Leichen pflastern den Weg des Outlaws Frank Griffin (Jeff Daniels). Gleich zu Beginn bekommt man das drastisch vor Augen geführt: Die Kamera streift an der Seite eines Marshalls durch die qualmenden Ruinen einer kleinen Stadt, deren sämtliche Bewohner nach einem Zusammenstoß mit Franks Bande ihr Leben lassen mussten – gipfelnd im grausigen Bild einer Kinderleiche, die erhängt an einem Strick baumelt. Mit Gott brauche man in diesem Land nicht zu rechnen, erklärt Frank Griffin einige Episoden später skandinavischen Siedlern auf dem Weg gen Westen, die er und seine Leute in der Nacht zuvor terrorisiert haben. Die Neue Welt: das sei das Land der Klapperschlange. Frank hält diese kleine Rede, dass kein Gott sei, ohne diabolische Freude; vielmehr schwingt Bitterkeit mit: Dieses Weltbild war für Frank einst selbst eine schmerzhafte Lektion. Die Figur ist eine wunderbare Altersrolle für Jeff Daniels und nur einer von mehreren höchst interessanten Charakteren, die die Qualität der Netflix-Serie „Godless“ ausmachen.
Showrunner Scott Frank kennt man als Drehbuchautor (u.a. für „Logan“, „Die Dolmetscherin“, „Minority Report“ und „Out of Sight“) und als Regisseur von feinen Thrillern wie „A Walk Among the Tombstones“ und „Die Regeln der Gewalt“. Mit dieser Western-Serie gelingt ihm nun ein weiterer großer Wurf, wobei ihn u.a. die Leinwand-würdige Bildsprache von Kameramann Steven Meizler und ein hochkarätiges Darstellerensemble unterstützen. Als erzählerischer Rahmen dient, wie in vielen von Franks Arbeiten, ein klassischer Genre-Stoff: eine Rachegeschichte, die auf einen dramatischen Showdown hinausläuft. In der Siedlung LaBelle, die ihre Existenz einer Silbermine verdankt, taucht bei der Farm einer Witwe (Michelle Dockery) ein junger verletzter Fremder (Jack O’Connell) auf. Sie gewährt ihm Unterschlupf und lässt ihn sogar dann bleiben, als sie erfährt, dass der Mann der berüchtigte Scharfschütze Roy Goode ist und einst zu der Bande Frank Griffins gehörte, sich dann aber mit diesem überwarf und nun von ihm gejagt wird. Weswegen es auf der Hand liegt, dass Frank und seine Leute auf der Suche nach dem Abtrünnigen früher oder später in LaBelle auftauchen und dabei in genauso mordlustiger Stimmung sein werden wie zu Beginn, als sie das Massaker an der anderen Siedlung verübten.
Bevor es soweit ist, verfolgt Scott Frank in den sieben ca. einstündigen Episoden in mehreren Handlungssträngen und mit Rückblenden auf verschiedene Zeitebenen nicht nur den blutigen Weg von Frank Griffin, sondern auch verschiedene Bewohner dieses höchst ungewöhnlichen Westernstädtchens. Seit einem fatalen Minenunglück sind bis auf einige Ausnahmen, z.B. dem Sheriff (Scoot McNairy) und seinem jungen Deputy (Thomas Brodie-Sangster), alle Männer von LaBelle tot; die Frauen haben sich mit der Situation arrangiert und die Geschäfte des Ortes in die eigenen Hände genommen. Vor allem die Schwester des Sheriffs (Merritt Weaver), die mit ihrer ruhigen, selbstbewussten Art neben der Frau des verstorbenen Bürgermeisters eine der Führungspersönlichkeiten des Ortes ist, ist offensichtlich ganz froh darüber, dass damit die traditionellen Geschlechterrollen ins Wanken geraten sind. Nun allerdings stehen Veränderungen an: der Zuschlag an ein großes Bergwerksunternehmen, die Silbermine des Ortes ausbeuten zu dürfen, könnte neues (männliches) Leben in den Ort bringen. Doch was müssten die Frauen dafür aufgeben? Außerdem fokussiert die Serie auf die sich allmählich entwickelnde Freundschaft zwischen der Witwe Alice, die einst einen Indianer heiratete und sich wegen dessen Ermordung mit dem Rest von LaBelle entzweite, und Roy Goode, der offensichtlich gerne vom Pfad der Gewalt auf den eines friedlichen Familienlebens wechseln würde, wenn ihm nicht quasi der Tod im Nacken sitzen würde. Und es geht um den Sheriff des Ortes, dessen Liebe zu Recht und Gerechtigkeit ungebrochen ist, dessen Augenlicht aber immer schwächer wird – was ihn nicht davon abhält, seinerseits auszuziehen, um Frank Griffin zu stellen.
Obwohl der eigentliche Spannungs-Plot lässig in einen Spielfilm gepasst hätte, wirkt die u.a. von Steven Soderbergh produzierte Serie an keiner Stelle künstlich aufgebläht. Vielmehr zeigt sie einmal mehr, welche Meriten das Serienformat hat: Figuren, die man aus diversen Western nur als Genre-Stereotypen kennt, werden zu runden Charakteren ausgebaut; der soziale Kosmos um sie herum wird über diverse Nebenfiguren viel facettenreicher ausgeleuchtet, als das in Spielfilmlänge möglich ist: LaBelle, seine Bürger und vor allem die Bürgerinnen sind hier nicht nur der Zankapfel, um den Helden und Bösewichter streiten, sondern sind mit ihrem Ringen um die bestmögliche Gestaltung ihrer Lebensumstände das Herzstück der Serie. Von dem Klapperschlangen-Zynismus, dass am Ende immer derjenige recht behält, der die meisten Gewehre hat, verschont Scott Frank die Belles von La Belle nicht. Doch bricht sich dieser Zynismus immer wieder an Widerstandsnestern zwischenmenschlicher Solidarität, deren Entstehen und Gedeihen die ruhige Inszenierung erstaunlich viel Raum gibt – kleine Revolten gegen die Absurdität dieses „gottlosen“ Daseins.