Sattes feuchtes Grün, überbordende Vegetation und Artenvielfalt, wohin das Auge blickt. So stellt man sich die grünen (Regenwald-)Lungen unseres Planeten vor. Doch wenn man sich die „große grüne Wand“ südlich der Sahelzone ansieht, an der sich der Dokumentarfilm von Jared P. Scott entlanghangelt, dann scheinen die „Lungenbläschen“ in Gestalt von Bäumen eher zu einer Staublunge zu gehören: Vereinzelt und etwas ruppig stehen die Akazien mit ihren ausladenden Wipfeln im ewigen Sand und versuchen sich gegen die vorwärtsdrängende Wüste zu stemmen.
Großartige Totalen von einer der unwirtlichsten Trockenzonen der Welt wechseln mit Nahaufnahmen des ausdrucksstarken Gesichts der Sängerin Inna Modja. Die junge Musikerin aus dem konfliktreichen Norden von Mali führt vor Augen, wie hier mit dem Baum-Gürtel versucht wird, das Leben zu erhalten, während zeitgleich die vor Leben strotzenden Regenwälder Asiens und Lateinamerikas durch Brandrodungen zu kollabieren drohen. Vom Senegal am Atlantik bis nach Djibuti in Ostafrika soll sich eine fast 8.000 Kilometer lange „Wand“ aus mosaikartig zusammengeführten Wäldern ziehen. Das ist die Vision, die als soziale Bewegung und ökonomisches Projekt gleichzeitig 20 Millionen Jobs entstehen lassen soll.
Eine grüne Mauer, um zu überleben
Wenn das im Jahr 2005 aus der Taufe gehobene Mammutprojekt nicht Wurzeln schlägt, steht ein gewaltiger Exodus bevor. Daraus machen die Menschen, die Modja auf ihrer Reise trifft, keinen Hehl. Die Stoßrichtung ist klar: Während jenseits des Mittelmeers an einer „Festung Europa“ gebaut wird, setzen die afrikanischen Staaten auf eine grüne Mauer, die ihnen das Überleben sichern soll. Mit dem „Great Green Wall“ könnte den Menschen eine Zukunft geboten werden, die sie gleichermaßen vor den Extremisten bewahrt wie am Auswandern nach Europa hindert. 60 Millionen Menschen, so schätzt man, könnten sich sonst bis 2050 auf den Weg in ein besseres Leben machen.
Ohne es direkt auszusprechen, sind das die Argumente, mit denen der unter anderem von Fernando Meirelles produzierte Film und seine Protagonistin Inna Modja für mehr (Entwicklungs-)Hilfe zur Selbsthilfe plädieren. Das mag nach Kalkül klingen, ist aber bittere Realität, und dabei so verständlich wie unterstützenswert.
„The Great Green Wall“ weitet sich denn auch zu einem Porträt der Probleme, die diesem quer durch Afrika laufenden Gürtel zusetzen, der durch die Klimakrise noch enger geschnürt wird. Das Wüten von Boko Haram in Nigeria kommt zur Sprache wie auch die Tatsache, dass die hohe nigerianische Geburtenrate die Probleme weiter verschärft oder dass der Tschad-See in den letzten 50 Jahren fast ausgetrocknet ist. 30 Millionen Menschen hängen von dessen Ökosystem ab. Modja, die als Kleinkind eine Genitalverstümmelung erlitten hat, fokussiert sich insbesondere auf die Rechte von Frauen und Mädchen – also auf diejenigen, die in bewaffneten Konflikten am meisten zu leiden haben. Als Sängerin und Aktivistin will sie die verschiedenen Musikstile der Sahelzone auf einem Album vereinen, um auf die Initiative aufmerksam zu machen. Die Musiker und Musikerinnen, die sie auf ihrer Reise trifft, sind die Vorbilder der Kinder und Jugendlichen, die mit strahlenden Augen vor der selbstgezimmerten Konzertbühne ihre viel zu schlanken Arme in den Himmel strecken.
Die Hoffnung einer jungen Generation
Mit dem „The Great Green Wall“-Projekt soll nicht nur eine Mauer quer durch den afrikanischen Kontinent geschlagen werden, sondern auch eine Brücke in die Köpfe der Menschen. Es geht um die Hoffnung einer jungen Generation, sich in ihrer Heimat eine Zukunft bauen zu können, und um das (Selbst-)Vertrauen in die eigene Kraft. Das knüpft an die panafrikanische Bewegung an, die auch vom Ex-Premier aus Burkina Faso, Thomas Sankara, unterstützt wird, auf den die Idee der großen grünen Mauer zurückgeht. 10 Millionen Bäume soll Sankara im Lauf seines Lebens gepflanzt haben. Bislang stehen allerdings erst 15 Prozent dieses weitgehend durch Entwicklungshilfe finanzierten Traums.
„Wir müssen den Mut haben, die Zukunft zu erfinden.“ Mit diesem Zitat von Sankara beginnt Scotts eindrückliche Dokumentation, die in Äthiopien ans Ziel ihrer Reise gelangt. Hier, ausgerechnet in dem Land, das 1984 einer schrecklichen Dürre zum Opfer fiel, liegt in der Region Tigray ein grünes Paradies: Eine Oase, die ihre Menschen ernähren kann und zur realisierten Utopie für die gesamte Sahelzone wurde. Doch auch hier lässt sich die Realität des übrigen Landes nicht ausblenden: Äthiopien leidet seit Jahren massiv unter der zunehmenden Dürre.
Eine panafrikanische Idee wird zu einer globalen
Der Film erzählt auch von einem Wettlauf mit der Zeit: nicht nur wegen der kurzen Pflanzphase zwischen August und September, sondern gegen den rasenden Klimawandel. Ob diese Bäume noch schnell genug groß werden können? Ob das Projekt noch rechtzeitig das politische Gewicht erhält, das ihm zusteht? Das sind die Fragen, die nicht nur über die Zukunft Afrikas, sondern die der ganzen Welt entscheiden.
Eine panafrikanische Idee wird zu einer globalen – und der Film zu einem wichtigen Zeugnis, wie sich eine junge Generation gegen die desaströsen Folgen der Klimaerwärmung zu wehren beginnt.