Bab el-Oued City

Drama | Algerien/Frankreich/Deutschland/Schweiz 1994 | 93 Minuten

Regie: Merzak Allouache

Ende der 80er Jahre im heruntergekommenen Stadtviertel Bab el-Oued von Algier: Ein 25jähriger Bäckergeselle wird durch Predigten aus der lokalen Moschee in seiner Ruhe gestört. Als er den Lautsprecher im Meer versenkt, legen ihm dies bigotte Schläger als politische Provokation aus. Eine Allegorie über die algerische Zivilgesellschaft, die sich von sozialem Strandgut drangsalieren läßt. Bemerkenswert durch die atmosphärische Dichte, mit der der Film die fremde Lebensordnung einfängt, aber hölzern in der Inszenierung. Fragen nach politischer Verantwortung werden eher abgewiegelt als beantwortet. (O.m.d.U.)
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Filmdaten

Originaltitel
BAB EL-OUED CITY
Produktionsland
Algerien/Frankreich/Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
1994
Produktionsfirma
Flash Back Audiovisuel/Les Matins/ZDF/La Sept Cinéma/Thelma
Regie
Merzak Allouache
Buch
Merzak Allouache
Kamera
Jean-Jacques Mréjen
Musik
Rachid Bahri
Schnitt
Marie Colonna · Jean-Pierre Laforce
Darsteller
Nadia Kaci (Yamina) · Mohamed Ourdache (Said) · Hassan Abdou (Boualem) · Mabrouk Ait Amara (Mabrouk) · Messaoud Hattou (Mess)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Genre
Drama
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Diskussion
Schauplatz: Algier, Ende der 90er Jahre, Bab el-Oued, ein kleinbürgerliches Stadtviertel, das schon bessere Zeiten gesehen hat. Aufhänger der Geschichte: ein im Meer versenkter Lautsprecher. Knotenpunkt: die Bäckerei "La Fleur", der Meister und seine zwei Gesellen. Der eine, schwappend übergewichtig, mit Baseball-Kappe und Walkman ausstaffiert, sorgt für den sozialkritischen Hintergrund: er vertickt im Zweitberuf Schmuggelware. Zu Fuß und in großen Taschen wandern die Accessoires einer fragwürdigen Moderne vom Hafengelände ins Viertel. Der andere, Boualem, bringt die Handlung ins Rollen: In der Nähe seines Schlafzimmerfensters haben selbsternannte Wächter des Glaubens einen der über zehn Lautsprecher montiert, mittels derer neuerdings das ganze Viertel mit Predigten des Imams Rabah aus der lokalen Moschee beschallt wird. Als er eines Morgens nach der Nachtarbeit nicht zur Ruhe kommen kann, reißt Boualem das Folterinstrument ab. Das spurlose Verschwinden des Lautsprechers gibt den bigottten Schlägern um Said, Markenzeichen: schwarze Lederjacken und Barte, unverhofften Auftrieb. Die unbeabsichtigte Provokation ist willkommener Anlaß, die Muskeln spielen zu lassen und die Bewohner des Viertels zu drangsalieren. Wie das Leben im Drehbuch so spielt, ist die Schwester Saids die einzige Zeugin von Boualems Wutanfall. Da nur der Rigorismus des Bruders zwischen den beiden steht, droht von ihr kein Verrat, im Gegenteil. Vielmehr bringt die Entdeckung ihres Tête-à-têtes auf dem verfallenden katholischen Friedhof Boualem ins Fadenkreuz der Sittenwächter. Zuguterletzt beugt sich der Bäckermeister dem Druck, seinen Gesellen zu entlassen.

Mit "Omar Gatlatou" hatte Merzak Allouache 1976 Filmgeschichte gemacht, indem er in einer damals überraschend modernen Form im Alltag eines gehemmten jungen Mannes das Lebensgefühl der eigenen Generation porträtierte, das ganz nebenbei auch noch das Scheitern des algerischen Projekts ahnen ließ. Um so bestürzender ist der unterschwellige Zynismus der vorgeblichen Innenansicht aus einem zerrissenen Land, was jetzt als "17 Jahre später" - Fortsetzung über die Jugend von heute an den Zuschauer gebracht werden soll.

Seine größte atmosphärische Dichte hat der Film an seiner Peripherie. Daß das Leben in Bab el-Oued ein schäbiges in den Ruinen einer fremden Lebensordnung ist, pointieren zwei Franzosen auf Besuch in der alten Heimat: ein Mann mittleren Alters lügt seiner blinden Mutter vor, es sei noch genauso wunderbar wie früher. Ohne dieses absurde Paar hätte der morbide Reiz verfallender Kolonialarchitektur des früher von "pieds noirs" (Algerienfranzosen) bewohnten Viertels im Schmelz mediterranen Lichts die Konservierung durch Armut und die Anverwandlung an einen nach innen gewandten Lebenstil, die durch die Überbelegung der Wohnungen noch dramatisiert wird, übersehen lassen: die verbarrikadierten Balkons, die Wäsche vor den Fassaden wären allenfalls pittoresk gewesen. Unaufdringlich deutlich auch die gähnende Langeweile des Alltags, das Leben der Frauen auf den Dachterrassen, wo das Auftauchen von Groschenromanen den ungestillten Hunger nach Abwechslung sichtbar macht. Daß der Film in Gesten der Vertrautheit, in der kleinen Bewegung, die alles über eine Person sagt, überzeugt, aber daß, und dies manchmal in derselben Einstellung, in den Dialogen das Papier raschelt und der Gesamteindruck eines unebenen Fernsehspiels zurückbleibt, das dürfte wohl weniger an den beschworenen schwierigen Umständen der Dreharbeiten im Frühjahr 1993 liegen als daran, daß die Wirklichkeit zu diesem Zeitpunkt längst die analytische Schlichtheit des Drehbuchs offenbart hatte.

Die Allegorie von der Zivilgesellschaft als hilfloser Geisel des Mobs, "das Volk" drangsaliert von "la rue", sozialem Strandgut, das mit dem Glauben eigentlich nichts im Sinn hat, angeführt von Befehlsempfängen sinistrer Mächte in Gestalt von Said - charakterisiert als von den Unruhen von 1990 hochgespültes Element -, der Aufträge und Waffen von smarten Dunkelmännern erhält, die gelegentlich in einer Limousine anrollen - diese Allegorie ist angesichts von Wahlergebnissen von 54 Prozent bei den Kommunalwahlen 1990 und 41,4 Prozent bei den Legislativwahlen Dezember 1991 für die FIS (= Islamische Heilsfront) weniger naiv als durchsichtiger Griff in die Mottenkiste politischer Polemik: Entlastungsdiskurs, der die Frage nach politischer Verantwortlichkeit in jeder Hinsicht blockiert. Wenn dergleichen dann auch noch mehrfach prämiiert wird, möchte man hinter seiner hölzernen Inszenierung schon fast maliziöse Distanzierung vermuten.
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