willen auf und macht „Kajillionaire“ zu einer greifbar kauzigen und deshalb so herzzerreißenden Parabel über die Emanzipation von vermeintlich unausweichlichen emotionalen Zwängen und über den Mut, sich die eigenen Bedürfnisse einzugestehen.