Ein polnischer Kriegsfilm um die sogenannten Wolhynien-Massaker, die sich im Zuge des Zweiten Weltkriegs in der polnisch-ukrainischen Grenzregion ereigneten. Dabei geht es Regisseur Wojciech Smarzowski vor allem darum, den Nationalismus als Wurzel des Übels zu geißeln.
Es beginnt folkloristisch mit einer Hochzeit: Die Polin Hela heiratet den Ukrainer Vasyl. Das Ereignis wird als großes, rituelles Dorffest zelebriert. Noch ist eine solche Ehe in Wolhynien möglich, auch wenn es unter den Gästen schon einige gibt, die über das Bündnis murren. Im Jahr 1939 besteht die Bevölkerung der polnisch-ukrainischen Grenzregion, wie zu Beginn erläutert wird, zu 70 Prozent aus Ukrainern; 18 Prozent der Wolhynier sind Polen, zehn Prozent Juden.
Wenige Jahre später sind alle drei Bevölkerungsgruppen drastisch dezimiert – teilweise abgeschlachtet von den Deutschen, die Wolhynien 1941 besetzten und daran gingen, die jüdische Bevölkerung zu ermorden. 100 000 Polen und 15 000 Ukrainer kamen dann bei dem um, was als Wolhynien-Massaker in die Geschichte eingegangen ist. 1943 starteten ukrainische Nationalisten unter Stepan Bandera einen Vernichtungsfeldzug gegen die polnische Bevölkerung, um Wolhynien zum rein ukrainischen Gebiet zu machen. Die polnische Heimatarmee reagierte auf die Massenmorde mit Gegenschlägen, die auch die Zivilbevölkerung trafen.
Ethnische Animositäten schaukeln sich auf
„Sommer 1943“ schildert die Ereignisse anhand des Schicksals einer jungen Frau und ihrer Familie: Zosia, Helas Schwester. Auch sie wird kurz nach Helas Trauung verheiratet, mit einem reichen polnischen Bauern – allerdings gegen ihren Willen. Die unglückliche Ehe gerät bald unter die Räder der historischen Ereignisse. Die Bedrohung durch Deutschland und Sowjetunion wirft Schatten auf das Dorf- und Familienleben und fordert zahlreiche Todesopfer. Zosia aber trotzt zäh allen Gefahren, bis der fatale Sommer 1943 heranrückt und die Truppen der ukrainischen Nationalisten auch vor Zosias Dorf nicht Halt machen. Gegen Ende des Films fallen schließlich auch Hela und ihre Familie den Gräuel zum Opfer: Die junge Frau muss mit ansehen, wie ihr Baby mit einer Axt zerhackt wird, bevor sie auf der Schwelle ihres Hauses von ihren eigenen Landsleuten enthauptet wird, weil sie die Ehefrau eines Ukrainers ist. Ein letzter grausiger Höhepunkt in einem Film, der sich wie eine filmische Fortschreibung von Francisco de Goyas Bilderzyklus „Desastres de la guerra“ ausmacht – und eine Szene, mit der der polnische Regisseur Wojciech Smarzowski bewusst provoziert.
Keine Scheu vor heißen Eisen
Die „ab 18“-Freigabe auf der DVD/BD-Ausgabe des Films bezieht sich zwar auf die Trailer im Bonusmaterial; der Spielfilm selbst ist ab 16 Jahren freigegeben; tatsächlich aber mutet „Sommer 1943“ seinen Zuschauern Szenen von Folterungen und Tötungen zu, die wegen ihrer Verankerung in der Realität nachhaltiger als in manchem Horrorfilm verstören, auch wenn die Kamera meist nicht sadistisch auf blutige Einzelheiten fokussiert.
Wojciech Smarzowski hat 2018 mit dem Kinofilm „Kler“ in seiner Heimat einen handfesten Skandal provoziert, weil er Missstände in der katholischen Kirche thematisierte und das Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft kritisch durchleuchtete. Sein Kriegsfilm „Sommer 1943“ entstand schon zwei Jahre zuvor, im Jahr 2016. Auch hier zeigt Smarzowski keine Scheu, ein heißes Eisen anzufassen. Die Wolhynien-Massaker sind bis heute ein wunder Punkt im Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine – weil es in der Ukraine nie zu einer offiziellen Verurteilung der Mordtaten der Ukrainischen Befreiungsarmee gekommen ist und Stepan Bandera in Teilen des Landes immer noch als Volksheld verehrt wird; in Polen wiederum tut man sich schwer mit dem Umstand, dass die wegen ihres Widerstands gegen Nazis und Sowjets verehrte polnische Heimatarmee ebenfalls Verbrechen an ukrainischen Zivilisten begangen hat.
Der von Smarzowski geschriebene und inszenierte Film geht mit beiden Positionen ins Gericht. Er zeigt die Taten der ukrainischen Befreiungsarmee als systematischen Völkermord und identifiziert sie als Hauptverantwortliche für die Massaker in den Jahren 1943/44. Smarzowski packt aber ebenso deutlich die in Polen unliebsamen Themen wie die Kollaboration polnischer Bürger bei der Vernichtung der Juden und die Verbrechen der polnischen Befreiungsarmee an.
Das Gift der Ressentiments
„Sommer 1943“ scheint von einer latenten Frustration darüber befeuert zu sein, dass die Bewertung und Aufarbeitung der Ereignisse immer noch von einem falschverstanden Patriotismus und von nationalen Heldenmythen behindert wird. Mit aller Klarheit macht der Film deutlich, dass gerade der Nationalismus die Wurzel jener Verbrechen ist, die sich in Wolhynien ereigneten – womit über das historische Geschehen hinaus zugleich auf die (nicht nur) osteuropäische Gegenwart verwiesen wird. Dass der deutsche Untertitel des Films, der im polnischen Original schlicht nach der Region („Wolyn“) benannt ist, den „Sommer 1943“ zum „Ende der Unschuld“ erklärt, ist irreführend: Die Region, wie Smarzowski sie zeigt, ist schon lange vor den ersten Morden vom Gift ethnischer und religiöser Ressentiments durchtränkt.