Nur die Füße tun mir leid
Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 94 Minuten
Regie: Gabi Röhrl
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- MFF / Medienberatung Film & Fotografie Anton Röhrl
- Regie
- Gabi Röhrl
- Kamera
- Gabi Röhrl
- Musik
- Marco Köstler · Martin Sennebogen
- Schnitt
- Florian Zimmermann
- Länge
- 94 Minuten
- Kinostart
- 07.11.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- TMDB
Autobiografischer Dokumentarfilm über eine sechswöchige Wanderung auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela, bei der sich Inspiration und Impressionen zur inneren Einkehr verdichten.
Für ihre sechswöchige Pilgerreise, 900 Kilometer zu Fuß hat Gabi Röhrl den „Camino Francés“, den bekanntesten der Jakobswege, ausgewählt. „Ultreia!“ – „Immer voran!“, heißt die Devise. Die Autodidaktin startet in Saint-Jean-Pied-de-Port am Rand der Pyrenäen. Die ersten Etappen führen durch wildromantische Berge. Blühender Klatschmohn bedeckt die Wiesen, der Blick von der Höhe ins Tal ist atemberaubend. Röhrl, die den Jakobsweg schon mehrmals gelaufen ist, findet bald ihr Tempo. Sie kennt die Probleme, die auf unerfahrene Pilger lauern: zu lange Tagesetappen, falsches Schuhwerk.
Schon in Pamplona, der ersten größeren Station, zeigt sich, was der Jakobsweg bewirkt: Das einfachste Essen wird zum Festmahl, Menschen aus der ganzen Welt sprechen miteinander, während die Weinflaschen kreisen. Auf der weiteren Strecke summieren sich die Schwierigkeiten; wunde Füße und Blasen sind die Regel. Im Regen, im Sturm – es geht vorwärts. Ultreia!
Unterwegs durch Nordspanien
Ein paar originelle Stationen werden ausführlicher vorgestellt: Helferinnen bei der Versorgung kranker Pilgerfüße, ein ehemaliges Benediktinerkloster mit einem Weinbrunnen.
Mit den körperlichen Strapazen steigt die Bereitschaft zur inneren Einkehr. „Wenn jemand Gott sucht, dann findet er ihn hier“, meint einer der Pilger. Gehen, essen, schlafen, gehen. „Der Weg macht etwas mit dir“, sagt Röhrl. Am Ziel, in Santiago de Compostela, feiert jeder die Ankunft auf seine Weise, manche überschäumend vor Freude, manche im stillen Gebet. Der Gottesdienst in der Kathedrale bringt alle zusammen, feierlich und fröhlich, erleichtert und gerührt. Aber für Röhrl ist hier noch nicht Schluss. Sie läuft weiter zur Steilküste des Kap Finisterre – dem Ende der Welt für die Menschen des Mittelalters, Kilometer 0 des Jakobswegs.
Gabi Röhrl präsentiert ihren autobiografischen Dokumentarfilm, der ohne öffentliche Fördermittel entstand, als persönlichen Reise- und Pilgerbericht mit vielen Verweisen auf Land und Leute, Kunst und Kultur. Ihr eigenes Verhältnis zur Religion bleibt dabei im Hintergrund. Ein Blick über die Berge sagt manchmal mehr als gesprochene Worte. Oft findet sie ungewöhnliche Perspektiven für ihre Naturaufnahmen: eine Distelblüte in Großaufnahme, ein Zauberwald aus Eukalyptusbäumen. Die innere Einkehr als Kernthema vereint Inspiration und Impressionen – die sich entwickelnde Spiritualität zieht sich wie ein roter Faden durch den Film.
Unebenheiten fallen kaum ins Gewicht
Zusätzlich zu den Aufnahmen vom Jakobsweg gibt es viele Gespräche mit Einheimischen und anderen Pilgern. Röhrl, die mit der Filmausrüstung acht zusätzliche Kilo Gepäck mit sich trug und bei den Dreharbeiten nur gelegentlich Unterstützung von anderen Pilgern erhielt, musste sich manchmal behelfen. So sind manche Bilder etwas verwirrend; Personen lassen sich nicht immer einordnen, nicht alles passt zusammen. Manches resultiert wohl auch daraus, dass der Film während zweier Reisen im Jahr 2017 und 2018 entstand. Dennoch wirkt die Arbeit der Autodidaktin mit TV-Redaktionserfahrung so professionell, dass die Unebenheiten kaum stören.
Auffällig ist die durchgängig positive Grundeinstellung der Filmemacherin zu ihrem Sujet. Es fällt kaum ein kritisches Wort. Alles ist schön, die Menschen sind freundlich, das Essen ist gut, und die Sehenswürdigkeiten sind interessant. Die wachsende Kommerzialisierung und die Auswüchse des Tourismus am Jakobsweg bleiben außen vor. Der fehlende Diskurs ist ungewöhnlich für einen Dokumentarfilm. Manchmal fehlen allerdings Erklärungen, sodass Raum für Spekulationen entsteht. Warum sagt Röhrl nichts über die Nachtquartiere, warum zeigt sie keine Bilder dazu? Passten die Erfahrungen nicht zum positiven Gesamtbild?
Ein Weg zu sich selbst
Alles in allem bewahrt Röhrl eine angenehme Zurückhaltung, sie stellt sich und ihre Emotionen nie zur Schau, erzählt ohne Sensationshascherei. Auf diese Weise gelingen einige der schönsten Momente des Films, wie vor der Kathedrale in Santiago oder am Cruz de Ferro auf dem Monte Irago, wo Pilger seit Jahrhunderten Steine und persönliche Gegenstände hinterlassen. Ursprünglich waren es Sünden, die hier symbolisch abgelegt wurden. Heute sind es häufig überwundene Krankheiten oder andere Belastungen, die in den Gegenständen versinnbildlicht sind. Sie erzählen von Menschen, denen der sprichwörtliche Stein vom Herzen gefallen ist und die – als erstrebenswertes Ziel des „Camino“ – den Weg zu sich selbst gefunden haben.
Wer über den Jakobsweg nachdenkt, sollte es einfach probieren, sagt Gabi Röhrl.