Das Haus am Meer (2017)
Drama | Frankreich 2017 | 107 Minuten
Regie: Robert Guédiguian
Filmdaten
- Originaltitel
- LA VILLA
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2017
- Produktionsfirma
- Agat Films & Cie/France 3 Cinéma
- Regie
- Robert Guédiguian
- Buch
- Robert Guédiguian · Serge Valletti
- Kamera
- Pierre Milon
- Schnitt
- Bernard Sasia
- Darsteller
- Ariane Ascaride (Angèle Barberini) · Jean-Pierre Darroussin (Joseph) · Gérard Meylan (Armand) · Jacques Boudet (Martin) · Anaïs Demoustier (Bérangère)
- Länge
- 107 Minuten
- Kinostart
- 21.03.2019
- Fsk
- ab 6; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Heimkino
Zwei Brüder und eine Schwester, alle um die 60 Jahre alt, treffen sich nach einem Schlaganfall ihres Vaters im elterlichen Haus nahe Marseille, um zu beraten, was nach dessen Tod mit dem Anwesen geschehen soll.
Noch vor wenigen Jahrzehnten mag die kleine Bucht tatsächlich einem Paradies geglichen haben: sanft an den Strand schlagende Wellen, an den Hang geschmiegte Häuschen unter einem kleinen Wald mit Olivenbäumen und über all dem die mächtige Eisenbahnbrücke zwischen den Felsen. Die alten Schwarz-weiß-Fotos in den Häusern erinnern die Einheimischen jeden Tag daran, dass dies ein geschätzter Urlaubsort war. Feriengäste genossen hier Klima und Meer, fuhren mit den Fischern morgens hinaus oder spielten in den Gassen Boule. Ein südfranzösisches Arkadien.
Schön ist es noch immer in der Bucht von Méjean nahe Marseille, doch in „Das Haus am Meer“ von Robert Guédiguian scheint das Paradies verloren. Von Touristen ist in dem Film kaum etwas zu sehen; die meisten der Häuschen stehen mittlerweile leer, und auch für die letzten Bewohner sieht es nicht allzu gut aus. Während die einen mit einer drastischen Mieterhöhung hadern, aus Stolz aber keine Unterstützung annehmen wollen, erleidet nebenan der frühere Restaurantbesitzer Maurice einen Schlaganfall.
Ein Vater und seine drei Kinder
Gehen oder sprechen kann er von da an nicht mehr, und wie viel er überhaupt noch mitbekommt, ist ungewiss; er kann in den nächsten Wochen, aber auch erst in Jahren sterben.
Das ist die Situation, die Armand seinen Geschwistern Joseph und Angèle schildert, die im Gegensatz zu ihm ein Leben fernab von der Heimat gewählt haben. Angesichts des kranken Vaters sind die drei zum ersten Mal seit langem wieder vereint. Maurices Nachkommen sind selbst schon um die 60 und von den Härten des Lebens gezeichnet. Armand hat sich dabei aufgerieben, das väterliche Restaurant weiterzuführen, der Arbeiter und Gewerkschaftler Joseph hat sich hochgearbeitet, fiel nach seiner vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand aber in Depressionen. Die Schauspielerin Angèle hat ihrerseits das Haus ihrer Kindheit wie den Vater zwei Jahrzehnte gemieden, seitdem ihre Tochter hier im Meer ertrank. Die Frage nach dem Umgang untereinander ist daher ebenso offen wie die nach der Pflege des Vaters.
In seinen Marseille-Filmen, zu denen der französische Regisseur Robert Guédiguian seit seinem Regiedebüt „Dernier été“ (1980) immer wieder zurückkehrt, waren die Protagonisten aus der Arbeiterklasse schon immer darauf aus, sich eine „Insel der Seligen“ erschaffen zu wollen, auf die sie vor feindseligen oder einschränkenden Lebensumständen zu fliehen trachten. In „Das Haus am Meer“ ist dieser Wunsch durch die abgeschiedene Bucht, in der fast der gesamte Film spielt, so manifest wie noch nie in Guédiguians Oeuvre.
Unaufgeräumte Angelegenheiten
Die naturgegebenen wie familiären Umgrenzungen dieses Settings bieten einen idealen Rahmen für die konzentrierte, aber zugleich gelassene Beobachtung der Charaktere und ihre vorsichtige Wiederannäherung. Zwischen den Geschwistern stehen unaufgeräumte Angelegenheiten dreier Leben: Bei Armand ist das der Vorwurf an Bruder und Schwester, die Familie im Stich gelassen zu haben, aber auch der Trotz, sich weiterhin allein um den Vater zu kümmern. Joseph trägt das Gefühl des Versagens als linker Aktivist wie als Autor vor sich her, das sich in verbalen Selbstgeißelungen und unangebrachten Bemerkungen entlädt. Am schwersten aber fällt es Angèle, sich in der altvertrauten Umgebung aufzuhalten. Zu sehr drücken der unverarbeitete Schmerz über den Tod der Tochter und Vorwürfe an sich und den Vater, der ihr nun niemals mehr Rede und Antwort stehen wird, wenngleich er Angèle in seinem Testament den höchsten Erbanteil vermacht hat. Es sind schwergewichtige Themen, die bei den alltäglichen Arbeiten, beim Abendessen oder in Gesprächen auf den Tisch kommen und zu Szenen des schmerzbedingten Rückzugs und der kathartischen Öffnung führen.
Der Blick der Kamera von Pierre Milon bleibt stets dezent, aber mitfühlend, wenn Guédiguians bewährte Hauptdarsteller Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin und Gérard Meylan die feinen Nuancen ihrer komplexen Charaktere entfalten. Hinzu kommen weitere exzellent eingesetzte Schauspieler: Jacques Boudet und Geneviève Mnich als altes Nachbar-Ehepaar, deren Sorge um die Miete zur Existenzfrage wird, Anaïs Demoustier als Josephs verständnisvolle, halb so alte Freundin Bérangère, Robinson Stévenin in der Rolle eines jungen Fischers, der sich seine Jugendschwärmerei für Angèle all die Jahre erhalten hat.
Ein leichter, unaufdringlicher Ton
Der Tonfall ist leicht und unaufdringlich, obwohl sich der Film nie in unverbindliche Verharmlosungen flüchten würde. Ungerechtigkeit, Missstände und Fehlverhalten werden klar benannt, bis hin zum Umgang der europäischen Staaten mit Flüchtlingen, der durch Suchaktionen von Soldaten in der Bucht früh als Thema aufgegriffen wird. Gleichzeitig ist der Film frei von wohlfeilen Anklagen; Guédiguian geht es um Menschen und nicht um klassenkämpferische Phrasen. Subtil wirbt der Film dafür, über Verlust und Scheitern nicht zu verzweifeln, sondern sie als Teil des Daseins zu akzeptieren.
Von außen betrachtet, haben die Menschen aus der Bucht Vieles, wofür sie dankbar sein können. Nicht zuletzt gehört dazu auch das Potenzial für einen Neuanfang. Auch jenseits des Paradieses kann ein Glück möglich sein.