Dokumentarfilm über die indische Banditenführerin Phoolan Devi, die unter nicht genau geklärten Umständen 18 Männer einer höheren Kaste tötete, die sie vergewaltigt hatten. Gerade 20jährig, stellte sie sich 1983 der Justiz und wartet bis heute in einem Gefängnis auf ihren Prozeß. Der Film geht von den Legendenbildungen um diese Frau aus, die zur sozialen Rebellin stilisiert wurde, die die Reichen überfällt und die Beute an die Armen verteilt. Die Faszination von der im sozialen wie ethnischen Zusammenhang fremden Person führt zu einer aufmerksamen, unaufdringlichen Reflexion über die Macht von Mythen, Legenden und archaischen Bildern, die menschliches Handeln und Wahrnehmen bestimmen.
- Ab 16 möglich.
Phoolan Devi - Rebellion einer Banditin
Dokumentarfilm | Deutschland 1993 | 82 Minuten
Regie: Mirjam Quinte
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 1993
- Produktionsfirma
- Rotermund/Quinte Filmprod./Medienwerkstatt Freiburg/ZDF/arte
- Regie
- Mirjam Quinte · Pepe Danquart
- Buch
- Mirjam Quinte
- Kamera
- Satheesh Narayan · Mirjam Quinte · Roger Heereman
- Musik
- Michel Seigner
- Schnitt
- Mirjam Krakenberger
- Länge
- 82 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16 möglich.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Diskussion
Eine Frau rebelliert; die bereits als 11jährige in eine Ehe gegebene Phoolan Devi aus einem kleinen Dorf in Indien wurde nicht nur einfach Banditin, sondern überdies Führerin einer eigenen Bande, mit deren Hilfe sie an all denen, die sie ihr kurzes Leben lang unterdrückt und zahlreich auch sexuell mißbraucht hatten, Rache übte. Unter bis heute nicht geklärten Umständen tötete die aus niederer Kaste stammende Frau mit ihren Mitstreitern 18 Männer einer sozial höherstehenden Kaste, die sie einmal vergewaltigt hatten. 1983 stellte sich Phoolan Devi, damals gerade 20 Jahre alt, der Polizei und wartet seitdem im Gefängnis auf ihren Prozeß. Doch es sei leichter, so eine These des Films, aus ihrer Person eine fiktionale Heldin zu machen, als den Leidensund Racheweg der realen Frau mit einem Prozeß wieder aufzurollen.Der Film beginnt mit den Fiktionen, die über Phoolan Devi zahlreich in Umlauf sind. Aus einem trockenen Unterstand heraus beobachtet die Kamera Schweine, die als einzige draußen auf der Straße herumlaufen, während im Inneren des Hauses einem Kind die Geschichte der Banditin aus einem Taschenbuch vorgelesen wird. Auf der Leinwand eines indischen Kinos nimmt Phoolan konkretere Gestalt an, und die Schauspielerin berichtet von ihrer besonderen Identifikation mit der Rolle. Zwei Spielfilme wurden über Phoolan Devi gedreht, mehrere Bücher über sie geschrieben, die Zeitungen brachten noch vor ihrer Festnahme Schlagzeilen der Art "Blumengöttin dürstet nach Blut". Vor allem durch den immer wieder gezogenen Vergleich mit der Rachegöttin Kali aus der hinduistischen Mythologie wurde Phoolan Devi schnell zur Legende, und auch fern von Indien eignet sich ihr Fall für so manche Projektion. Die sexuell aktive Frau aus der Unterschicht, die eine Gruppe von Männern befehligt und sich nicht scheut zu schießen, konkretisiert schließlich auch bei uns in Gestalt des "Flintenweibs" das wesentlich ältere, mythologische Bild der "kastrierenden Frau". Zu diesem, zumindest für Frauen durchaus reizvollen Bild gesellen sich sozialromantische Vorstellungen, die Phoolan Devi und ihre Bande auch für Männer anziehend machen. Der soziale Rebell, der in den Wäldern lebt, die Reichen überfällt und die Beute mit den Armen teilt, die ihn dafür ehren und praktisch unterstützen, ist ein Bild, das sowohl in der Fremd- als auch in der Eigenwahrnehmung von den Guerilleros Lateinamerikas bis zu den