Gurinder Chadha, Britin punjabischer Herkunft, setzt sich in ihren Filmen immer wieder mit dem ost-westlichen Culture Clash auseinander. In Filmen wie „Picknick am Strand“ (1993), „Kick It Like Beckham“ (2002) und „Liebe lieber indisch“ (2004) tat sie dies gegenwartsbezogen und mit leichter Hand. Dies ist in „Der Stern von Indien“ anders. Ihr bisher vermutlich persönlichster Film ist ein akribisch aufbereitetes Historiendrama, das ein dunkles, heute allzu gern verdrängtes Kapitel der indisch-britischen Beziehungen beleuchtet.
Im Jahr 1947 neigt sich nach fast 100 Jahren die britische Kolonialherrschaft in Indien ihrem Ende entgegen. Als letzter Vizekönig zieht Louis Francis Albert Victor Nicholas Mountbatten mit seiner Ehefrau Edwina und der gemeinsamen Tochter Pamela in den prachtvollen Amtssitz-Palast in Delhi ein. Sein Auftrag ist klar: Lord „Dickie“ Mountbatten soll als letzter britischer Statthalter Indien möglichst schnell und reibungslos in die Unabhängigkeit führen. Doch nach mehr als 300 Jahren, in denen der Subkontinent unter Kolonialherrschaft stand, ist die Lage zwischen Hindus, Sikhs und Muslimen angespannt. Der als Volksheld gefeierte Gandhi und der Indische Nationalkongress unter Führung des späteren Premierministers Pandit Nehru befürworten einen Einheitsstaat; die muslimische Minderheit unter Muhammad Ali Jinnah plädiert hingegen für eine Teilung und die Gründung eines neuen Staats namens Pakistan.
Während Mountbatten fieberhaft mit den verschiedenen Parteien verhandelt, heizt sich die Stimmung im Volk zunehmend auf. Schon bald kommt es in den größeren Städten, vor allem auch in Delhi zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die in der ethnisch bunt gemischten Angestelltenschar im Palast des Vizekönigs ihre Fortsetzung findet. Besonders hart treffen die Feindseligkeiten Mountbattens Kammerdiener, den Hindu Jeet (Manish Dayal) und dessen heimliche Geliebte, die Muslima Aalia (Huma Quereshi), deren sorgfältig geschmiedete Heiratspläne von den sich überstürzenden politischen Ereignissen dramatisch durchkreuzt werden.
Gurinder Chadha hat sich jahrelang mit dem Plan getragen, einen Film über die historischen Wirren zu drehen, die ihre Familie unmittelbar betrafen: Ihre Großmutter gehörte mit zu den mehr als 14 Mio. Menschen, die sich im Zuge der schließlich stattfindenden Teilung und der damit neuen Grenzziehung zur Umsiedlung gezwungen sahen. Bis zu einer Million Menschen sollen bei den politischen Umwälzungen ihr Leben verloren haben. Chadha erzählt historisch akkurat und bemüht sich um politische Genauigkeit, zugleich versucht sie, dem Zuschauer den eher komplexen Stoff emotional zugänglich zu machen. Das gelingt phasenweise ganz gut, etwa wenn der von „Downton Abbey“-Star Hugh Bonneville gespielte Mountbatten und seine ihm sichtlich zugetane, sein Handeln aber immer wieder kritisch hinterfragende Ehefrau (Gillian Anderson) gemeinsam die Lage analysieren und Pläne schmieden.
An anderen Stellen aber klafft der Film stilistisch auseinander. Dann stehen die historisch verbrieften, fast dokumentarisch anmutenden Szenen der Massenflucht im krassen Gegensatz zu den vor allem anfänglich mit viel majestätischem Pomp inszenierten Szenen im Regierungspalast und Momenten lustvoll zelebrierten politischen Taktierens.
Fast schon Tränendrüsen drückend kitschig wirkt schließlich die melodramatische Zuspitzung um die Wiedervereinigung der Geliebten inmitten des blutigen Chaos. Die Massenfluchtszenen gemahnen im Übrigen – obwohl historisch korrekt ausgestattet und an Originalschauplätzen gedreht – unvermittelt an die Bilder anderswo anzutreffender, gegenwärtiger Flüchtlingsströme. So ist „Der Stern von Indien“ (der etwas erklärungsbedürftige deutsche Verleihtitel bezieht sich auf den Titel des Ritters des „Order of the Star of India“, der Lord Mounbatten 1947 als einem der letzten verliehen wurde) unterm Strich zwar kein allzu großes Ereignis und gewiss auch nicht Gurinder Chadhas bester Film. Als solide Geschichtslektion ist er dennoch durchaus bemerkenswert.