In den Filmen von Terrence Malick taumeln die Menschen, alles ist Bewegung, Fluss, sanfte Berührung, Flüstern, Transzendenz. Was könnte diese Welt mehr bedrohen als Symmetrien, Uniformität und schneidendes Gebrüll? Nicht von ungefähr stehen am Anfang von Malicks Erzählung über den österreichischen Bauern und Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter Ausschnitte aus Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm „Triumph des Willens“. Der kantige soldatische Körper in Reih und Glied, der sich stumpf dem Befehl unterwirft, ist mit der Malick-Figur, die sich ständig mit allem und jedem verbinden will, sich durchlässig macht, alles aufnimmt, ganz und gar unverträglich. Malick setzt diese Unverträglichkeit dann auch sehr direkt ins Bild.
Nach den historischen Aufnahmen, in denen sich der Nazi-Terror bereits ankündigt, wird ein gutes und reines Leben in Harmonie mit Mensch, Tier und Natur beschworen. „Wir lebten über den Wolken“, sagt Jägerstätter zu Beginn aus dem Off. Die Bilder atmen und umarmen, wenn Franz und seine Frau Fani mit den Händen in der Erde nach Kartoffeln wühlen und im sanften Gleichklang mit der Sense das Gras mähen. Die Kinder wirbeln und strömen selbstvergessen herum, mit einem Lächeln grüßt das Paar nach getaner Arbeit auf dem Heimweg die Nachbarn: „Unsere Familie, unser Dorf: Radegund.“
„Was passiert mit unserem Land?“
Die so feierlich zelebrierte Idylle bewegt sich nah an der Grenze zum Bergkitsch, in der Logik des Films macht die Überhöhung jedoch absolut Sinn. Denn „Ein verborgenes Leben“ ist nichts anderes als die Geschichte eines vom Bösen vergifteten und schließlich zerstörten Paradieses, in der Franz Jägerstätter zur Verkörperung eines unerschütterlichen Gewissens wird. Dabei ist er kein politischer Widerstandskämpfer, sondern ein Gläubiger. Seine Kraft zieht er aus Gott und aus der Liebe zu Fani. Ihr Briefwechsel, den die römisch-katholische Theologin Erna Putz als Buch herausbrachte, bildet das Rückgrat des Films, Vorlage für das Drehbuch ist jedoch die Biografie „Er folgte seinem Gewissen. Das einsame Zeugnis des Franz Jägerstätter“ von Gordon C. Zahn.
Ein erster Schatten fällt auf das Paradies, als Jägerstätter 1940 in Enns seine Grundausbildung macht. Man übt den Ernstfall, sticht auf Strohpuppen ein, pirscht durch den Wald, abends werden Filmaufnahmen vom Krieg auf einer Leinwand gezeigt: Panzerkolonnen, Zerstörung, Leichen am Wegrand, eine Mutter wärmt die nackten Füße ihres erfrierenden Kindes über einem offenen Feuer im Schnee. „Was passiert mit unserem Land?“, fragt sich Jägerstätter. Im Dorf werden die ersten Männer zum Wehrdienst einberufen, der Bürgermeister hält betrunken Lobreden auf den Führer und wettert gegen Fremde und Ausländer, die den „Boden verderben“. Ein Gewitter zieht auf, grau und schwer hängen die Wolken jetzt über dem Tal.
An der Geschichte ist bei allen künstlerischen Freiheiten nicht zu rütteln
Jägerstätter, der nach seiner vorläufigen Rückkehr einen Hitlergruß mit einem „Pfui, Hitler“ erwidert, Spenden an die Partei und die Annahme der staatlichen Familienzuwendung verweigert, wird in St. Radegund bald schief angesehen, zu spüren bekommt das auch Fani. In Franz wächst der Gedanke, sich dem Wehrdienst zu widersetzen, er vertraut sich dem örtlichen Pfarrer an, der Bischof empfängt ihn und spricht mahnend von seiner Pflicht gegenüber dem Vaterland. Noch kommt der befürchtete Brief nicht, aber in Jägerstätter arbeitet es. Arbeiten tut es auch in Fani, die mit widerstreitenden Gefühlen ringt: der Unterstützung für Franz und dem Willen, ihn in der Welt zu halten. Malick zeigt dieses Ringen wie auch die Schattierungen ihrer innigen Liebe, die mal lichter, mal verdüsterter sich zeigt, allein über die Körper und Gesichter seiner in der offenen Spielordnung völlig aufgehenden Darsteller.
Vor allem Valerie Pachner gibt Fani, die sich nach der Verhaftung ihres Mannes der Verachtung und Ausgrenzung der Dorfbewohner ausgesetzt sieht, bei allem bewegenden Spiel etwas Geerdetes, Reales, das sich von den ätherischen Frauenfiguren in den letzten Malick-Filmen absetzt. Überhaupt wirkt „Ein verborgenes Leben“ von seiner Struktur fester und greifbarer als die in alle Richtungen ausschweifenden und sich verlierenden Filme „To the Wonder“ und „Song to Song“. An der Geschichte ist bei allen künstlerischen Freiheiten schließlich nicht zu rütteln. Am 6. Juli 1943 wird Franz Jägerstätter wegen „Wehrkraftzersetzung“ zum Tode verurteilt und am 9. August 1943 hingerichtet.
Die Frage nach dem Sinn des Widerstands
Natürlich ist „Ein verborgenes Leben“ bei allen Historienfilmmarkierungen – es wird chronologisch erzählt, Zeitangaben werden eingeblendet – das projektive Werk eines US-amerikanischen Filmemachers, der einen historischen Stoff in seinen filmischen Kosmos überführt. So verlegt Malick das in Oberösterreich gelegene St. Radegund in die imposanten Südtiroler Alpen und verleiht dem Film dadurch auch optisch ein dramatischeres Antlitz. Auch drängt er alle expliziten Verweise auf den Katholizismus von Jägerstätter zurück – man sieht ihn weder beten, die Bibel lesen noch den Gottesdienst besuchen – zugunsten eines jenseits von Institutionen und Regeln frei schwebenden Glaubens. Über die Legitimität eines solch ahistorischen Zugriffs lässt sich sicherlich streiten. Die Originalversion mit ihrem bizarren Sprachmischmasch aus Englisch und Deutsch beziehungsweise Österreichisch (auch hier gibt es einen kruden Mix regionaler Dialekte) ist deshalb auch der „richtigere“ Film, weil er in seiner Künstlichkeit die Aneignungsleistung eher ausstellt als versteckt (die deutsche Version homogenisiert, alles wirkt wie aus einem Guss).
Ob kirchliche Vertreter oder später die gerichtlichen Instanzen Franz Jägerstätters Gegenüber sind: Immer wieder taucht die Frage nach dem Nutzen seines Widerstands auf, verbunden mit dem Verweis, dass er den Lauf der Geschichte nicht ändern und niemand von seinem Handeln erfahren wird. Malick setzt diesen wiederholten Reden „Ein verborgenes Leben“ entgegen. Mit leiser, demütiger Stimme rückt er dieses ins Licht.