Freibeuterschriften Pasolinis wirksam ist.Diese vielfältigen Lesarten, in denen diverse Mythologeme sich der Realität des "Falls Phoolan Devi" bemächtigen, sie in sich aufnehmen und kaum wieder preisgeben, sind zugleich Anlaß wie Problematik von Quintes Film, der in seinem Versuch, der Realität näherzukommen, selbst nicht ohne Widersprüche bleibt. Die Logik seiner Erzählung, die von den Romanen und Filmen ausgeht und im Gespräch mit Phoolan Devi und zwei ihrer Mitstreiter endet, repräsentiert den Weg vom Mythos zurück zur Geschichte, und bildet das im Kommentar formulierte Anliegen ab, der Tendenz zur Fiktion entgegenzuwirken. Doch so einfach, wie diese Struktur glauben macht, läßt sich der historisch einmalige Fall durch das Dickicht seiner Fiktionalisierungen hindurch nicht mehr freilegen. Zu sehr sind die sozialen Akteure schon zu Darstellern der eigenen Legende geworden, als daß sie die Wahrheit über die Ereignisse noch garantieren könnten. Ihr Stolz, immer dort gewesen zu sein, wo die Polizei sie nicht gesucht hat, ihr wiederholter Verweis auf die guten Taten, auf die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums und die Beschaffung der Mitgift für arme Mädchen, rekurriert auf die gleichen sozialromantischen Vorstellungen des Banditentums wie die über sie produzierten Filme und Romane.Auf der anderen Seite arbeiten auch manche Bilder des Films seiner Absicht nach "mehr Realität" entgegen. Die Faszination für die im sozialen wie im ethnischen Kontext fremde Figur der Phoolan Devi (die der Kommentar fast schon zu skrupulös eingesteht) überträgt sich auf die visuelle Wahrnehmung ihrer realen Umgebung. Unterstützt von der sparsamen, aber eindringlichen Musik bilden die Landschaftsaufnahmen immer auch die Erzählräume der Legenden ab, in denen die Natur selbst zur Verbündeten der Outlaws wird und ihnen hilft, unsichtbar zu bleiben. Eine ähnliche Gegenbewegung ins Mythologische vollziehen auch Einstellungen von Aasgeiern, die zu Sinnbildern einer "natürlich" ungerechten Welt werden, in der das archaische Prinzip von Aug um Auge, Zahn um Zahn die Taten der Banditen verständlich und sinnvoll werden läßt. Die wiederholt eingeschnittene Aufnahme eines Mädchens mit Ziegenherde schließlich wird in dieser Perspektive geradezu als Gegenentwurf zur Realität lesbar, als utopische Vision eines befriedeten Miteinander von Mensch/Frau und Natur, die der realen Phoolan Devi zu leben verwehrt blieb.Diese romantischen Bilder zeigen ebenso wie der (in der ursprünglichen Absicht des Films gescheiterte) Austausch von Roman- und Filmfiguren durch ihre realen Vorlagen, wie machtvoll Mythen, Legenden und archaische Bilder in die Realität hineinreichen und menschliches Handeln und Wahrnehmen bestimmen. Der Film "Phoolan Devi - Rebellion einer Banditin" wird auch zum Zeugnis einer vergeblichen Suche: die ursprüngliche Recherche nach einer jenseits von Fiktionen liegenden Wahrheit über Phoolan Devi endet im Einverständnis mit der Fiktion. Am Schluß ihres Films gibt Quinte die Suche nach dem genauen Tathergang und der Beteiligung Devis an den begangenen Morden auf. Für sie und ihren Film hat Phoolan Devis Tat einen anderen Sinnhorizont gewonnen als den einer juristisch relevanten Tatsachenfeststellung. Während Quinte sich einer Deutung im Rahmen des Kali-Mythos anschließt, die in Analogie zur grausamen Seite der lebensspendenden Göttin Durga Phoolan Devi als Rächerin weiblicher Unterdrückung und Verletzung begreift, kümmert sich eine Anwältin um die Realitäten der begangenen Verbrechen. Sie soll Phoolan Devi durch den längst überfälligen Prozeß dem Vergessenwerden im Gefängnis entreißen.
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