Eigentlich ist die Grundidee der „Toy Story“-Filme zunächst nicht mehr als ein witziges Gedankenspiel: Was wäre, wenn unsere Spielzeuge und Kuscheltiere ein Eigenleben führen würden? Wie würden sie die Welt sehen? Und was könnten sie erleben?
Dass daraus mehrere Filme entstanden, die von Anfang an zu Herzen gingen und weitaus mehr erzählten, ist dem Pixar-Touch geschuldet. Den Geschichtenerzählern und Animatoren des kalifornischen CGI-Studios ist es gelungen, den Figuren Leben einzuhauchen, sie zu Persönlichkeiten zu machen und Themen in diese Sichtweise einzubinden, die das Publikum auf unterschiedlichsten Leveln ansprachen und bewegten.
„Toy Story 3“ besitzt ein wunderbares, ja geradezu perfektes Ende. Mit ganz viel Herz und Sinn brachte der Film die Geschichte des Spielzeugcowboys Woody und des Möchtegern-Astronauten Buzz Lightyear zu einem Ende, indem er über das Älterwerden erzählte, über Veränderung und Abschiednehmen – und von einem Neubeginn. Vor der Abreise ins College hat Woodys Besitzer Andy seine Lieblingsspielzeuge der kleinen Bonnie geschenkt und diese damit überglücklich gemacht. Ein Happy End für alle.
Ein holpriges Kapitel
Doch neun Jahre später haben sich die Macher entschlossen, die Spielzeugkiste wieder zu öffnen und dort weiterzumachen, wo „Toy Story 3“ aufgehört hat. Das Resultat ist ein holpriges Kapitel geworden.
Schon die erste Szene von „Toy Story 4“ macht klar, dass eine direkte Fortsetzung, die fließend zum neuen Teil überleitet, nicht ohne weiteres möglich war. Ein Rückblick ist notwendig, ein Einschub in die bestehende „Toy Story“-Chronologie, um die Grundlage für eine zentrale Liebesgeschichte überhaupt erst zu schaffen. So beginnt der Film mit einem Abschied. Die alte Lampe mit der Schäferin wird von Bonnie aussortiert. Spielzeugcowboy Woody ist am Boden zerstört und steckt in einer Zwickmühle. Soll er sie gehen lassen? Oder sich heimlich in ihre Schachtel schleichen, weil auch er längst gemerkt hat, dass er für Bonnie nur noch die zweite Geige spielt und zunehmend Staub ansetzt? Woody entscheidet sich aus Loyalität dafür, bei Bonnie zu bleiben.
Bonnie, die kurz vor dem Schuleintritt steht, hat gerade einen ganz besonderen Spielzeugliebling: eine aus einer alten Gabel selbst gestaltete Figur namens Forky. Doch die fühlt sich im Müll am wohlsten und muss erst lernen, dass sie plötzlich von einem Mädchen geliebt wird und sehr wichtig für dieses ist. Als Forky bei einem Camping-Trip verloren geht, ist es Woody, der sich dafür einsetzt, sie zu Bonnie zurückzubringen. Dabei gerät er in einem Antiquitätenladen aber mit geradezu furchteinflößenden alten Puppen und anderen Retrofiguren aneinander.
Visuell ein Hochgenuss
Aus technischer Sicht ist „Toy Story 4“ erneut ein Hochgenuss und zeigt, mit wie viel Liebe zum Detail künstliche Welten bei Pixar zum Leben erweckt werden können, von Spiegelungen in Regenpfützen bis hin zu winzigen Staubkörnern. Die Mimik und Gestik der Figuren ist facettenreich und lässt sie verblüffend echt wirken. Manchmal gibt es wunderbar aberwitzige, anarchische Momente. Trotzdem ist der Filmreihe die Wärme abhandengekommen, vielleicht auch deshalb, weil vieles mittlerweile so bekannt vorkommt.
Woody wurde schon einmal von seinem geliebten Besitzer links liegen gelassen. Dass nun auch Bonnie ihn keines Blickes mehr würdigt, ist aber vor allem ein Verrat am hoffnungsvollen Ende von „Toy Story 3“. Hinzu kommt, dass Buzz Lightyear, eine der beiden zentralen Figuren der Reihe, nichts mehr zu melden hat. Es wird zum Running Gag, wenn er sich von seinem eingebauten Sprechmodul als „innere Stimme“ beraten lässt. Den einfältigen, aber liebenswerten Spielzeug-Astronauten ereilt damit das Schicksal von Homer Simpson, der in der Serie „Die Simpsons“ über die Jahrzehnte hinweg vom liebenswert makelbehafteten Antihelden zum nicht mehr ernstzunehmenden Trottel degradiert wurde.
Thematisch steht nun nicht mehr die Freundschaft oder das Verhältnis von Mensch und Spielzeug im Mittelpunkt, sondern der Eigenwert. Hat ein Spielzeug auch eine Daseinsberechtigung, wenn es keinem Kind gehört oder sich um kein Kind kümmern muss? Darf es seine eigenen Wege gehen? Forky weiß anfangs gar nicht, wie ihm geschieht, als er plötzlich von einem Kind innig geliebt wird. Er sehnt sich nach der Bedeutungslosigkeit zurück. Doch so einfach ist das nicht, sobald das Leben erst einmal begonnen hat. So erzählt der Film gleich in mehrfacher Hinsicht von dem Weg von der Selbstlosigkeit oder der Selbstzweifel hin zur Selbstachtung.
To infinity, and beyond
Auch das Ende von „Toy Story 4“ wäre ein guter und stimmiger (und vermutlich ungemein zu Herzen gehender) Abschluss für die Saga gewesen. Aber nun wirkt dieses eben nur wie eine weitere Variante, ein alternatives Ende, irgendwo zwischen Remake und Reboot. Die Filmreihe läuft Gefahr, Buzz Lightyears Motto zu befolgen: To infinity, and beyond.