Dokumentarfilm um betagte Zwillingsschwestern in Rom, die als Kinder von Robert Einstein, dem Cousin des jüdischen Physikers Albert Einstein, adoptiert wurden und mit dessen Familie eine unbeschwerte Zeit verlebten, bis sie Zeuginnen wurden, wie deutsche Soldaten 1944 Frau und Töchter Einsteins ermordeten. Die historische Aufarbeitung lebt von der beeindruckenden Präsenz der Protagonistinnen und ihrer innigen Beziehung zueinander, krankt aber deutlich an den Reenactment-Szenen, die die traumatischen Ereignisse allzu unbeholfen rekapitulieren.
- Ab 14.
Einsteins Nichten
Dokumentarfilm | Deutschland/Italien 2016 | 89 Minuten
Regie: Friedemann Fromm
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Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland/Italien
- Produktionsjahr
- 2016
- Produktionsfirma
- Cinefattoria/NFP/BR/Arri Media
- Regie
- Friedemann Fromm
- Buch
- Friedemann Fromm
- Kamera
- Anton Klima
- Musik
- Edward Harris
- Schnitt
- Trevor Holland
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- 24.08.2017
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Heimkino
Dokumentarfilm über Zwillingsschwestern, die als Adoptivkinder von Robert Einstein 1944 das Massaker an dessen Familie miterlebten
Diskussion
Am Horizont grüßen vereinzelte Pinien, auf den weichen Hügeln davor liegt idyllisch ein Friedhof. Zwei ältere Frauen, offensichtlich Zwillinge, tasten sich behutsam durch die Reihen. Viel zu abgeschieden liegt das Grab. Dort angekommen, sackt eine der Schwestern plötzlich zusammen, beweint und beklagt den Verlust der Familie, die sie einst adoptiert hatte: 1944 ermordeten die Deutschen drei Mitglieder der Einsteins, Mutter Nina und die Töchter Cici und Luce.
Ziel der Besatzer war eigentlich Robert Einstein, Freund und Cousin des berühmten jüdischen Physikers. Robert hatte sich in den umbrischen Wäldern verborgen, als die Besatzer seine Villa Focardo stürmten und die Schwestern Mazzetti in einem Raum gefangen setzten, sie zu Ohrenzeugen der Ermordung machten. Lorenza und Paola sind heute an die 90 Jahre alt – für Friedemann Fromms Dokumentarfilm haben sie sich mehr als 70 Jahre nach den Morden noch einmal an den Tatort begeben.
Die beiden Damen leben heute in Rom. Zu Bildern von Orangenbäumen und der Spanischen Treppe, auf der Dachterrasse der Mazzettis schlägt der Regisseur zu Beginn einen leichten Ton ein. Langsam lernt man die lebenslustigen Schwestern kennen. Ihre leibliche Mutter starb bei der Geburt, der Vater konnte sich zunächst nicht kümmern. So kamen sie nach Perugia, wo sie als Jugendliche glückliche Zeiten verlebten – bis die Deutschen kamen. Bei der Schilderung der Kriegstage geht der Film aus seiner Form, verlegt sich aufs Reenactment: In von ausladend grimassierenden Schauspielern nachgestellten, verschwommenen Bildern sieht man zunächst eine Idylle, bevor von außen die Bedrohung hereinbricht. Zurück im dokumentarischen Jetzt wanken die Schwestern durch die Villa, von der Konfrontation mit dem Trauma sichtlich betroffen.
Als Zuschauer sucht man in dieser Geschichte zunehmend Orientierung, zu sprunghaft und unsystematisch wird sie erzählt. Hintergründe und Weiterführendes werden angerissen, die semidokumentarische Form unter Verwendung des billig wirkenden Reenactments wird dem Stoff nicht gerecht. Einen Spielfilm über das Ereignis gibt es übrigens schon: Im Jahr 2000 drehten Andrea und Antonio Frazzi nach dem in den 1960er-Jahren erschienenen Buch von Lorenza Mazzetti ihren Film „Il cielo cade“ mit Isabella Rossellini und Jeroen Krabbé.
Robert Einstein nahm sich ein Jahr nach dem Massaker das Leben. Und „die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen“. Auch hierüber hätte man gern mehr erfahren. So reicht „Einsteins Nichten“ nicht an die großen, persönlichen Filme über Holocaust und Nazi-Vergangenheit heran, etwa an „Die Wohnung“ von Arnon Goldfinger (fd 41 120) oder „Schnee von Gestern“ von Yael Reuveny (fd 42 320), um nur zwei Filme aus den jüngeren Jahren zu nennen. Überaus sehenswert ist das Zusammenspiel der Schwestern Mazzetti. Eine von ihnen beschreibt die geschwisterliche Symbiose als „Gemmellarità“, was mit „Zwillingsdasein“ nur unbeholfen übersetzbar ist. Ohne die jeweils andere hätten sie die Schicksalsschläge nicht überstanden, hätten sie nicht ihr hohes Alter erreicht. „Wie macht ihr das allein?“, fragt sie die große Mehrheit der Nichtzwillinge. Auch verständlicher Groll gegen das Land der Mörder der Einsteins bricht sich Bahn: Die Deutschen schämten sich heute, allerdings nicht für die Täter, sondern für jene, die damals Gefühle zeigten – und sich verweigerten. Eine juristische Aufarbeitung der Morde in der Villa Focardo hat es nie gegeben. Aber, davon sind die Schwestern überzeugt: „Es gibt immer ein Auge, das zusieht.“
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